Top-Völkerrechtler warnt: Trump könnte gefährliche Grenze überschreiten
Die Weltordnung seit dem Zweiten Weltkrieg steht unter Druck: Wenn Großmächte ihre Sicherheitspolitik mit weit ausgreifenden Immunitäten begründen, geraten die Regeln gegen staatliche Willkür ins Wanken. Genau das befürchten renommierte Jurist:innen – und sehen die USA unter Donald Trump auf Kollisionskurs mit dem Völkerrecht. Auch die Vereinten Nationen meldeten Zweifel an der Legalität jüngster tödlicher Einsätze auf hoher See an.
Dabei geht es um die Operationen der US-Armee gegen mutmaßliche Drogenkuriere in internationalen Gewässern vor Mittel- und Südamerika. Mindestens 61 Menschen seien seit Anfang September getötet worden. Am Samstag haben die USA zuletzt ein angeblich mit Drogen beladenes Boot angegriffen. Dabei seien drei Männer getötet worden, teilte Pentagon-Chef Pete Hegseth auf der Plattform X mit.
Der renommierte britische Jurist Philippe Sands, der häufig vor internationalen Gerichten plädiert, hält die Argumentation der Trump-Regierung für unhaltbar.
Top-Völkerrechtler widerspricht Trump: keine Selbstverteidigung
Die USA berufen sich darauf, gegen Kartelle wie in einem bewaffneten Konflikt vorzugehen. Sands sagt dazu bei "Politico": "Das widerspricht den Grundprinzipien des Völkerrechts." Herzstück seiner Kritik: Drogenkriminalität sei Strafrecht, kein Kriegsrecht. Selbstverteidigung sei laut UN-Charta nur zulässig, "wenn ein bewaffneter Angriff erfolgt". "Es ist sehr schwer zu erkennen, wie dieses Argument hier gemacht werden kann", sagt er.
Seit dem 2. September wurden elf Boote beschossen oder versenkt. Betroffen sind laut "Politico" Staatsbürger:innen aus Venezuela, Kolumbien, Ecuador sowie Trinidad und Tobago. Lateinamerikanische Regierungen sprechen von gezielten Tötungen ohne rechtsstaatliche Grundlage. Brasilien habe sich ebenfalls kritisch geäußert, schreibt das Magazin. Aus Venezuela seien mögliche rechtliche Schritte signalisiert worden.
Völkerrechtler sieht rote Linie in Sichtweite
Für Sands ist juristisch gesehen entscheidend, ob die Tötungen als Teil einer systematischen Politik zu werten sind. Er warnt vor einer möglichen Einstufung als internationale Verbrechen mit der Frage: "Ab welchem Punkt überschreitet das die Grenze zur internationalen Strafbarkeit?"
In diesem Zusammenhang verweist er auf den jüngsten Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs gegen den früheren philippinischen Präsidenten Rodrigo Duterte, der wegen tödlicher Anti-Drogen-Einsätze in Den Haag angeklagt wurde.
Sands sagt dazu: "Wenn Sie Instrumente des Mordens einsetzen, um Drogenhändler auszurotten … gibt es zumindest ein vertretbares Argument, dass Sie die Grenze zur internationalen Strafbarkeit überschritten haben."
Immunitätsdebatte in den USA verschärft die Lage
Hinzu kommt eine gefährliche innenpolitische Dimension: Im Juli 2024 entschied der Supreme Court, dass Ex-Präsident:innen für amtliches Handeln weitgehend immun sind. Sands sieht darin ein Problem: "Das Urteil scheint eine Art 'Freifahrtschein' für einen amerikanischen Präsidenten zu sein, der eine Linie überschreitet." Ein britischer Höchstrichter habe die Begründung als "lächerlich" bezeichnet, so Sands.
Die USA sind zwar kein Vertragsstaat des Internationalen Strafgerichtshofs. Dennoch könnten laut Sands Staaten, deren Bürger:innen getötet wurden, eigene Strafverfahren einleiten oder den Internationalen Gerichtshof anrufen. Risiko für US-Verantwortliche in diesem Fall: eingeschränkte Reisefreiheit, falls andere Länder Haftbefehle ausstellen. Die weitere Entwicklung müsse man genau beobachten, sagt Sands. Internationale Strafverfolgung ist zumindest denkbar.
