Nichts und niemand darf in Deutschland über dem Bundestag stehen. Das Parlament, das alle wahlberechtigten Deutschen 2021 wieder wählen, ist Verfassungsorgan und damit eine der wichtigsten Institutionen im Land. Die Abgeordneten entscheiden über neue Gesetze und Änderungen bestehender, sie kontrollieren die Regierung, sie entscheiden, ob deutsche Soldaten in Auslandseinsätze dürfen. Der Bundestag ist die Volksvertretung aller Deutschen. Aber vertritt es sie auch wirklich gut und ausreichend?
Es gibt viele Gruppen, die unter Abgeordneten deutlich schlechter vertreten sind als in der gesamten Bevölkerung: Frauen, Menschen mit Migrationshintergrund, Menschen ohne Hochschulabschluss, junge Menschen. Doch warum sind so wenige junge Menschen im Bundestag? Ist das überhaupt ein Problem? Wenn ja, wie lässt sich daran etwas ändern? Und welche Hürden gibt es für junge Menschen, die ins Parlament wollen?
Wir haben darüber mit Roman Müller-Böhm gesprochen, Jahrgang 1992 und damit der jüngste Abgeordnete im aktuellen Bundestag. Bei seinem Einzug im Herbst 2017 war der FDP-Politiker aus Nordrhein-Westfalen erst 24 Jahre alt.
Roman Müller-Böhm auf einem Pressefoto seines Abgeordnetenbüros.foto: Bernhardt Link - Farbtonwerk
watson: Herr Müller-Böhm, zu Beginn der Legislaturperiode waren in Deutschland 11,9 Prozent der Menschen zwischen 21 und 29 Jahre alt, im Bundestag hatten nur 1,8 Prozent dieses Alter. Warum ist das so?
Roman Müller-Böhm: Ich hatte ehrlicherweise sehr viel Glück und konnte früh, mit nicht einmal 25 Jahren, in den Bundestag einziehen. Das ist untypisch. Aber es ist auch untypisch, wenn man Mitte zwanzig schon im Vorstand eines großen Unternehmens sitzt. Außerdem interessieren sich viele junge Leute erst vergleichsweise spät für die Politik, eher mit Mitte 20 als mit 14 oder 15 Jahren. Insofern schockiert mich der geringe Anteil an jungen Abgeordneten nicht besonders.
Für Sie ist es also gar kein Problem, dass so wenige junge Menschen im Bundestag sitzen?
Es wäre schöner, wenn mehr junge Menschen im Bundestag säßen, dann bekämen junge Stimmen auch mehr Gewicht in der Debatte, manche Entscheidungen würden anders getroffen.
"Als ich in der Schule war, galt man eher als der Nerd in der Klasse, wenn man sich mit Politik beschäftigt hat. Jetzt ist es beinahe cool, sich für Politik zu interessieren und mitzumachen."
Was meinen Sie damit?
Zum Beispiel die Bildungspolitik. In unserer Generation kann keiner mehr nachvollziehen, dass es in 16 Bundesländern 16 unterschiedliche Schulsysteme und Abschlüsse gibt, dass das Niveau so unterschiedlich ist. Es kann doch nicht sein, dass jemand seinen Abschluss in einem Bundesland mit schwererem Abi macht – und bei der Bewerbung um einen Studienplatz Nachteile gegenüber jemandem hat, bei dem die Prüfung weniger anspruchsvoll war.
Roman Müller-Böhm im Juni bei einer Rede vor dem Bundestag, auf einer Protestveranstaltung der Reisebüros in der Corona-Krise. Bild: imago-images / Christian Spicker
Der Bund muss in der Bildung deutlich mehr selbst in die Hand nehmen. Junge Menschen haben auch kein Verständnis mehr dafür, wenn der Bund Geld zur Verfügung stellt, um die Schulen digital fit zu machen – und die Bundesländer dann mit einem Abwehrreflex reagieren, weil sie keine Einmischung des Bundes wollen. Ich glaube, wenn mehr jüngere Menschen im Bundestag sitzen würden, dann wäre der Druck bei diesen Themen größer.
