Es sind keine schönen Tage, die Ria Schröder, Vorsitzende der Jungen Liberalen, derzeit erlebt. Ihre FDP ist gerade erst aus dem Hamburger Stadtparlament geflogen. Bei der Wahl am Sonntag verpassten die Liberalen knapp die Fünf-Prozent-Hürde.
Eigentlich wollten wir mit Schröder über ihre Haltung zur Frauenquote sprechen. Die Jungen Liberalen hatten mit einer ablehnenden Haltung dazu kürzlich auf Twitter einen regelrechten Shitstorm ausgelöst. Dann kam die Wahl in Hamburg und die Klatsche für die FDP.
Ein Gespräch über die Folgen der Thüringen-Krise, den Kampf der FDP um eine Abgrenzung gegen rechts und Feminismus als "urliberalen" Auftrag.
watson: Wie ist die Stimmung nach der Wahl in Hamburg, bei der Ihre Partei den Einzug ins Parlament nur sehr knapp verpasst hat?
Ria Schröder: Es ist ärgerlich, dass wir nicht nur sagen können, na gut, das und das haben wir falsch gemacht. Stattdessen haben wir sehr stark den Einfluss von Thüringen gemerkt, etwas, das wir selbst nicht in der Hand hatten. Das ist natürlich zusätzlich frustrierend, wenn man nicht mal nur selber schuld ist.
Also lag es aus Ihrer Sicht nur an Thüringen?
Natürlich suchen wir aber Fehler auch bei uns und versuchen zu analysieren, was man im Wahlkampf anders hätte machen können. Wir haben das aber in Hamburg zu spüren bekommen. Das hatte zwei Effekte: Zum einen mussten wir auf einmal unsere Glaubwürdigkeit in der Bekämpfung des Rechtsextremismus beteuern. Das gehört eigentlich nicht zu meinem Programm, weil es für mich eine Selbstverständlichkeit ist.
Sind Sie deswegen mit Ihren Themen nicht mehr durchgedrungen?
Wir haben in Hamburg wochenlang über Verkehr, über Klimaschutz, über Bildung gesprochen. Und dann wird man ständig gefragt: Wie stehen Sie denn eigentlich zur AfD? Natürlich lehne ich die ab und habe sie immer politisch bekämpft. Ich dachte, das wäre etwas, was ich eigentlich nicht mehr herausstellen muss. Das raubt natürlich Zeit, über unsere eigentlichen Ideen für Hamburg zu sprechen. Und zum anderen hatte es einen Demobilisierungseffekt auf unsere Wähler, weil unsere Partei das Geschmäckle hatte, sich nicht klar gegen Rechts abzugrenzen. Andersherum hat es bei SPD und Grünen zu einer starken Mobilisierung geführt. Das hat sich in einer höheren Wahlbeteiligung widergespiegelt, was natürlich sehr erfreulich ist.
Gab es denn auch eigene Fehler der FDP in Hamburg?
Wir müssen uns als FDP natürlich auch fragen, ob wir in der Kampagnenführung alles richtig gemacht haben. Hätten wir zum Thema Verkehr, das wirklich für viele Hamburgerinnen und Hamburger ein Ärgernis ist, vielleicht noch eine Aktion machen können? Aber das sind letztlich "Hätte, wäre, könnte"-Fragen.
Nun ja, am Ende fehlten der FDP nur 1582 Stimmen...
Am Mittwoch in der letzten Woche lag ich krank im Bett. Donnerstag ging es dann wieder. Natürlich frage ich mich auch, hätte ich, wenn ich am Mittwoch fit gewesen wäre, vielleicht noch die gut 1.000 Stimmen, die gefehlt haben, überzeugt? Es bringt aber nichts, sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Aus meiner Sicht müssen andere Fragen im Vordergrund stehen.
Welche Fragen denn?
