Marie-Christine Ostermann war 27 Jahre alt, als sie neben ihrem Vater Geschäftsführerin im Familienunternehmen wurde. Fortan übernahm sie die Führung von 200 Mitarbeitern. Inzwischen sitzt sie im Aufsichtsrat der Fielmann AG, der bekannten Optiker-Kette mit Milliarden-Umsatz. Zwischenzeitlich war sie außerdem Schatzmeisterin der FDP, Vorsitzende des Verbandes Junge Unternehmer und gern gesehener Talkshow-Gast.
Im Interview mit watson erzählt Marie-Christine Ostermann, welche Schwierigkeiten sich ergeben, wenn man als junge Frau ein Unternehmen führt, weshalb sie trotzdem gegen eine Frauenquote ist und warum sie Annalena Baerbock für ein Vorbild hält.
"Er meinte, wir sollen mal schauen, ob ich das in zehn Jahren immer noch will."
watson: Sie sind mit 27 Jahren Geschäftsführerin des Großeinkauf Rullko geworden. Das ist ein Alter, in dem viele zum ersten Mal in die Berufswelt eintauchen. Sie hingegen haben mit Ihrem Vater zusammen die Leitung eines Familienunternehmens übernommen. War Ihnen mulmig?
Marie-Christine Ostermann: Mulmig war mir nicht. Ich hatte mich davor schon sehr gut vorbereitet und durch meine Eltern jeden Tag vorgelebt bekommen, was es heißt, Unternehmer zu sein.
Sie sind also auch hineingewachsen. War klar, dass Sie eines Tages übernehmen würden?
Meine Eltern haben mich zu nichts gezwungen. Aber ich habe mich schon als Kind sehr dafür interessiert und mit 16 Jahren erklärt, dass ich das Unternehmen in die Zukunft führen will.
Ganz schön mutig. Wie hat Ihr Vater damals darauf reagiert?
Er meinte, wir sollen mal schauen, ob ich das in zehn Jahren immer noch will.
Und Sie wollten.
Ja. Ich habe mich intensiv darauf vorbereitet und mein Ziel nicht aus den Augen verloren. Ich habe in St. Gallen Controlling und Rechnungswesen studiert. In der Zeit war ich auch im Ausland und habe in andere Unternehmen hineingeschnuppert. Außerdem wusste ich, ich würde später wieder in Hamm bei unserem Familienunternehmen sein und wollte auch ein wenig die Welt kennenlernen bis es so weit war.
"Man hat mich da ins kalte Wasser geschmissen, um Personalführung zu lernen."
Sie waren dann einige Zeit bei Aldi Süd. War das eine gute Vorbereitung?
Das war prägend. Man hat mich da ins kalte Wasser geschmissen, um Personalführung zu lernen. Ich hatte sechs Filialen mit ungefähr 70 Mitarbeitern unter mir. Aber in das eigene Familienunternehmen einzusteigen war dann letztlich noch einmal etwas ganz Besonderes, auf das ich mich lange gefreut habe.
Nicht jeder würde es als Traum empfinden mit dem eigenen Vater zusammenzuarbeiten. Gab es auch schwierige Momente?
Das hat immer Vor- und Nachteile mit der eigenen Familie zu arbeiten. Ich war sehr nah dran an meinem Vater und da wurde es bei Meinungsverschiedenheiten auch mal emotional. Er ist ein ziemlicher Patriarch und das war nicht immer einfach für mich. Aber ich hatte immer ein gutes Verhältnis zu meinem Vater, deshalb hat das an sich gut funktioniert.
Sie sagen, Ihr Vater war ein Patriarch im Unternehmen. Sie sind eine junge Frau. Wie hat das mit dem Übergang geklappt? Hat man Sie dort ernst genommen?
Das hat sehr gut geklappt, weil ich gut vorbereitet war und souverän auftrat.
Gab es keine Situationen, in denen Ihre Autorität auch mal in Frage gestellt wurde?
Doch. Es gab beispielsweise eine Situation bei einer Weihnachtsfeier, bei der mir ein Mitarbeiter gesagt hat, dass er schon zig Jahre dabei ist und ich komplett neu. Er fragte mich, wie das funktionieren soll, dass ich jetzt hier die Führung übernehme.
Über die Frauenquote bei Vorständen von Unternehmen:
"Für mich ist das Schaufensterpolitik."
Wie haben Sie reagiert?
Ich habe dem Mitarbeiter erklärt, dass er sich freuen kann, dass ich da bin. Ansonsten hätte das Unternehmen vielleicht verkauft werden müssen. So gesehen, habe ich ihm seinen Arbeitsplatz gesichert.
Hat das geholfen?
Ja. Ich habe mich dann auch eingearbeitet und war mir nicht zu schade, auch mal jede Aufgabe im Unternehmen zu übernehmen. So habe ich mir meinen Respekt erarbeitet.
Nicht jede Frau hat die Chance, das Familienunternehmen zu übernehmen. Die allermeisten Frauen werden nie Teil eines Vorstandes. Sie gelten als entschiedene Gegnerin einer Frauenquote in Vorständen von Unternehmen. Warum?
Von dieser Frauenquote sind nur ganz wenige der 40 Millionen Frauen in Deutschland betroffen. Für mich ist das Schaufensterpolitik. Das setzt nicht an den Ursachen an und nützt daher auch nichts.
Was sind die Ursachen Ihrer Meinung nach?
Das hat sehr viel mit unserem tradierten Rollenverständnis zu tun. Es ist immer noch eine Ausnahme als Frau eine Führungsposition innezuhaben. Viele Frauen kümmern sich auch lieber um Kinder und Familie. Das ist in unseren Köpfen nach wie vor sehr stark verankert.