Was müsste sich denn ändern, damit mehr junge Abgeordnete im Bundestag sitzen?
Das ist auch eine Generationenfrage. Als ich in der Schule war, galt man eher als der Nerd in der Klasse, wenn man sich mit Politik beschäftigte. In den vergangenen drei Jahren hat sich das Blatt komplett gewendet. Jetzt ist es beinahe cool, sich für Politik zu interessieren und mitzumachen.
Reicht dieses stärkere Interesse für Politik aus?
Es gibt natürlich auch Voraussetzungen, die man verbessern kann: mehr Politikunterricht an den Schulen zum Beispiel. Wobei das für Lehrer auch schwierig ist: Sie müssen ja politisch neutral sein. Aber in Projektwochen oder bei Aktionstagen lässt sich da sicher mehr machen – um klarzumachen, dass politisches Engagement viel mehr ist als irgendwelche langweiligen Gesetzestexte zu lesen.
Wenn Sie beobachten, dass Politik bei den Menschen, die zehn Jahre jünger als Sie sind, als deutlich cooler gilt: Glauben Sie, dass dann in ein paar Jahren auch deutlich mehr junge Abgeordnete ins Parlament einziehen?
Wenn zumindest ein Teil dieser jungen Leute dann auch in die Parteien eintritt, gibt es da jeden Grund, optimistisch zu sein. Einfach nur politisch zu sein, reicht aber in Deutschland nicht aus: Man muss dann auch in Parteien Verantwortung übernehmen – und vielleicht auch mal eine Kampfkandidatur gegen einen älteren Kandidaten übernehmen. Wandel kann nur passieren, wenn es eine Alternative gibt.
Junge Menschen sollten also frecher werden?
Genau, ja.
42 Prozent der Erstwähler würden laut einer aktuellen Umfrage bei der nächsten Bundestagswahl für die Grünen stimmen. Was muss ihre Partei, die FDP, da besser machen?
Ich bin da vergleichsweise entspannt. Die FDP hatte bei vergangenen Wahlen immer wieder ihre besten Ergebnisse bei jungen Wählern. Trotzdem ist der große Zuspruch für die Grünen bei jungen Menschen beeindruckend, das hat sicher viel mit den Klimadebatten der vergangenen drei Jahre zu tun. Und das ist ja auch okay so in einer Demokratie. Aber ich kann mir auch gut vorstellen, dass wegen der Coronakrise im kommenden Jahr Themen, für die die FDP steht – Wirtschaft und Digitalisierung – wieder eine deutlich größere Rolle spielen, auch bei jüngeren Wählern. Und dass dann der Zuspruch für uns auch wieder deutlich wächst.
"In unserer Generation kann keiner mehr nachvollziehen, dass es in 16 Bundesländern 16 unterschiedliche Schulsysteme und Abschlüsse gibt, dass das Niveau so unterschiedlich ist."
Wie oft haben Sie eigentlich im Bundestag schon den Spruch "Das kannst Du dann machen, wenn Du Erfahrung hast" gehört?
Das höre ich eher außerhalb des Parlaments. Manche Menschen sagen: "Geh' doch erstmal 15 Jahre arbeiten, dann kannst Du in den Bundestag." Die Meinung teile ich nicht. Ich finde, das Parlament sollte so bunt wie die Gesellschaft sein, das soll ja alle Interessen der verschiedenen Menschen vertreten. Und Rechtsanwälte mit 20 Jahren Berufserfahrung sollten deshalb nicht die Hauptgruppe dort ausmachen.
Was sind die größten Hürden, die jungen Menschen auf dem Weg zu einer politischen Karriere in den Weg gelegt werden?
Wer in ein politisches Amt will, muss dafür viel Zeit aufwenden. Und wenn man als junger Mensch Freunden und Verwandten erzählt, dass man jetzt halbtags studiert und sich nebenher Vollzeit in der Politik engagiert, dann ist das nicht gerade gesellschaftlich anerkannt. Ich finde das aber sehr kontraproduktiv. Denn wenn man das weiterdenkt, bedeutet es, dass nur Leute mit viel Berufserfahrung in die Politik gehen sollten. Aber genau so soll es eben nicht sein in einer Demokratie. Außerdem gibt es für viele junge Politikinteressierte ein finanzielles Problem.
