Aimée van Baalen ist 22 Jahre alt, arbeitet in einem Dresdener Tattoo-Studio und will die Welt retten. Deshalb ist sie Teil der Klima-Protestbewegung "Aufstand der letzten Generation". Die Aktivistinnen machen seit einigen Wochen vor allem mit der Blockade von Autobahnen Schlagzeilen.
Die Aktionen sorgen bei vielen Menschen für Unverständnis, auf der Straße werden manche sogar handgreiflich.
In den Sozialen Netzwerken kursieren Videos von aufgebrachten Bürgern, die Protestierende von der Fahrbahn zerren. Auch namhafte Politikerinnen verurteilen die Aktionen.
Nach Berlins Regierender Bürgermeisterin Franziska Giffey ist mittlerweile auch Grünen-Chefin Ricarda Lang auf Distanz gegangen, obwohl sie noch vor einigen Tagen Verständnis für die "Letzte Generation" äußerte. In der ZDF-Talk-Sendung "Markus Lanz" am Mittwoch sagte sie nun: "Ich halte davon nichts."
Im Gespräch mit watson reagiert die Aktivistin Aimée van Baalen auf die Stimmen der Kritiker, spricht über die Ziele der Bewegung und erzählt, wie es sich anfühlt, von wütenden Autofahrern angeschrien zu werden.
watson: Aimée, wie bist du zum "Aufstand der letzten Generation" gekommen?
Aimée van Baalen: Ich war schon vor ein paar Jahren bei anderen Umweltschutzgruppen aktiv. Dann habe ich schnell gemerkt, dass die Proteste leider nicht zu den gewünschten Ergebnissen geführt haben, also zur nötigen Einsparung von CO2.
Das hat mich enttäuscht und dann, bin ich auf den "Aufstand" und seine Ziele aufmerksam geworden.
Wie ist der "Aufstand" entstanden?
Das Ganze hat im vergangenen Jahr mit dem Hungerstreik im Regierungsviertel begonnen. Ziel war ein Gespräch mit Olaf Scholz…
…was dann auch geklappt hat.
Genau. Da wurde klar: Ziviler Ungehorsam kann funktionieren. In dem Gespräch haben wir aber auch gemerkt, dass Scholz nicht der Klimakanzler ist, als der er sich gerne präsentiert. Und dass er das Ausmaß der Katastrophe, auf die wir zusteuern, nicht versteht. Dadurch wurde uns bewusst, dass der Protest für eine zukunftstaugliche Veränderung weitergehen muss.
Was sind eure Kernforderungen?
Zunächst ein "Essen retten"-Gesetz, das Konzerne verpflichtet, genießbare Lebensmittel zu spenden. Das würde dann zum Beispiel der Tafel zugutekommen.
Dann fordern wir eine Agrarwende bis 2030. Der Bürgerrat Klima hat gemeinsam mit Experten verschiedene Maßnahmen dafür entwickelt, die dringend umgesetzt werden sollten. Wir müssen uns fragen, wie wir alle in der Bevölkerung auch in Zukunft noch ernähren wollen.
Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) hat euch vor Kurzem kritisiert. Sie nennt die Autobahn-Blockaden "grenzüberschreitend und nicht zu akzeptieren". Wie reagierst du darauf?
Nach unserem Aktionskonsens werden Rettungswagen stets durchgelassen, wir bilden immer eine Rettungsgasse und wünschen uns dasselbe von den Autofahrerinnen und Autofahrern.
Wenn die Regierung eine Politik machen würde, die sich an den wissenschaftlichen Grundlagen orientiert und beispielsweise die Kipppunkte miteinbezieht, die wir zeitnah überschreiten werden, dann würden wir uns nicht aus Sorge um die Zukunft der Menschen, die wir lieben, dazu verpflichtet fühlen, auf die Straße zugehen.
Wir brauchen einen politischen Kurs, der uns alle schützt. Und wir brauchen mutige Entscheidungen und das nicht erst in der nächsten Wahlperiode.
Der Hungerstreik fand nah an den politischen Entscheidungsträgern statt. Warum nun die Autobahnen?
Einerseits hat man in der Vergangenheit gesehen, dass Straßenblockaden sehr viel bringen: bei der Frauenrechtsbewegung zum Beispiel, oder bei Martin Luther Kings Kampagne.
Und wir haben ja vorher im Regierungsviertel demonstriert, auch Fridays For Future hat das getan. Das hat leider alles nicht so viel gebracht. Da gab es viel Aufmerksamkeit, aber echte Erfolge blieben aus.
Deshalb ist es an der Zeit für ein symbolisches Stopp-Zeichen. Wir brauchen jetzt eine Kursänderung und die Aufmerksamkeit des ganzen Landes, damit sich etwas an dem aktuellen System ändern kann.
Du warst auch auf der Autobahn dabei?
Ich wurde bisher einmal festgenommen.
