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Interview

Exil-Iraner zum Konflikt zwischen USA und Iran: "Der Feind sind nicht die USA"

Dec. 5, 2011 - Khorramabad, Iran - Mullah from behind. Every year to mark the death of Imam Hussein, Shia Muslims mourn for two days. In Khorramabad and Lorestan in the west of Iran, during the first  ...
Tausende Iraner haben das Land wegen des Mullah-Regimes verlassen. Was macht der Iran-USA-Konflikt mit Iranern im Exil?Bild: imago/ZUMA Press
Interview

Exil-Iraner: "Der Feind sind nicht die USA, sondern sitzt im Iran"

13.01.2020, 10:26
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Hamid Nowzari ist 20 Jahre alt, als im Iran die alte Welt zusammenbricht. Die Islamische Revolution 1979 führt zur Absetzung des Schahs und zum Ende der konstitutionellen Monarchie. Nowzari ist da gerade Student, politisch, links und für die Revolution.

Wie er feiern zunächst viele das Ende der Monarchie und den Aufbruch in eine neue Zeit. Doch die religiösen Fundamentalisten um Ajatollah Chomeini ersticken die Hoffnungen schnell und errichten ihre Version einer islamischen Republik.

Das Mullah-Regime macht aus dem Iran ein Land ohne Menschenrechte, ohne Opposition und ohne Musik. Für Nowzaris gibt es in diesem Iran keine Zukunft. Mit ihm verlassen tausende Regime-Gegner das Land.

Im Februar 1980 kommt Hamid Nowzari dann in Westberlin an. 40 Jahre ist das her. 40 Jahre war Nowzari nicht mehr in seiner alten Heimat. Heute ist Hamid Nowzari Geschäftsführer des Vereins iranischer Flüchtlinge in Berlin e.V und hilft Geflüchteten in Deutschland Fuß zu fassen.

Was macht der Iran-USA-Konflikt mit Iranern im Exil? Hat die gezielte Tötung des iranischen Generals Soleimani durch das US-Militär auch Auswirkungen auf Nowzaris Arbeit in Deutschland? Ein Gespräch.

watson: Wie ist es, wenn man vier Jahrzehnte nicht mehr in das Land kann, in dem man geboren wurde?

Hamid Nowzari: Das ist hart. Hart, zu wissen, dass ich mich nicht bewegen kann, wie ich möchte. Wäre ich zurückgekehrt, hätte ich alles aufgeben müssen: meine Meinung, meine politischen Aktivitäten – und das wollte und werde ich nicht.

"Kurzfristig hat Soleimanis Tod zu einem Schulterschluss geführt", sagt Hamid Nowzari
"Kurzfristig hat Soleimanis Tod zu einem Schulterschluss geführt", sagt Hamid NowzariBild: privat

Was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie von der gezielten Tötung des iranischen Generals Soleimani durch das US-Militär gehört haben?

Genugtuung, offen gesagt. Ich empfand zunächst Freude darüber, dass ein Typ wie Soleimani weg ist. Er war der Chef einer der berüchtigsten Einheiten des Iran, der Quds-Brigaden. Sie wurden gegründet, um die Ideologie und Herrschaft des Mullah-Regimes zu verbreiten und die Feinde des Regimes im Land als auch außerhalb des Landes zu eliminieren. Diese Einheit war in den letzten 30 Jahren verantwortlich für Terroranschläge im In- und Ausland. Daher habe ich immer gehofft, dass der Verantwortliche für diese Einheit zur Rechenschaft gezogen würde. Natürlich hätte ich mir gewünscht, dass das vor einem Gericht passiert.

Nach anfänglicher Freude kam dann aber die Ernüchterung.

Ja, das war natürlich eine völkerrechtswidrige Aktion. Fragen kamen auf: Wem nützt das jetzt? Kommt es zu Racheaktionen? Kommt es zum Krieg? Ich fürchtete, dass es vor allem dem Regime nützt. Und diese Befürchtungen haben sich schnell bewahrheitet. Die Kluft, die in den letzten Jahren zwischen Regime und Bevölkerung entstand, ist dadurch zunächst kleiner geworden. Noch vor einigen Wochen gab es Proteste im Iran, die blutig niedergeschlagen wurden. Darüber spricht jetzt niemand mehr. Der Tod Soleimanis hat das überlagert. Und das Regime nutzt den Tod, um diese Verbrechen zu verschleiern.

Kurzfristig hat Soleimanis Tod zu einem Schulterschluss geführt. Aber langfristig funktioniert das auf keinen Fall. Dafür sind die Probleme im Land zu groß.

Nach der Tötung Soleimanis gingen Bilder von trauernden Menschen und Protesten auf Irans Straßen um die Welt. Ist das die Mehrheit der Iraner oder Regime-Propaganda?

