Ein Interview mit SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil über Horst Seehofers stetig unstete Flüchtlingspolitik, die Umfragewerte der SPD und rot-grüne Machtperspektive für die Zeit nach 2021.
Herr Klingbeil, das Bittere zuerst: Jüngste Umfragen sehen Ihre Partei bei 17 Prozent. Wie sehr beunruhigt Sie das?
Es war völlig klar, dass es bei dem Unions-Chaos der vergangenen Wochen keinen
einzigen Gewinner gibt. Schlechte Umfragewerte sind natürlich nie schön, aber
auch kein Grund, nervös zu werden oder ständig die Strategie zu wechseln. Die SPD geht jetzt einen langen geraden Weg. Wir tun das, wovon wir überzeugt sind. Das bringt vielleicht keine schnellen Erfolge, dafür aber nachhaltigere.
Profitiert vom Streit
zwischen CDU und CSU also allein die AfD?
Wenn man die Sprache und Politik der AfD kopiert, wie die CSU das macht,
dann muss man sich nicht wundern, wenn die Rechtspopulisten in den Umfragen
zulegen.
Wie erklärt man
jemandem, der, sagen wir, neu auf diesem Planeten ist, was da eigentlich in der
Groko passiert ist? Zwei streiten sich, ein Dritter darf's ausbaden und wacht verkatert
auf AfD-Umfrageniveau auf.
Man muss sich mal klarmachen, worum es bei dem Unions-Streit inhaltlich
ging: Um fünf Flüchtlinge pro Tag, die über Österreich nach Bayern kommen. Und deshalb
wird eine Regierung vier Wochen lang lahmgelegt. Das ist der Verdienst von
Horst Seehofer und Markus Söder.
Die SPD hat dazu eine klare Haltung: Mit uns gibt
es keine Demütigung von Geflüchteten und keine geschlossenen Lager. Das haben
wir durchgezogen und dafür gesorgt, dass der Quatsch, den die CSU wollte, nicht
kommt. Es ging CDU und CSU nie um Sachfragen, sondern um personelle Machtspiele.
Deshalb ist es auch wahrscheinlich, dass der Unions-Streit wiederkehrt. Die
inhaltliche Frage wäre doch in zwei Stunden zu lösen gewesen.
Und dann? Wie ist die
SPD für so einen Fall aufgestellt?
Zur Professionalität gehört es, sich auf alle Szenarien vorzubereiten.
Konkret
gefragt, wie haben Sie und die übrige Führungsspitze aus der SPD eigentlich von
den Inhalten der Einigung im Unionsstreit erfahren?
Dass es eine Einigung zwischen CDU und CSU gibt, haben wir aus den
Medien erfahren. Das ist ein normaler Vorgang. Es ist ja auch nicht so, dass
wir eine SPD-Präsidiumssitzung unterbrechen, um Frau Merkel und Herrn Seehofer
vorher zu informieren, was wir gleich beschließen werden.
In diesen Tagen fehlt
einem ein bisschen die Fantasie, wie eine Zusammenarbeit innerhalb der Groko in
Zukunft aussehen soll.
Über Migrationspolitik haben wir schon während der
Koalitionsverhandlungen stundenlang diskutiert. Auch jetzt im
Koalitionsausschuss. Am Ende haben wir eine Einigung erzielt. Wenn man sich
anschaut, wo Herr Seehofer mit seinen weitergehenden Forderungen gestartet ist
und wo er am Ende gelandet ist, dann muss man sagen: Seehofer ist krachend
gescheitert. Er wurde komplett entzaubert, es wird kein einziges Gesetz
geändert.
Seehofer hat am Dienstag endlich seinen Masterplan
vorgestellt. Der Begriff Transitzentren steht da aber noch drin...
Herr Seehofer hat aus dem Koalitionsvertrag und seit
vergangener Woche genügend Aufträge, die er abarbeiten muss. Mehr gibt es dazu
nicht zu sagen.
Täuscht der Eindruck,
dass Fragen von Migration und Integration derzeit fast ausschließlich unter den
Überschriften Abschottung und Abschiebung verhandelt werden? Was ist eigentlich
noch links in der Migrationspolitik der SPD?