Natürlich auch, woran es lag und welche Fehler gemacht worden sind. Das frage ich mich auch selber. Vor allem aber: Wie stellen wir uns für die Zukunft besser auf? Wie können wir die Zweifel, ob die FDP ein verlässlicher Partner im Kampf gegen Rechtsextremismus ist, ausräumen? Wie können wir unser Handeln und unsere Sprache noch stärker darauf ausrichten, Menschen einzuschließen? Das sind die Fragen, die mir im Moment im Kopf herumschwirren.
Die FDP müsste in liberalen Großstädten wie Hamburg doch eigentlich ein Riesenpotential haben. Warum konnten Sie das nicht ausschöpfen?
Ich stimme zu, dass die FDP gerade in den Städten ein großes Potential hat. Ein besonders gutes Beispiel ist Hamburg, eine sehr liberale Stadt, die aber auch weiß, wo ihr Wohlstand herkommt. Aber die SPD ist in Hamburg auch nicht die SPD im Bund. Gerade durch seine Abgrenzung zur linken Parteispitze hat Herr Tschentscher hier seinen Erfolg erzielen können, obwohl der ja auch einige Prozentpunkte abgestürzt ist. Trotzdem ist es ein Ergebnis, von dem die SPD im Bund nur träumen kann.
Die FDP dagegen steht im liberalen Hamburg deutlich schlechter da als im Bund. Das muss Sie doch umtreiben.
Die Parteien sind hier anders als in anderen Städten. Auch die Grünen betonen in Hamburg, dass sie nicht für einen Mietendeckel sind wie in Berlin, sondern die Mietpreise durch mehr Wohnungsbau in den Griff kriegen möchten. Die linkeren Parteien sind hier also auch ein bisschen marktwirtschaftlicher unterwegs. Auch die CDU tritt hier nicht auf wie eine typische konservative Partei. Beim Thema Klimaschutz haben sie sich beispielsweise stark an die Grünen angelehnt. In Hamburg gibt es eine große liberale Mitte und dementsprechend sind auch die Parteien hier insgesamt liberaler als anderswo.
Wie können Sie darauf reagieren?
Wir sollten schon den Anspruch haben, nicht nur in die nächste Bürgerschaft einzuziehen, sondern auch zu wachsen und breite Bevölkerungsschichten anzusprechen. Dann muss man nicht um den Einzug bangen, sondern kann mit einem stabilen Ergebnis um die zehn Prozent immer wieder Leute begeistern, Ideen entwickeln und die Stadt voranbringen.
Mit welchen Ideen konkret könnte das passieren?
Es gibt schon auch Themen, bei denen man den Senat angreifen muss. Beispielsweise die ständigen S-Bahn-Ausfälle oder kilometerlange Staus jeden Morgen, das ist ein Thema, das fast alle Menschen beschäftigt. Da kann man nicht einfach darüber hinwegsehen und sagen, das wäre kein Problem.
Und allgemein? Wofür möchte die FDP in Hamburg stehen?
Die FDP ist eigentlich die Partei, die sieht, welches Potential in Hamburg steckt. Wir werden regiert wie eine Provinzstadt, aber haben das Potential zu einer Weltstadt. Wir müssten in vielen Bereichen ein Level hochschalten. Wir reden nicht alles schlecht, im Gegenteil, es geht eher um die Frage: Wo wollen wir in Zukunft hin? Wir wollen unsere Start-Up-Szene stärker machen und eine Alternative zu Berlin anbieten. Wir wollen in der Bildungspolitik dafür sorgen, dass wir nicht Letzter sind und mehr Chancengleichheit auch für die Menschen aus den weniger privilegierten Stadtteilen schaffen – anstatt wie der letzte Schulsenator uns die Zahlen schönzurechnen.
Was meinen Sie mit schönrechnen?
Da werden zum Beispiel Stunden, in denen gar kein Unterricht erteilt wurde, einfach als erteilt in die Statistik aufgenommen, weil die Schülerinnen und Schüler nicht das Schulgelände verlassen haben. Und es gibt einen dramatischen Mangel an Lehrkräften, der ignoriert wird. Das sind Themen, bei denen versucht wird, Trippelschritte zu gehen, es aber keine Vision gibt. Der Senat hat da keinen Anspruch, die Stadt so zu regieren, wie es den Menschen gebührt.
