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Interview

Deutscher Ökonom in den USA: "Man hätte im März harte Entscheidungen treffen müssen"

Lockdown in der Gastronomie Hamburger Eckkneipe in der Jarrestra
Vier Wochen lang müssen Lokale schließen.Bild: www.imago-images.de / Chris Emil Janssen
Interview

Deutscher Ökonom in den USA: "Man hätte im März harte Entscheidungen treffen müssen"

30.10.2020, 12:09
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Der Kinobesuch zum Feierabend, zum Entspannen in die Sauna gehen, mit Freundinnen und Freunden ein Bier in der Kneipe trinken: Ab Montag ist all das in Deutschland erst einmal nicht mehr möglich. Einen Monat lang soll der "Wellenbrecher-Lockdown" dauern, auf den sich Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und die Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten der Länder am Mittwoch geeinigt haben.

Was bedeutet die November-Schließung für die Lokale und Einrichtungen, die jetzt zusperren müssen? Wie gut wird Deutschland aus dieser Krise kommen? Watson hat darüber mit Wirtschaftswissenschaftler Rüdiger Bachmann gesprochen.

watson: Herr Bachmann, was halten Sie vom deutschen "Wellenbrecher-Lockdown"?

Es gibt drei Varianten, wie man mit dieser Pandemie umgehen kann. Erstens, gar nichts tun und sie laufen lassen. Zweitens, die asiatisch-pazifische Variante: harter Lockdown am Anfang und so das Coronavirus faktisch ausrotten. Neuseeland ist da für mich das große Vorbild. In Deutschland hat man sich, wie fast überall in Europa, auf eine Mittelstrategie verständigt: die Maßnahmen nur dann verschärfen, wenn die Infektionszahlen wieder steigen. Das bedeutet dann aber, dass das Virus immer wieder kommt. Die Maßnahmen, die jetzt beschlossen worden sind, passen in diese Philosophie. Aber ich frage mich, ob diese Philosophie die richtige ist. Ich finde das neuseeländische Modell besser.

"Man hätte im März harte Entscheidungen treffen – und sagen müssen, dass in Deutschland mit wenigen Ausnahmen eben alle Menschen drei bis vier Wochen lang zu Hause bleiben müssen."

Neuseeland ist ein relativ isolierter Inselstaat. Wäre das neuseeländische Modell – ein harter Lockdown mit dem Ziel, das Virus auszurotten – überhaupt möglich in Deutschland, das mitten in Europa liegt und wirtschaftlich eng mit seinen Nachbarländern verbunden ist?

Das geht schon. Man hätte im März harte Entscheidungen treffen – und sagen müssen, dass in Deutschland mit wenigen Ausnahmen eben alle Menschen drei bis vier Wochen lang zu Hause bleiben müssen. Waren hätten weiterhin über Grenzen gehen können. Für Personen hätte das ja nicht bedeutet, dass man die DDR wiederaufbaut. Man hätte das zunächst europaweit oder zumindest in Deutschland so regeln können, dass Grenzübertritte nur noch mit nachfolgender Quarantäne möglich sind, und zwar längerfristig. Das hätte bedeutet: Der Kurztrip nach Malle wäre zwar weiterhin erlaubt, aber faktisch unrentabel geworden. Das Gute wäre dann aber gewesen, dass man später nicht nur die Schulen hätte öffnen können, sondern auch die Partymeilen in Berlin-Kreuzberg. Und über Tests, Contact Tracing und bessere Belüftungsanlagen, wo ich immer noch massive Defizite sehe, hätte man dann neue Ausbrüche wieder kontrollieren oder gar nicht erst entstehen lassen können. Jetzt kann man einen so harten Lockdown aber nicht mehr machen.

Warum nicht?