Die SPD hat eine klare Haltung, was den Umgang mit Geflüchteten angeht: Menschen,
die verfolgt werden, müssen Schutz bekommen. Die SPD-Spitze hat sich zum
Beispiel in der Debatte um die Seenotrettung klar gegen Innenminister Horst
Seehofer positioniert und sich dafür ausgesprochen, Menschen von der „Lifeline“
auch in Deutschland aufzunehmen. Menschen in Not wird geholfen, das ist ein
unverrückbarer sozialdemokratischer Grundsatz.
Diese Haltung unterscheidet uns
klar von der CSU und inzwischen wohl auch von Teilen der CDU. Wir müssen aber
auch dafür sorgen, dass Menschen, die nicht hierbleiben können, darüber schnell
Klarheit haben und das Land wieder verlassen. Humanität und Ordnung. Beides
gehört zusammen.
Vorne in einem
Schaukasten vor Ihrem Büro in der SPD-Zentrale ist ein Kunstwerk mit einem
Papierboot und darauf die Aufschrift „etwas links von Mitte“.
Positionsbestimmung – Was ist links in der SPD?
Dass wir uns um die sozialen Fragen kümmern, ist unser Markenkern. Dabei
geht es zum Beispiel darum, Auswüchse bei der Leiharbeit und prekäre
Beschäftigung zu bekämpfen. Viele Menschen hangeln sich von Job zu Job und sind
nicht in der Lage, von ihrem Lohn ein anständiges Leben zu führen. Dann die
Umbrüche in der Arbeitswelt, die durch die Digitalisierung auf uns zukommen:
Die SPD ist die Partei, die die Menschen durch den digitalen Wandel führt, statt
zu sagen: 'Wenn du nicht mitkommst, hast du halt Pech.' Die SPD muss die Partei sein, die die Menschen durch den digitalen Wandel führt.
Wie wollen Sie das
erreichen?
Indem wir Menschen qualifizieren und fördern.
… Da schwingt bei
vielen gleich ein Fordern mit .
In der Debatte um den Sozialstaat beginnt jetzt die Phase nach Hartz IV.
Linke Politik der Zukunft bedeutet, die Menschen durch den Wandel zu begleiten.
Da sind Weiterbildung und Qualifizierung ganz zentral. Es muss aber auch darum
gehen, dass Menschen aufgefangen werden. Leute nach zwölf Monaten in die
Grundsicherung rutschen zu lassen, ist keine zeitgemäße Politik. Die SPD wird Verteilungsfragen in Zukunft stärker thematisieren.
Gehört zu einer
zeitgemäßen Antwort für Sie auch ein bedingungsloses Grundeinkommen?
Diese Debatte muss die SPD auf jeden Fall führen. Aber ich
wünsche mir, dass am Ende etwas Anderes dasteht als das bedingungslose
Grundeinkommen. Ich glaube an den Wert und die Bedeutung von Arbeit für unsere
Gesellschaft. Deswegen überzeugt mich das bedingungslose Grundeinkommen nicht.
"Mit uns zieht die neue Zeit!", heißt es in einem alten Parteilied. Die SPD galt immer
als Fortschrittspartei. Ist die SPD in diesen Zeiten plötzlich nicht mehr die
Partei des Vorwärts, sondern des Bewahrens vom Sozialstaat bis zu den Werten
der liberalen Demokratie?
Wir müssen heute wieder für Grundwerte kämpfen, die für meine Generation
lange selbstverständlich waren. Ich will nicht, dass Meinungsfreiheit,
Pressefreiheit, der gegenseitige Respekt voreinander mit Füßen getreten wird.
Wir haben einen US-Präsidenten, der sich öffentlich über Menschen mit
Behinderung lustig macht und dafür sogar von einem breiten Publikum angefeuert
wird. Dieser Verrohung, die im Kern die Grundsätze unserer liberalen,
wertebasierten Demokratie angreift, werde ich mit aller Macht entgegentreten.
Und das ist auch eine Aufgabe für die gesamte SPD.