Warum sind Sie mit Ihren Sachthemen dann nicht durchgekommen?
In Hamburg haben wir uns unter anderem damit beschäftigt, ob Herr Tschentscher Bürgermeister bleibt oder wir eine grüne Bürgermeisterin kriegen. Man konnte also gar nicht sagen, dass es um eine Richtungsentscheidung für die Stadt ging. Es ging nur darum, ob es ein bisschen mehr Grün oder ein bisschen mehr Rot sein soll. Dadurch ging es oft kaum um Sachthemen, sondern eher darum, ob man jetzt der Meinung ist, dass endlich mal eine Frau Oberbürgermeisterin werden sollte. So gab es eine starke Zuspitzung auf Personalfragen. Wir sind eine Programmpartei und als solche spielt man dann einfach eine geringere Rolle. Frau Fegebank hat in einem Statement gesagt, dass es das Ziel war, die Oppositionsparteien auch ein Stück weit zu marginalisieren.
Das ist eine harte Ansage.
Ich finde auch, dass das eine krasse Aussage ist. Für eine lebendige Demokratie ist das nicht gut. Letztlich ist es natürlich Wahlkampf, aber ich fände es gut für die Stadt, wenn es auch in der Opposition andere Ideen gibt. Die Opposition muss kritische Fragen stellen und darüber hat sich die FDP-Fraktion in der vergangenen Legislaturperiode großen Respekt erarbeitet. Deswegen ist es nicht nur für uns selbst schade, dass es keine FDP-Fraktion mehr gibt, sondern auch für das Parlament und für Hamburg ein Verlust.
Kommen wir zu einem anderen Sachthema. Die Jungen Liberalen haben kürzlich in einem Tweet ihre Ablehnung der Frauenquote wiederholt – und dafür viel Kritik bekommen. Wie ist eigentlich Ihre Position dazu?
Mein Anliegen ist schon ganz lange, dass sich mehr Frauen für Politik interessieren, sich in politischen Parteien engagieren und für Ämter kandidieren – und im besten Fall auch gewählt werden. Ich glaube aber, dass Frauenquoten gerade bei uns Liberalen nicht der richtige Weg sind.
Warum nicht?
Zum einen fühlt es sich nicht gut an, als Frau darauf beschränkt zu werden, dass man eine Frau ist. Herr Röttgen hat ja angekündigt, seine Nummer zwei im Team ist auf jeden Fall eine Frau. Das ist ja einerseits schön, dass ihm auffällt, dass da sonst nur Männer im Gespräch für den CDU-Vorsitz sind. Trotzdem ist das Entscheidende nicht, dass es eine Frau ist, sondern welche Fähigkeiten, Ideen und Perspektiven er oder sie mitbringt. Und dann bin ich sehr froh, wenn das eine Frau ist. Aber dass Frauen kandidieren oder sich für Ämter zur Verfügung stellen, ist ja kein Werbegimmick, sondern es geht darum, dass die Besten für Jobs gewählt werden.
Qualifizierte Frauen gibt es ja viele. Würde nicht eine Quote genau dabei helfen, die in Ämter zu bringen?
Ich bin davon überzeugt, dass es sehr viele qualifizierte Frauen gibt und wünsche mir, dass diese auch in die entsprechenden Positionen kommen. Aber eine Quote führt dazu, wie man an Herrn Röttgen sieht, dass Frauen auf ihr Frausein reduziert werden und es gar nicht mehr um ihre Qualitäten und Fähigkeiten geht, sondern nur darum, dass sie eben den Frauenplatz ausfüllt. Und das finde ich respektlos. Frauenquoten können auch wie eine Art Obergrenze wirken. Wenn wir sagen, wir wollen 30 Prozent Frauen im Vorstand, dann geben wir uns vielleicht zu schnell zufrieden oder verhindern sogar, dass der Frauenanteil noch höher liegen kann.