Weil es dafür jetzt keine Akzeptanz geben würde. Wir können jetzt nicht mehr sagen, dass alle Menschen drei, vier Wochen lang vorgezogene Weihnachtsferien machen sollen. Der Zug ist abgefahren. Jetzt müssen wir eben mit dem Virus tanzen, und dazu gehören immer wieder auch härtere Einschnitte. Die Maßnahmen jetzt sind wie eine sehr hohe Steuer auf das Aus-dem-Haus-Gehen und Zusammenkommen. Die Bundesregierung und die Landesregierungen wollen vor allem erreichen, dass möglichst viele Menschen zu Hause bleiben. Es geht hier meines Erachtens gar nicht so sehr um bestimmte einzelne Aktivitäten als Infektionsherde, sonst könnte man nicht erklären, warum Friseure offen bleiben dürfen, nicht aber Massagestudios. Sondern einfach darum, möglichst viele Menschen zum Daheimbleiben zu bewegen.

Zwei Bierflaschen und eine Flasche Handdesinfektionsmittel stehen auf einem Tisch vor der geschlossenen Gastst�tte zum Glaskasten in der Saarlandstra�e in Hamburg, Bars, Kneipen, Gastst�tten und Resta ...
Unternehmen, die wegen des Lockdowns dichtmachen müssen, soll 75 Prozent ihres Umsatzes ersetzt werden. Bild: www.imago-images.de / HANNO BODE
"Wir wissen aus der Forschung, dass bei einer Pandemie viele Einbußen daher kommen, dass die Leute ohnehin freiwillig zu Hause bleiben."

In Deutschland heißt es oft, dass eine zu scharfe Pandemie-Bekämpfung der Wirtschaft schadet. Sie haben immer wieder gesagt, dass Corona-Maßnahmen und das Wohl der Wirtschaft gar nicht im Gegensatz zueinander stehen. Warum sehen Sie das so?

Für einzelne Branchen gibt es diesen Gegensatz schon: für Messebauer, Gastronomen oder Künstler zum Beispiel. Aber erstens werden diese Leute jetzt von der Bundesregierung relativ großzügig entschädigt, mit 75 Prozent ihres Umsatzes. Und zweitens müssen auch diese Branchen überlegen, wie es ihnen jetzt ginge, wenn man der Pandemie einfach freien Lauf ließe. Wer will denn ins Restaurant gehen, wenn er sich dort infiziert, vielleicht schwer erkrankt oder sogar stirbt? Wir wissen aus der Forschung, dass bei einer Pandemie viele Einbußen daher kommen, dass die Leute ohnehin freiwillig zu Hause bleiben – egal, was der Staat verbietet oder vorschreibt. Die Pandemie-Bekämpfung ist das beste Konjunkturprogramm.

Sie haben die Entschädigungen schon angesprochen: Die Bundesregierung will vom Lockdown betroffenen Betrieben 75 Prozent ihres Umsatzes vom November 2019 ersetzen. Reicht das?

Das ist schon sehr großzügig. Den Unternehmen wird ja der Umsatz erstattet, nicht nur der Gewinn. Und das in einem Monat, in dem sie deutlich weniger Kosten haben werden, weil sie ihre Betriebe nicht öffnen. Aber das ist auch okay: Diese Unternehmen haben ja im Frühjahr und Sommer schon genug gelitten.

"Was glauben denn diese Leute, was passieren würde, wenn die Infektions- und Todeszahlen weiter steigen würden? Da würde doch auch fast niemand mehr in die Kneipen gehen."

Die Vertreter der Branche sehen das deutlich kritischer. Der Hotel- und Gaststättenverband DEHOGA spricht schon darüber, gegen den Lockdown klagen zu wollen.

Es ist doch klar, dass die Lobbyisten der jeweiligen Branchen motzen. Aber was glauben denn diese Leute, was passieren würde, wenn die Infektions- und Todeszahlen weiter steigen würden? Da würde doch auch fast niemand mehr in die Kneipen gehen.

Rüdiger Bachmann ist Wirtschaftsprofessor an der University of Notre Dame im US-Bundesstaat Indiana. Bachmann veröffentlicht regelmäßig in großen deutschen Medien und diskutiert intensiv auf Twitter über aktuelle wirtschaftspolitische Fragen.