Gleichzeitig steckt die SPD in einer ihrer größten Krisen. Sie haben die Probleme nach der
verlorenen Bundestagswahl analysieren lassen. Was hat sie da am meisten überrascht?
Vieles war zu erwarten. Was mich ein bisschen gestört hat, dass sich der
öffentliche Fokus sehr stark auf die Fehler einer einzelnen Person gerichtet
hat.
Sigmar Gabriel. War
die Personifizierung der Schuldfrage ein Fehler?
Wir haben die Analyse bewusst an eine unabhängige
Expertengruppe gegeben und uns da nicht eingemischt. Es war klar, dass wir uns
nicht jede Schlussfolgerung 1:1 zu eigen machen. Fakt ist aber: Unser
Wahlergebnis hat auch viel mit Strukturen zu tun. Und die verändern wir gerade,
damit sich Fehler nicht wiederholen.
Das heißt konkret?
Wir haben zum Beispiel damit angefangen, die Mitglieder regelmäßig
online zu beteiligen, um unsere Parteiarbeit zu verbessern. Es geht auch darum,
dass Entscheidungen nachvollziehbarer werden. Dazu gehört zum Beispiel, dass die
gewählten Gremien darüber entscheiden, wer Spitzenkandidat wird. Und nicht zwei
Männer im Hinterzimmer.
Schauen wir auf die
politischen Mitbewerber. Bei den Grünen fällt auf, dass der Ko-Vorsitzende
Robert Habeck sehr stark auch über soziale Fragen spricht. Beunruhigt Sie das?
Ich wünsche mir generell, dass wir mehr über soziale Fragen reden und
weniger über Migrationsthemen. Die Diskussion über Zuwanderung ist oft eine
Projektionsfläche für soziale Probleme. Es geht um Themen, die die Menschen im
Alltag interessieren: bezahlbaren Wohnraum in den Städten, Ärzteversorgung im
ländlichen Raum, Wandel der Arbeitswelt – wenn die Grünen diese Probleme auch
erkennen, finde ich das gut.
In der Linkspartei gibt es die Überlegung einer linken Sammlungsbewegung unter dem Arbeitstitel „Fairland“. Fürchten Sie um den Führungsanspruch links der Mitte? Nein, das beunruhigt mich nicht. Wenn ich mir angucke, wer da so alles mitmacht, hat das nicht viel mit linker Politik zu tun.
Das ist nicht die Zukunft der politischen Linken, die sich da formiert.
Der junge CSU-Politiker Alexander Dobrindt
macht auch auf APO von rechts, spricht von der „konservativer Revolution“. Was lässt sich
dem von links entgegensetzen?
Der Versuch einer Rechtsverschiebung in der Gesellschaft
ist erkennbar, das fängt bei Söder, Seehofer an, geht über den US-Botschafter
Richard Grenell bis hin zu Sebastian Kurz. Da gibt es eine gemeinsame Agenda.
Ich sehe aber auch bei vielen Menschen in den Gewerkschaften, den Kirchen und
der Zivilgesellschaft, dass sie sich diesen neuen Tönen entgegenstellen. Wir müssen weg
von einer Politik, die nur von Wut und Angst getrieben ist.
Könnte die
Verteidigung der liberalen Demokratie und ihrer Werte dann so etwas wie den soziokulturellen
Kitt für ein linkes Bündnis liefern?
Nochmal: Wir müssen weg von einem angstgetriebenen Diskurs hin zu einer
Politik, die gestaltend und optimistisch in die Zukunft blickt. Und da sehe ich
Fortschritte. Wir brauchen ein neues Sozialstaatsverständnis.
Ein Staat mit
freundlichem Gesicht, der Halt gibt und Partner der Bürgerinnen und Bürger in
ihren unterschiedlichen Lebensphasen ist, statt sie zu gängeln. Daraus wächst
neues Vertrauen. Im Übrigen finde ich, dass die Verbindung von sozialer
Gerechtigkeit und ökologischer Nachhaltigkeit die entscheidende Aufgabe für ein
Mitte-Links Bündnis werden kann.