Was schlagen Sie also stattdessen vor?
Ich bin immer gut damit gefahren, dass ich, wenn ich jemanden für eine Position gesucht habe, Frauen ganz konkret angesprochen habe. Oft habe ich Frauen auch Mut zugesprochen, weil sie nach meiner Erfahrung stärker selbst in Frage stellen, ob sie gewählt werden, ob sie das schaffen können und ob sie politische Ämter mit ihren beruflichen Verpflichtungen oder ihrer Ausbildung vereinbaren können. So eine Reflektiertheit würde ich mir andererseits manchmal auch von einigen Männern wünschen.
Es geht also nur über persönliches Engagement, sagen Sie?
Man muss sich noch mehr Mühe geben, um gute Frauen für Ämter zu gewinnen, aber es ist am Ende der lohnenswertere Weg. Ich habe in meinen Bundesvorständen häufig einen höheren Frauenanteil gehabt als in der Mitgliedschaft. In meiner ersten Amtszeit waren wir im Bundesvorstand sechs Frauen und fünf Männer. Im besten Fall sollten für alle Plätze immer Männer und Frauen kandidieren.
Und eine Quote wäre dabei nicht vielleicht hilfreich?
Ich bin überzeugt, dass wir wesentlich mehr gewonnen haben, wenn wir eine Kultur schaffen, in der Frauen gern Mitglied werden, sich trauen, für Führungspositionen zu kandidieren, sich auch gegenseitig Mut zusprechen und sich fördern, als durch eine Quote, die dazu führt, dass irgendjemand irgendwohin gesetzt wird. Dann hat man zwar die Quote erfüllt, aber die Machtstrukturen, die es aufzubrechen gilt, kein Stück verändert. Auch das Grundproblem, dass weniger Frauen als Männer überhaupt Mitglied in Parteien sind, wird so nicht angepackt.
Aber wie packt man das dann an?
Das kann sich nur ändern, wenn sich die Parteien selbst hinterfragen und ein attraktiveres Angebot schaffen. Ich glaube, es ist wirklich wichtig, dass sich Frauen gegenseitig unterstützen. Ich habe schon am Anfang meiner politischen Laufbahn aufgehört, Frauen als Konkurrentinnen zu sehen. Sie sind meine Verbündeten. Es ist auch wichtig, als Mentorin zur Verfügung zu stehen, um Frauen zu erklären, wie bestimmte Prozesse funktionieren, wie ich einen Antrag schreibe und was ich im Blick haben muss, wenn ich mich für eine Position in der Partei bewerben möchte. Und immer wieder auch zu sagen: Ich trau dir das zu. Du kannst das schon. Wenn du Hilfe brauchst, frag mich.
Es geht also darum, Netzwerke zu schaffen?
Ja. Wir haben auch schon Wochenendseminare gezielt für Frauen veranstaltet, wo man sich einerseits austauschen und andererseits auch mal über Themen sprechen kann, die sonst nicht so zur Sprache kommen, wie Abtreibung oder die politische Dimension von Verhütung. Da kann man Lösungen und Antworten finden, die dann auch wieder andere Frauen motivieren, sich mit Themen auseinanderzusetzen und sich in der Partei oder der Jugendorganisation zu engagieren.
Es schließt sich für Sie also nicht aus, liberal und Feministin zu sein?
Keineswegs. Ich bezeichne mich auch selbst als Feministin, denn ich kämpfe für die gleichen Rechte von Frauen und Männern und das ist ein ganz urliberaler Auftrag. Wenn man auf der einen Seite sagt, es soll keine Rolle spielen, welches Geschlecht jemand hat, muss man sich auf der anderen Seite auch dafür einsetzen, bestehende Hürden aus dem Weg zu räumen und Diskriminierungen abzubauen.