Roman Müller-Böhm auf einem Wahlplakat im August 2018.Bild: imago stock&people / Revierfoto
Wie meinen Sie das?
Ganz platt gesagt: Bevor man in der Politik auch nur einen Cent verdient, muss man in einem Wahlkampf selbst Geld ausgeben.
Das heißt, für Menschen, die aus einer Familie kommen, die eher wenig Geld hat, ist das viel schwerer.
Es ist auf jeden Fall eine zusätzliche Hürde. Wer in einer Partei aktiv werden will, der muss zu Veranstaltungen fahren – das kostet Geld. Eventuell muss sie oder er irgendwo übernachten. Wer sich wählen lassen will, muss für Plakate und Flyer bezahlen. Und wenn jemand als Student BaföG bekommt, dann kann ich verstehen, dass er nicht auch noch 50 oder 60 Euro im Monat für die Partei ausgeben will.
Sie hatten kurz nach Ihrem Einzug in den Bundestag in einem Interview gesagt, Sie wollten neben der Tätigkeit als Abgeordneter auch noch Ihr erstes juristisches Staatsexamen schaffen. Hat das geklappt?
Ehrlich gesagt: Das war eine Illusion. Als Abgeordneter hat man eher eine 80-Stunden-Woche als eine 40-Stunden-Woche.
Sie verschieben das also erstmal in die Zukunft, wenn es wieder ruhiger wird bei Ihnen?
Naja, als Abgeordneter weiß man ja nie, wie es in der nächsten Legislatur weitergeht – außer, man ist zum Beispiel Parteivorsitzender und hat einen sicheren Listenplatz. Man muss immer damit rechnen, dass man wieder etwas ganz Anderes macht.
Glauben Sie, dass sie es 2021 noch einmal in den Bundestag schaffen?
In diesen politisch verrückten Zeiten kann man das kaum vorhersehen, das hängt ganz von unserem Wahlergebnis ab. 2017 war ich auf der Landesliste in Nordrhein-Westfalen auf Platz 18, wahrscheinlich werde ich diesmal nicht besser positioniert sein.
In Ihren ersten drei Jahren gab es schon unangenehme Schlagzeilen über Sie: 2017 wurde Ihnen vorgeworfen, als Schatzmeister der Jungen Liberalen, Aufträge intransparent an Ihr eigenes Unternehmen vergeben zu haben. 2019 waren Sie einer der Abgeordneten, denen vorgeworfen wurde, Likes auf sozialen Netzwerken gekauft zu haben. Was ist davon an Ihnen haften geblieben?
Man hat bessere Tage und schlechtere Tage, das passiert im Leben. Ich habe aber auch eine ziemlich gute Bilanz als Abgeordneter, das ist zumindest meine Meinung. Gerade in den vergangenen Monaten habe ich mich stark dafür eingesetzt, Unternehmen aus der Touristik-Branche in der Corona-Krise zu helfen. Es ist sicher nicht alles im besten Sinn gelaufen, man kriegt auch mal heftigen Gegenwind. Aber ich bin insgesamt zufrieden damit, wie es bisher gelaufen ist.
Was war für Sie der größte Erfolg als Abgeordneter?
Schwer zu sagen. Wenn man in der Opposition ist, bekommt man ja kaum mal einen Gesetzentwurf durch. Die Idee, dass immer die beste Idee durchkommt, die wird einem im Bundestag schon vor dem ersten Tag genommen. Man bekommt eher Aufmerksamkeit für die Arbeit an bestimmten Themen. Bei mir ist das ein Gesetzentwurf für die Rechtssicherheit für Legal-Tech-Unternehmen und mein Einsatz für die Touristiker in der Corona-Krise. Da hat unser Druck aus der Opposition schon für viel Musik gesorgt.
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