Monatelang suchte die SPD nach neuen Vorsitzenden, um am Ende zwischen zwei Duos zu entscheiden – und trotzdem schien niemand damit gerechnet zu haben, dass die Mitgliederbefragung so ausgeht, wie am Samstag bekanntgegeben wurde.
Mit 53 Prozent der Stimmen haben Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans mehr SPD-Mitglieder hinter sich versammeln können als Olaf Scholz und Klara Geywitz. Einer, der sich das gewünscht hat, ist der 31-jährige Mathias Michalski, mehrjähriger SPD-Stadtrat in Heidelberg. Wie aber geht es jetzt weiter mit der SPD und der Großen Koalition?
Wir haben bei Mathias Michalski an der Basis nachgehorcht.
watson: Mathias, du hast dich in der Mitgliederbefragung für Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken als Vorsitzende entschieden. Warum hast du sie gewählt? Und: Traust du ihnen ihre neue Rolle zu?
Mathias Michalski: Ich glaube, dass die SPD einen anderen Kurs braucht. Ein "Weiter so" mit Olaf Scholz wäre für mich nur eine Art Insolvenzverschleppung. Die SPD hat an der Spitze die gleichen Gesichter mit stets unterschiedlichen Amtsbezeichnungen. Die versprochene Erneuerung muss auch mit glaubwürdigen Personen erfolgen. Hier hat die bisherige Parteiführung nicht geliefert, das lässt sich die selbstbewusste SPD-Basis eben nicht lange gefallen.
Wie empfindest du es, dass es so viele zweifelnde Stimmen gibt, gerade an Saskia Eskens Eignung aufgrund mangelnder Führungserfahrungen?
Ich weiß ja nicht. Olaf Scholz ist ja auch nicht als Finanzminister, Vizekanzler und ehemaliger Erster Bürgermeister auf die Welt gekommen. Man wächst an seinen Aufgaben. Walter-Borjans ist eine glaubwürdige Persönlichkeit. Er hat schon bewiesen, dass er 'Eier' hat – etwa mit dem Ankauf der CDs, die zahlreiche Steuerverbrecher enttarnten. Saskia Esken wird mit der Verantwortung wachsen. Diese diffamierenden Äußerungen über sie kommen komischerweise häufiger von älteren Herren. Da kann man sich seinen Teil denken.
Was sagst du zum Vorwurf, die Abstimmung wäre eine "Anti-Establishment"-Wahl gewesen?
Die SPD ist größer und wichtiger als einzelne Personen. Die Partei braucht jetzt eine klare Richtung mit einer Story, die die Zukunft auch glaubwürdig gestaltet. So ein Thema wie die Grundrente trägt eine glasklare sozialdemokratische Handschrift, aber man liefert einfach vereinzelt Puzzleteile, die überall ein bisschen lindern. Die große Story, wie wir in 20, 30 Jahren leben wollen und was dafür zu tun ist, vertritt die SPD momentan zumindest nicht laut genug.
Können Walter-Borjans und Esken diese "Große Story" liefern?
Bisher haben beide gezeigt, dass sie Ideen entwickeln, ohne vorher bereits der Union den vorgefertigten Kompromiss anzubieten. Das ist für mich als einfaches Mitglied eine hoffnungsvolle neue Erfahrung. Walter-Borjans hat in seiner politischen Karriere schon geliefert. Persönliche Interessen stehen – angesichts seines Alters – dabei sicherlich nicht im Vordergrund. Esken ist bisher auch nicht als Karriereristin aufgefallen, so dass ich beiden die "große Story" zutraue.
Verbinden dich mit Walter-Borjans und Esken irgendwelche persönlichen Anekdoten?
Bisher noch nicht, aber ich hoffe, dass sich das bald ändert. Walter-Borjans hat beim Ankauf der Steuersünder-CDs mit 19 Millionen Euro Einsatz für die Allgemeinheit 7,2 Milliarden rausgeholt. Das hat er gegen alle Widerstände, die vor allem aus dem Lager von CDU und FDP kamen, durchgeboxt. Dafür hat er meinen Respekt. Er hat damit nicht den sogenannten "kleinen Mann" getroffen, sondern vermögende Verbrecher, die den Staat beschissen haben.
Teilst du die Einschätzung, die Wahl werde Olaf Scholz, als einem Teil des unterlegenen Duos, in seiner Rolle als Vizekanzler und Finanzminister schaden?
Olaf Scholz ist und bleibt Finanzminister und Vizekanzler solange diese Bundesregierung im Amt ist. Schaden tut er angesichts einer maroden Infrastruktur in unserem Land eher mit seinem sturen Festhalten an der schwarzen Null.
Wie glaubst du, wird es mit der SPD nun weitergehen?
Die SPD wird heute dringender gebraucht als je zuvor. Ich habe die Hoffnung, dass die SPD von der Ersatzbank der CDU wieder eine eigenständige Truppe auf den Platz bringt, die eher links auf dem Feld steht. Wenn das designierte Spitzenduo es schafft, dass die SPD wieder Hoffnung, Zuversicht und eine Idee für die Zukunft versprüht, dann gibt’s endlich wieder eine frische, linkere Luft in unserem Land.
Muss die SPD dafür nicht raus aus der GroKo?
Entscheidend ist, dass die SPD wieder einen klaren Kurs findet. Wenn die CDU nicht bereit ist, gesellschaftlich notwendige Dinge wie zum Beispiel einen Mindestlohn von 12 Euro nachzuverhandeln und das Gespräch darüber komplett verweigert, dann muss man diese Koalition eben verlassen. Ich arbeite in einem Jobcenter und für mich ist es unerträglich, dass jemand Vollzeit arbeitet und am Ende zum Jobcenter kommen muss, da der Lohn nicht reicht – vor allem dann im Alter.
Wie stünden denn die Chancen, im Falle einer Neuwahl?
Schlimmer als jetzt kann es bei einer Neuwahl bestimmt nicht mehr kommen. Mit klaren Inhalten und glaubwürdigem Personal, welches gleichzeitig nicht ständig grimmig in die Kamera schaut, schneidet man auch bei Wahlen besser ab.
Mit wem würde die SPD regieren wollen und auf welche Themen muss sie sich dazu fokussieren?
Rot-rot-grün. Zweimal wurde dieses Bündnis trotz faktischer Mehrheit nicht genutzt. Es ist endlich an der Zeit. Die sozial-ökologische Transformation kann nur mit der SPD funktionieren, da man sich Grün leisten können muss und bürgerliche Parteien soziale und ökologische Themen eher nicht als Kernkompetenz haben.
(ms)