Wie war das?
Das ist auf jeden Fall eine krasse Erfahrung. Es ist nicht schön, dort zu stehen. Niemand hat Lust darauf, sich anschreien zu lassen und die Wut der Bürger abzukriegen. Aber wir haben viel größere Angst vor der Zukunft. Wir haben keine Zeit mehr, uns bleiben noch zwei bis drei Jahre, um das Ruder rumzureißen.
Bist du auch von wütenden Autofahrern angegangen worden?
Ja. Man steht da in einer Reihe, teilweise vor riesigen LKWs und großen, starken Männern. Das ist nicht ohne, gerade wenn sie auf einen zukommen.
Ich verstehe den Unmut absolut, wenn sie zu einem wichtigen Termin müssen und keine Lust auf uns haben. Aber wir sind ein bisschen wie ein Feuermelder: Niemand hat Lust, dass der Krach macht, aber er ist lebenswichtig.
Die Erfahrungen auf der Autobahn bewegen einen und man fühlt sich auf der einen Seite schlecht aufgrund der unangenehmen Situation. Auf der anderen Seite weiß ich aber auch, dass ich das Richtige tue. Solange die Regierung nicht handelt und ihren Job macht, haben wir keine andere Möglichkeit.
Aber braucht ihr am Ende nicht eher die Sympathien der arbeitenden Bevölkerung, die ihr damit ein Stück weit verspielt?
Momentan brauchen wir vor allem die Aufmerksamkeit und das nicht nur von einigen, sondern von allen. Wir würden uns von ganzem Herzen wünschen, wenn sich mehr Menschen mit uns auf die Straße stellen und für die Zukunft ihrer Kinder und Enkelkinder demonstrieren.
Für eine Zukunft, in der wir nicht eine Milliarde Klimaflüchtlinge haben und uns Gedanken darüber machen müssen, wie wir Essen auf unsere Teller kriegen. Solange die Menschen das aber nicht tun, können wir auch nicht darauf verzichten. Irgendjemand muss es tun, solange die Regierung nicht handelt und vor allem, solange unser Zeitfenster dafür noch nicht geschlossen ist.
Dafür landen einige von euch in Gewahrsam.
Ja, in Berlin waren es drei Blockaden, das hat fast alle teilnehmenden Bürgerinnen betroffen. Mittlerweile sind sie wieder draußen.
Grünen-Chefin Ricarda Lang hat sich anfangs positiv zu euch geäußert. Hat sie konkrete politische Zusagen gemacht?
Nein, hat sie nicht. Wir kriegen häufig Versprechen und Zustimmung. Einige Politiker sagen, sie finden unsere Forderungen super. Und dann kommt das große Aber: Es heißt dann, wir handeln noch nicht jetzt, oder wir werden das schon irgendwann regeln. Es wird aber nie konkret gesagt, wie es geschafft werden soll, dass wir nicht auf eine drei, vier, fünf Grad wärmere Welt zusteuern. Das hat mich auch bei Ricarda Lang gestört.
Sie spricht immer noch von 1,5 Grad-Ziel und von einem CO2-Budget, dass es de facto einfach nicht gibt. Wir werden 1,5 Grad schon 2030 überschreiten. Damit ist das Pariser Klimaabkommen sowieso schon hinfällig. Wir brauchen härtere Maßnahmen, um nicht in eine noch dystopischere Zukunft zu schauen. Da helfen leere Versprechen leider nichts.
Bei "Markus Lanz" verurteilte Lang nun die Blockaden, wenn dadurch Menschen gefährdet würden.
Es braucht immer Mut, für das Richtige einzustehen, noch bevor es der Rest der Bevölkerung tut. Die Suffragetten (Vorkämpferinnen für das Frauen-Wahlrecht, Anm. d. Red.) haben Mehrheiten geschaffen, obwohl die Proteste zu Beginn als unangenehm empfunden wurden.
Außerdem stehen unsere Forderungen im Koalitionsvertrag und die Mehrheit der Menschen findet es unlogisch, Essen wegzuwerfen. Es muss endlich etwas dafür getan werden, diese Verschwendung zu stoppen.
Wann haben die Autofahrer wieder freie Fahrt?
Sobald die Regierung uns verspricht, dass sie das "Essen retten"-Gesetz einführen wird, und dass sie in den ersten hundert Tagen ihrer Amtszeit über eine Agrarwende diskutieren und Maßnahmen dafür festlegen wird. Wenn das passiert ist, gehen wir von der Straße.
Zum Weiterlesen: Mai Thi Nguyen-Kim bei Luisa Neubauer zur Klimakrise: "Wenn man jetzt anfängt, ist es einfacher"
Klimaproteste: Die "Letzte Generation" droht den Kampf um die Herzen der Menschen zu verlieren
Wird es Zeit für eine Agrarreform? Wie junge Landwirte die aktuelle Situation erleben