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Interview

Experte über Verschwörungsideologen: "Das sind die Profiteure der Krise"

Querdenken Demo auf dem Canstatter Wasen - Tausende Menschen besuchen die Veranstaltung - Abstand wird teilweise nicht eingehalten Demo für Grundrechte auf dem Wasen - Ken Jebsen mi Maske und vesteckt ...
Bei den sogenannten Hygiene-Demos wie hier in Stuttgart waren am vergangenen Wochenende viele tausende Menschen vor Ort, aber auch Verschwörungsideologen wie Ken Jebsen.Bild: www.imago-images.de / 7aktuell.de Marc Gruber
Interview

Experte über Verschwörungsideologen: "Das sind die Profiteure der Krise"

15.05.2020, 06:1215.05.2020, 13:25
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Die Corona-Beschränkungen der Bundesregierung ziehen neben einer überwiegenden Zustimmung auch zunehmend Proteste an. Am vergangenen Wochenende trafen sich in Berlin, München, Frankfurt und Stuttgart tausende zu sogenannten Hygiene-Demos. Dazu kamen viele kleinere Demonstrationen in anderen Städten.

Auf den ersten Blick sind die Teilnehmer eine bunte Mischung. Aber auch Verschwörungsideologen wie Ken Jebsen, besser bekannt als "KenFM", sind dort vertreten. Dazu kommen bekannte Rechtsextremisten.

Der Journalist Hubertus Koch erklärt im YouTube-Video, wie "KenFM" es mit Rhetoriktricks schafft, Menschen von seinen Verschwörungstheorien zu überzeugen.Video: YouTube/Hubertus Koch

Watson hat mit dem Autor Tobias Ginsburg gesprochen. Er ist Experte für rechte Verschwörungstheorien, hat neun Monate undercover in der sogenannten Reichsbürgerszene und bei Verschwörungsideologen recherchiert und darüber ein Buch veröffentlicht. "Die Reise ins Reich: Unter Reichsbürgern", so der Titel.

"Die Krise ist ein Weckruf für allerhand Menschen, die sich im Kampf gegen den gesellschaftlichen 'Mainstream' wähnen."

watson: Sie waren auf einigen "Hygiene-Demos". Wer ist da vor Ort?

Tobias Ginsburg:
Auf der Straße ist eine ganz heterogene Menschenmenge. Zunächst sind da die üblichen Verdächtigen, die immer dann dabei sind, wenn es etwas für Verschwörungsideologen auszuschlachten gibt. Und schon diese Gruppe ist ziemlich durchmischt: Traurige Wirrköpfe und hyperaggressive Reichsbürger, rechte Wutbürger und friedensbewegte Esoteriker – und natürlich die obligatorischen, biersaufenden Neonazis, die in Grüppchen um die Häuser ziehen.

Aber auch eine ganze Menge Linksradikale sind dabei, oder zumindest solche, die sich als links verstehen. Das sind in erster Linie durchgeknallte Anti-Imperialisten, die von ihrem Hass gegen die USA und Israel getrieben werden, aber auch ein paar, die sich einfach vom Krawall angezogen fühlen. Die Krise ist ein Weckruf für allerhand Menschen, die sich im Kampf gegen den gesellschaftlichen "Mainstream" wähnen.

Aber Sie sagen, es sind nicht nur Extremisten?

Absolut. Da ist eben auch eine beklemmende Menge an Menschen aus der sogenannten Mitte der Gesellschaft. Leute mit stinknormalen, bürgerlichen Lebensentwürfen. Ob die nun politische Anliegen haben, sich um Grundrechte oder Wirtschaft sorgen oder ob sie in der Krise von existentiellen Ängsten getrieben werden: Sie alle werden plötzlich von den Verschwörungsideologen mit ihren Theorien geködert.

Verständlich, dass die Leute so empfänglich dafür sind: Ängste, Sorgen und Wut werden bestätigt und ordentlich angeheizt. Außerdem gibt es dort in diesen Zeiten immenser Unsicherheit super simple Antworten. Trotzdem war ich überrascht, wer dort alles so mitdemonstriert.

"Wir dürfen nicht den Fehler machen, uns über diese Menschen bloß lustig zu machen oder sie zu dämonisieren."

Auch Prominente…

Es ist schon heftig, wie derzeit ein Promi nach dem anderen diesen Verschwörungstheorien verfällt. Das zeigt nur zu gut, wie sich diese Theorien in der Krise ausbreiten. Und dass sie keinen Halt machen. Diese Denke kann Menschen aus allen Gesellschaftsschichten betreffen. Das ist auch eine Art Pandemie. Und so ein Promi mit großer Fanbase wird schnell zum "Superspreader".

Denken Sie nur an Xavier Naidoo, der schon seit langem in rechten Milieus und in der Verschwörungsszene Kult- und Gallionsfigur ist. Auch bevor der jetzt endgültig in den Irrsinn abgetaucht ist, hat er Menschen in ihrem Wahn und Hass bestärkt und die Theorien für viele legitimiert.

Wie gefährlich sind Figuren wie er, aber auch Ken Jebsen, dessen Video zur Verschwörungstheorie, dass Bill Gates hinter Corona steckt, millionenfach geschaut wurde?