Es waren viele auf den Straßen, ja. Aber es war organisiert. Schulen, Fabriken, große Institutionen wurden aufgefordert zu schließen, damit die Leute auf die Straßen kommen. Der Tod Soleimanis hat aber auch viele Iraner, die eigentlich zwischen den Fronten standen, in Richtung des Regimes rücken lassen. Aber dass das alles Anhänger des Regimes waren und sind, das bezweifle ich.

Wie würden Sie die Stimmung innerhalb der iranischen Community hier beschreiben?

Es gibt im Grunde drei Gruppen: Da sind Oppositionelle, die sich gefreut haben, die nicht um Soleimani trauern, sich aber die Frage stellen, ob es der richtige Zeitpunkt ist und ob die Aktion dem Regime in die Hände spielt. Die zweite Gruppe, die nicht so politisch ist, bedauert den Tod. In der dritten Gruppe, die mit dem Regime sympathisiert, wird auf die USA geschimpft und nach Vergeltung gerufen. Die sagen: "Lieber eine islamische Republik Iran als ein zerstückeltes Iran."

In der Imam-Riza-Moschee in Berlin-Neukölln fand eine "Trauerzeremonie" für Soleimani statt. Wie finden Sie das?

Das machen Pro-Regime-Leute immer. Der Propaganda-Apparat des iranischen Regimes agiert sehr effektiv im Ausland. Sie sind im Grunde Teil des iranischen Regimes im Ausland und haben ihre Aufgaben zu erfüllen.

In Deutschland fokussiert sich die Kritik derzeit vor allem auf Donald Trump. Die Frage, welche Verantwortung das Regime in Iran für die Eskalation in der Region hat, wird kaum diskutiert.

Uns als Verein geht es um Meinungsfreiheit, um die Lage der Frauen und der zivilen Kräfte dort. Der Feind sind ja nicht die USA, sondern sitzt im Iran. Wir stellen bei unserer Arbeit immer die Menschenrechte in den Vordergrund. Das Regime im Iran versucht, das Land nach seinen frommen Vorstellungen zu formen: ohne Meinungsfreiheit, mit Zwangsverschleierung, Trauerfeiern und Hass auf der Straße. Aber es gibt auch noch das andere Iran. Es gibt Widerstand von Frauen, Jugendlichen, Arbeitern und Arbeitslosen. Und Kulturschaffende, die ihre Werke im Untergrund präsentieren müssen. Das weiß das Regime auch. Die Rede von Ajatollah Khamenei am Mittwochmorgen fand ich deshalb besonders bemerkenswert.

Inwiefern?

Er sagte, ihn habe die Stimmung nach dem Tod Soleimanis besonders beeindruckt und an die Anfänge der Revolution von 79 erinnert, als politische oder religiöse Unterschiede in den Hintergrund gerückt sind und alle hinter dem Regime standen.

Die Machthaber wissen genau, dass die Menschen noch vor wenigen Wochen auf der Straße nicht "Die USA ist der Feind", sondern "Das Regime ist der Feind" geschrien haben.

Die Fundamentalisten wissen doch, dass das Spiel eigentlich aus ist. Die Machthaber versuchen, die Stimmung zu nutzen, um wieder eine islamische Einheit zu schaffen. Ich glaube nicht, dass ihnen das gelingt. Aber falls doch, dann gehen dem Land wieder einige Jahre verloren.

Hat der Konflikt auch Auswirkung auf Ihre Arbeit in der Flüchtlingshilfe hier in Deutschland?

Absolut. Es kommen viele Leute auf mich zu, die sich sorgen, die sich fragen, wie es weitergeht. Die Leute haben Angst, dass es wieder zum Krieg kommt und fühlen sich an die 1980er Jahre erinnert, an die Zeiten des Iran-Irak-Krieges. Viele sind noch immer traumatisiert.

Melden sich bei Ihnen auch Menschen aus dem Iran und fragen, für den Fall, dass es zu einem Krieg kommen sollte, wie sie aus dem Land kommen?

Auf jeden Fall. Mal abgesehen von der Möglichkeit eines Krieges, gibt es in den letzten Jahren ja bereits einen Trend. Gerade bei jungen, gut ausgebildeten, städtischen Leuten. Iran ist momentan dabei, seine Fachkräfte unfreiwillig zu exportieren, weil das Regime diese Menschen nicht integrieren kann. Die Leute suchen eine bessere Zukunft. Die Anfragen, wie man hier Fuß fassen kann oder wie man nach Europa kommt, nehmen zu.

Rechnen Sie damit, dass wieder mehr Menschen den Iran verlassen?

Ja, aber die Möglichkeiten sind sehr eingeschränkt. Ein Visum für europäische Länder zu bekommen, ist sehr schwer geworden. Aber die Zahl wird auf jeden Fall steigen.

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