Dieses erneute Rettungsprogramm für die Betriebe soll nochmals 10 Milliarden Euro kosten. 72,5 Milliarden Euro Neuschulden netto hat Bundesfinanzminister Olaf Scholz in diesem Jahr schon gemacht. Wie lange kann sich der Staat diese neuen Schulden noch leisten?

Die 10 Milliarden sind noch locker drin, da muss sich niemand Sorgen machen. Die Frage ist eher: Wie lange können wir diese Rettungsprogramme noch durchhalten? Auch da frage ich mich, ob ein härterer, aber kürzerer Lockdown zu Beginn der Pandemie nicht besser gewesen wäre. Aber dass manche Leute jetzt schon kommen und vor zu hohen Staatsschulden warnen, ist aus meiner Sicht Propaganda. Das ist außerhalb der Top Ten der Probleme, die wir momentan haben.

Erst der halb-euphorische Sommer der Lockerungen, jetzt der düstere Lockdown-November: Wie schädlich ist dieses emotionale Auf und Ab für die Wirtschaft?

Das ist tatsächlich ein Problem. Der erneute Lockdown zermürbt die Bürger, die politische Unsicherheit steigt. Das dürfte schon dazu führen, dass Unternehmer Investitionen oder Bürger private Anschaffungen aufschieben. Für mich ist das noch ein Argument dafür, dass ein harter Lockdown am Anfang besser gewesen wäre.

German Chancellor Angela Merkel (CDU) takes off her mask after a press conference at the Chancellery in Berlin, Wednesday, Oct. 28, 2020. Merkel is pressing for a partial lockdown as the number of new ...
Bundeskanzlerin Angela Merkel bei der Pressekonferenz zum Lockdown-Beschluss. Bild: ap / Fabrizio Bensch

Sie selbst leben in den USA und erleben die dortige Corona-Politik hautnah, mit ganz unterschiedlichen Maßnahmen in den Bundesstaaten und einem Präsidenten in Washington, der die Pandemie kleinredet und keine Verantwortung übernimmt. Wie sehen Sie Deutschland im Vergleich dazu?

Deutschland steht da natürlich viel besser da. Dort gibt es immerhin Bundespolitiker, die sich um die Pandemie kümmern. In den USA gab es am Anfang kräftige Unterstützung für die Wirtschaft, aber die ist auch ausgelaufen, weitere Hilfspakete sind aus wahltaktischen Gründen nicht verabschiedet worden. Hoffentlich wird das nach der Präsidentschaftswahl besser.

Viele Menschen fragen sich, wie es nach Corona weitergeht, wenn wir also endlich so weit sind, dass wir ohne Einschränkungen mit dem Virus klarkommen. Gabriel Felbermayr, Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft, hat gegenüber der "Zeit" von "schweren, nachhaltigen Wohlstandseinbußen" gesprochen, die ein zweiter Shutdown mit sich bringe. Sehen Sie das auch so düster?

Die Aussage ist mir zu pauschal. Wie gesagt, wenn ich der König von Deutschland wäre, würde ich mich für einen harten Lockdown nach neuseeländischem Modell entscheiden, um das Virus weitgehend auszurotten. Aber das geht natürlich nicht mehr in einer Demokratie. Würde man das jetzt machen, gäbe es bürgerkriegsähnliche Zustände. Deswegen versucht man eben jetzt in Deutschland, die Menschen zu Hause zu halten, die Infektionszahlen wieder nach unten zu drücken und dann auf den Impfstoff zu warten.

Sie sind also optimistischer für Deutschland.

Ja. Wir werden keine Massenarmut in Deutschland erleben. Durch Pandemien gibt es immer Wohlstandseinbußen, das ist unvermeidlich, so wie bei anderen Naturkatastrophen auch. Aber die Alternativen zu einem Lockdown wären noch schädlicher.

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