Das sind die Profiteure der Krise. Verschwörungsideologen, die auf Youtube und in den Sozialen Medien ihre Theorien zum Besten geben, erreichen jetzt ein richtig großes Publikum. Es gibt viele Menschen, auch in meinem Bekanntenkreis, die diese Videos schauen und darauf hereinfallen. Das Traurige ist, dass ich verstehe, dass Menschen sich nach so etwas sehnen. In jeder gewaltigen Krise und nach jedem krassen Umbruch – sei es die Französische Revolution, die Spanische Grippe 1919 oder der 11. September 2001 – brodeln die Verschwörungstheorien ganz gewaltig.

Warum?

Weil die Welt mit Verschwörungsdenken wieder hübsch aufgeräumt und verständlich wird. Es ist angenehmer sich zu sagen, dass hinter dieser bedrohlichen Krankheit, über die wir so wenig wissen und die unser Leben so hart einschränkt, etwas ganz Einfaches steckt, das wir sogar bekämpfen können. Das ist ein ganz menschliches Bedürfnis. Und so einen hundsgemeinen Bill Gates mit superfiesen Mikrochips, den kann man wunderbar hassen. Das ist leichter, als in einer Unsicherheit mit einer unsichtbaren Gefahr zu leben, und die Welt in ihrer verfluchten Komplexität zu akzeptieren.

Auch deswegen dürfen wir nicht den Fehler machen, uns über diese Menschen bloß lustig zu machen oder sie zu dämonisieren. Bei diesen Demonstrationen sind auch geistig Kranke und geistig Behinderte dabei, verwirrte und verzweifelte Menschen, ganz naive und wenig gebildete. Wir sollten versuchen zwischen denen zu unterscheiden, die wirklich Böses tun – all den Antisemiten, Rechtsextremisten und denen, die Menschen verführen, ausnutzen und finanziell ausnehmen –, und den Menschen, die darauf reinfallen. Viele benötigen eigentlich Hilfe und man kann sich in diesen Welten furchtbar schnell verheddern. Deswegen gilt es unbedingt aufzuklären.

"Wer sich Sorgen macht wegen des neuen 5G-Netzes und dessen Strahlung, ist nicht automatisch Idiot oder 'Aluhutträger'."

Wo ist die Grenze zwischen Ängsten, Kritik und Verschwörungstheorie?

Wer sich beispielsweise Sorgen macht wegen dem neuen 5G-Netz und dessen Strahlung, ist nicht automatisch Idiot oder "Aluhutträger". Es spricht zwar alles dafür, dass die 5G-Technologie ungefährlich ist, aber man kann sich als Interessierter natürlich damit auseinandersetzen, das ist ja legitim. Allerdings gehört diese neue Technologie für Verschwörungsideologen zu einer riesigen Weltverschwörung, einer Kampagne gegen die Menschheit und jedes Gegenargument ist Teil der Verschwörung. Also überträgt das Handynetz Corona, macht Krebs und manipuliert Gedanken, und schon brennen die Mobilfunkmasten.

Haben Sie versucht, Menschen, die auf Verschwörungstheorien hereingefallen sind, zu helfen?

Das versuche ich immer wieder, man kommt aber nur zu wenigen durch. Zuletzt habe ich vorsichtig versucht, mit Facebookfreunden von mir Kontakt aufzunehmen, die solche Videos verbreiten. Einfach mal vorsichtig nachfragen, seit wann sie diese Sachen glauben. Wer aber Ken Jebsen und co. schon länger folgt, bei dem werden ganz schnell die Verteidigungsmechanismen aktiv: "Das ist doch eine Hetzjagd gegen Meinungsfreiheit!", und so weiter. Klar, denn wer an Verschwörungstheorien glaubt, meint klüger als alle anderen zu sein, mehr zu wissen als die "Schlafschafe", die noch immer an das glauben, was "die Medien" berichten. Und jeder, der versucht zu widersprechen, wird als böser Knecht des Systems abgestempelt, oder Naivling, der die Wahrheit nicht sieht. Du bist entweder Teil dieser Gruppe oder dagegen.

"Menschlichkeit passt nicht in eine Weltsicht voller Verschwörungen."

Was kann ich tun, wenn jemand in meiner Familie oder dem Freundeskreis Verschwörungstheorien verbreitet?

Aufzuklären ist sehr, sehr schwer. Verschwörungstheorien sind so konstruiert, dass sie immer neue Antworten auf Einwände generieren, dass Widerspruch immer als Lügenpropaganda des Feindes abgetan werden kann. Deswegen ist es so wichtig, den Menschen immer noch mit Respekt zu begegnen. Äußern Sie trotzdem Widerspruch und erklären Sie, warum diese Denke womöglich gefährlich ist. Aber vor allem sollte man Kontakt halten und versuchen die Leute zurück in die Normalität zu holen. Menschlichkeit passt nämlich nicht in eine Weltsicht voller Verschwörungen.

Wie könnten wir als Gesellschaft besser mit dieser Gefahr durch Verschwörungstheorien umgehen?

Was wir brauchen ist eine radikale Aufklärung, und die kann nur in der Schule beginnen. Wir brauchen ganz dringend bessere Medienkompetenz. Schon Schüler müssen lernen Onlinequellen bewerten zu können, unterscheiden, was seriös ist und was nicht. Und es darf einfach nicht sein, dass Verschwörungsmythen, die unter den Nazis Staatsräson waren, wieder Verbreitung finden. Verschwörungsideologie darf einfach nicht als kurioses Randphänomen behandelt werden, das müssen wir endlich begreifen!

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