"Ihr scheint es zu gelingen, Familie und politische Arbeit unter einen Hut zu kriegen."
Wie kann man das ändern?
Durch starke Vorbilder.
Bei den Grünen kandidiert jetzt eine junge Frau mit zwei kleinen Kindern. Ist Annalena Baerbock für Sie so ein Vorbild?
Ihr scheint es zu gelingen, Familie und politische Arbeit unter einen Hut zu kriegen. Ich bin inhaltlich mit den Grünen definitiv meistens nicht einer Meinung, aber dass sie das so hinbekommt und nun für das Kanzleramt kandidiert, finde ich stark.
Woran liegt es noch, dass Frauen sich so selten für eine Laufbahn als Unternehmerin entscheiden?
Das beginnt schon früh, beispielsweise im Kindergarten. Mädchen wird beigebracht mit Puppen zu spielen, statt mit Autos. Ich glaube, es wäre gut, man würde mehr Mädchen auch mal einen Roboter schenken. Außerdem ist auch unser Schulsystem dafür verantwortlich. Das ist sehr traditionell. Ich habe den Eindruck, dass es immer noch so ist, wie es war, als ich zur Schule gegangen bin. Da wird Mädchen wenig Begeisterung für Technik, Gründungen oder Unternehmensführung beigebracht. Von der mangelhaften Digitalisierung an Schulen ganz zu schweigen, wie man aktuell miterlebt.
Als Antwort darauf haben Sie mit der Gründerin Verena Pausder zusammen den Verein "Startup-Teens" ins Leben gerufen. Was ist die Idee dahinter?
Umfragen belegen, dass die meisten jungen Menschen gerne als Beamte arbeiten möchten. Das Hauptziel ist Sicherheit am Arbeitsplatz. Wir brauchen für die Zukunft in unserem Land aber auch Unternehmer, die Ideen haben und bereit sind, Risiken einzugehen. Das wollen wir fördern. Dafür haben wir eine digitale Bildungsplattform gegründet, die erreicht jeden mit Internetanschluss und einem Endgerät. Da spielen soziale Herkunft oder Geschlecht keine Rolle.
Über Deutschland 2030:
"Es sollte ein besseres Bildungssystem haben und dem Thema Bildung einen anderen Stellenwert einräumen als heute."
Wie funktioniert das konkret?
Über YouTube kann man kostenlos Lernvideos rund ums Gründen und zu Coding von uns anschauen. Da werden Grundlagen der Unternehmensgründung und -führung sowie Programmieren beigebracht. Außerdem haben wir ein Mentorenprogramm, bei dem Mentoren Jugendliche über mehrere Jahre begleiten und helfen, ihr eigenes Unternehmen zu gründen und ihre Ideen umzusetzen. Mit Live-Formaten und praxisnahen Veranstaltungen inspirieren wir Jugendliche bundesweit und vernetzen sie mit unserer Community. Und zusätzlich gibt es noch eine Businessplan-Challenge für Schülerinnen und Schüler zwischen 14 und 19 Jahren, bei der es siebenmal 10.000 Euro als Start- oder Investitionskapital für die eigene Idee zu gewinnen gibt.
Um die Non-Profit-Initiative zu unterstützen, haben Sie jetzt ein Buch herausgegeben, dass sich "Zukunftsrepublik" nennt und in dem 80 Autoren ihre Zukunftsvision für Deutschland erörtern. Die Erlöse aus dem Buchverkauf gehen an "Startup-Teens". Wie wird Deutschland Ihrer Meinung nach 2030 aussehen?
Es sollte ein besseres Bildungssystem haben und dem Thema Bildung einen anderen Stellenwert einräumen als heute. Mit Digitalisierung und Lehrerfortbildung sollte es zeitgemäßer und zukunftsorientierter gestaltet werden. Es geht mir dabei aber nicht nur um Deutschland.
Sondern?
Auch um Europa. Wir brauchen einen Mentalitätswechsel. Vieles wird heute auf europäischer Ebene entschieden. Wie hemmend dabei die Bürokratie ist, haben wir gerade alle bei der Beschaffung von Impfstoff gegen das Coronavirus erlebt. Das ist grandios gescheitert. Wenn wir auf EU-Ebene endlich mal eine Macher-Mentalität hätten, die entschlossener vorangeht, anstatt immer nur Risiken zu minimieren, würden wir deutlich mehr erreichen.
"Ich bin absolut überzeugt davon, dass wir einen Zertifikate-Handel für Emissionen brauchen."
Wie sieht es in Sachen Nachhaltigkeit aus? Was muss die EU tun, um ihre Ziele zu erreichen?
Ich bin absolut überzeugt davon, dass wir einen Zertifikate-Handel für Emissionen brauchen.
In Deutschland werden CO2-Emissionen bereits besteuert.
Mit einer CO2-Steuer kann man aber nicht die exakte Höhe der Emissionen festhalten und deckeln. Mit einem Zertifikate-Handel dagegen schon. Außerdem schaffen wir Nachhaltigkeit über den Wettbewerb. Ich glaube, dass ein Zertifikate-Handel richtigen Anreize für den Markt setzt und dafür sorgt, dass alle Marktteilnehmer effizient eingebunden werden.
Denken Sie, dass das ausreicht, um die angestrebte CO2-Neutralität zu erreichen?
Ich denke, dass Innovationen uns dabei helfen werden. Dabei können Ideen entwickelt werden, wie wir mehr CO2 einsparen. Von Verboten, wie sie oft gefordert werden, halte ich nichts.
Bild: Zukunftsrepublik.de
"Zukunftsrepublik. 80 Vorausdenker*innen springen in das Jahr 2030" ist am 10. Februar 2021 im Campus Verlag erschienen. Es kostet 24,95 Euro und umfasst 349 Seiten.
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