Berlin hat gewählt. Und zwar nicht nur das neue Bundes- und Landesparlament. Die wahlberechtigten Bürgerinnen und Bürger der Stadt haben auch darüber abgestimmt, ob sie große Wohnungskonzerne enteignen wollen. Und sie stimmten mit 56,4 Prozent dafür.
watson hat mit einem der Initiatorinnen und Initiatoren des Volksentscheids gesprochen. Wir wollten wissen: Was passiert denn jetzt? Und was plant die Initiative, wenn der Berliner Senat nicht mit dem gewünschten Ergebnis ankommt?
Watson: Moheb, beim Volksentscheid in Berlin hat eine klare Mehrheit für eine Vergesellschaftung großer Wohnungskonzerne gestimmt. Jetzt ist der Senat am Zug. SPD-Spitzenkandidatin Franziska Giffey muss aber erst einmal eine neue Berliner Regierung bilden – und äußerte teils schon erste Bedenken bezüglich der Vergesellschaftung. Was erwartest du?
Moheb Shafaqyar: Ich denke, Frau Giffey wird nach Möglichkeiten suchen, wie sie das Thema versanden lassen kann. Das war ja auch die SPD-Linie während des Wahlkampfes. Jetzt sagte sie, dass sie das Ergebnis des Volksentscheids respektieren und den Sachverhalt prüfen würde. Allerdings gehe ich davon aus, dass man dann sagen wird: „Wir haben es geprüft und es ist verfassungswidrig.“
Was wären dann eure nächsten Schritte?
Also erstmal: Es gab schon eine Prüfung. Der Senat hat 16 Monate lang prüfen lassen, ob ein solches Gesetz rechtlich Bestand hätte. Es hat drei Gutachten des Senats gegeben. Allesamt halten unseren Volksentscheid für rechtmäßig. Genauso wie zahlreiche renommierte Jurist:innen, wie unter anderem Professor Joachim Wieland. Ein solches Argument zieht bei uns also nicht. Jetzt ist aber erstmal die Frage, wie die Sondierungen verlaufen – also wer mit wem regieren wird. Ob Frau Giffey ihren Willen da durchsetzen wird. Ich glaube aber, die unterschätzt, was innerhalb dieser Bewegung mittlerweile entstanden ist.
Wie meinst du das?
Diese Bewegung ist nicht irgendein Vorfeld-Projekt irgendeiner Partei, die ein paar Unterschriften sammelt, um beispielsweise den Tegeler Flughafen aufrechtzuerhalten. Das ist ja nichts im Vergleich zu einer Mieterbewegung, die sich in den vergangenen Jahren immer stärker und stärker verankert hat in der ganzen Stadt. Giffey wird das nicht einfach aussitzen können.
Warum?
Wir waren die letzten zwei Jahre und zuletzt im Wahlkampf ein bestimmendes Thema. Wir werden es weiter sein und ich kann mir nicht vorstellen, wie sich der künftige Senat bei jedem politischen Projekt überschatten lassen will von der Frage der Vergesellschaftung und der undemokratischen Missachtung des Willens von über einer Million Menschen. Das ist mehr als jede Partei bei der Wahl des Abgeordnetenhauses bekommen hat. Das ist mehr als SPD und CDU zusammen haben.
Ihr wollt also weiter laut bleiben.
Lauter als bisher. Es wäre ein Skandal, wenn der Wille der Bevölkerung missachtet würde. Wir haben für das Abgeordnetenhaus ja schon einen Gesetzentwurf vorgelegt. Und was jetzt noch unverbindlich ist als Beschluss, können wir über einen weiteren Volksentscheid auch verbindlich machen. Also über das Gesetz selbst abstimmen lassen – so hätte der Senat dann keine Handlungsspielräume mehr.
Ihr würdet also noch eine Wahl provozieren?
Ich hoffe nicht, dass es so weit kommen muss. In der Berliner Verfassung gibt es zwei Möglichkeiten für einen Volksentscheid. Der eine ist ein Beschluss-Volksentscheid. Das ist das, was wir gemacht haben. Das heißt, der Senat wird aufgerufen, einen Gesetzentwurf vorzulegen, der die Forderungen aus dem Volksentscheid beinhalten soll. Darüber muss das Parlament dann abstimmen. Bei der zweiten Form gibt es die Möglichkeit über einen Gesetzesentwurf abzustimmen. Diese Abstimmung wäre dann der Ersatz eines parlamentarischen Gesetzgebungsaktes und das Gesetz würde unmittelbar in Kraft treten.
Glaubst du, die Berlinerinnen und Berliner würden auch dann mit „Ja“ stimmen?
56,4 Prozent beim jetzigen Volksentscheid sind keine knappe Mehrheit, sondern eine sehr eindeutige.
Ist das also das, womit ihr dem Berliner Parlament droht?
Nein, ich glaube, Frau Giffey weiß, dass sie jetzt unter Druck ist. Jetzt gibt es ja aber auch noch keinen Senat. Aber einen Volksentscheid muss sogar eine Regierung aus CDU und FDP befolgen. Es ist jetzt auch die Frage, wie sich die Grünen und die Linke dazu verhalten.
Ihr hofft auf eine rot-rot-grüne Regierung?
Wir erwarten von jeder Regierung, dass sie handelt. Sonst bräuchte man den Volksentscheid nicht in unserer Verfassung. Also wenn das Parlament am Ende sagt: "Ja, na ja, das haben wir zur Kenntnis genommen und dann schauen wir mal."
Wie lange wollt ihr warten, bis ihr mit dem nächsten Volksentscheid droht?
Es dauert ja noch, bis die Sondierungen beendet sind. Wir schauen aber darauf, was am Ende im Koalitionsvertrag steht. Wenn der Volksentscheid ignoriert wird, oder darin nur steht, dass man es prüfen werde, dann heißt das, dass man den Willen des Volkes missachtet. 16 Monate ausgiebige Prüfung hat es ja bereits gegeben!
Und dann folgen Konsequenzen?
Würde der Volksentscheid ignoriert, wäre das ein politischer Skandal. Dann werden wir schauen müssen, was das eigentlich bedeutet. Und was das für die Mietenbewegung bedeutet. Für die ganzen Leute, die seit Jahren für bezahlbare Mieten kämpfen. Die stinkwütend sind wegen der Situation auf dem Mietenmarkt, diesem völligen Mietenwahnsinn. Sie sind wütend, dass der Mietendeckel gekippt wurde, und sie haben ihre Hoffnungen nun in die Vergesellschaftung gesetzt. Eine Missachtung des Volksentscheids würde also sehr ungemütlich werden, glaube ich.