Er ist den Grünen schon lange ein Dorn im Auge: Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer fiel in den vergangenen Jahren immer wieder durch Provokationen und Skandale auf. Nun war es wohl einer zu viel. Am vergangenen Wochenende entschied der Landesverband der Grünen in Baden-Württemberg ein Parteiausschlussverfahren gegen den ehemaligen Shooting-Star der Südwest-Grünen einzuleiten.
Palmer hatte in Replik auf die rassistischen Äußerungen von Ex-Nationaltorwart Jens Lehmann über Ex-Nationalspieler Dennis Aogo, dieser sei der "Quoten-Schwarze" beim TV-Sender Sky, seinerseits in einem Facebook-Post rassistische Begrifflichkeiten benutzt. Palmer erklärte anschließend, seine Aussagen seien Zitate gewesen und ironisch gemeint.
Für die Parteispitze der Grünen war das unerheblich. Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock erklärte auf Twitter: "Die Äußerung von Boris #Palmer ist rassistisch und abstoßend. Sich nachträglich auf Ironie zu berufen, macht es nicht ungeschehen. Das Ganze reiht sich ein in immer neue Provokationen, die Menschen ausgrenzen und verletzen."
Aber tut sich die Parteispitze mit dem Verfahren gegen Palmer einen Gefallen und wie realistisch ist ein Parteiausschluss des Tübinger Oberbürgermeisters?
Ulrich Eith ist Politikwissenschaftler an der Universität Freiburg. Im Interview mit watson erklärt er, warum er der Meinung ist, dass das Parteiausschlussverfahren gegen den Tübinger Oberbürgermeister falsch ist und weshalb Palmers unkonventionelle Art jenseits von Polemik auch vorteilhaft für die Politik ist.
Watson: Herr Eith, der grüne Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer ist am vergangenen Wochenende Ziel eines Parteiausschlussverfahrens geworden, weil er sich auf Social Media in einer Weise rassistisch geäußert hat, die wir hier nicht wiederholen wollen. Er hat seine Äußerungen im Anschluss als ironisch gemeint verteidigt, trotzdem wird nun sein Ausschluss geprüft. Ist das ein berechtigter Anlass, um einen verdienten Politiker und beliebten Lokalpolitiker aus der Partei auszuschließen?
Ulrich Eith: Es besteht kein Zweifel, dass die Äußerungen von Herrn Palmer in keiner Weise seiner Position als Bürgermeister gerecht werden. Aus meiner Sicht sollte man auch grundsätzlich auf solche vulgären Äußerungen verzichten. Trotzdem würde ich den Grünen von einem Parteiausschlussverfahren abraten.
Warum?
Es lenkt den Blick nach innen. Das führt zu einer breiten Diskussion über die Frage, was Ironie ist oder nicht und ob Palmers Äußerungen nun Zitate waren oder nicht. Das ist aber kein Thema, mit dem sich die Partei jetzt beschäftigen sollte, sondern vielmehr damit, Konzepte für unsere Zukunft in Deutschland vorzulegen.
Wie hätte die Parteispitze um Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock auf Palmers Äußerungen reagieren sollen?
Es ist schon wichtig, dass sich Annalena Baerbock und die anderen Spitzenpolitiker der Grünen klar und unmissverständlich von den Äußerungen Palmers distanziert und klargemacht haben, dass das nicht die Auffassung der Partei ist. Ein Parteiausschlussverfahren halte ich aber für den falschen Weg.
Ich höre aus Ihren Äußerungen heraus, dass Sie generell nicht so viel von dem Instrument Parteiausschlussverfahren halten. Warum ist das Ihrer Ansicht nach ungeeignet?
Das Verfahren ist langwierig und setzt voraus, dass ein Mitglied vorsätzlich gegen die Werte der Partei verstößt oder der Partei schweren Schaden zufügt.
Das ist nach den Aussagen von Boris Palmer ja offensichtlich der Fall.
Das muss dann in einem längeren Untersuchungs- und Bewertungsprozess zweifelsfrei erwiesen werden. Und im Fall von Boris Palmer ist es noch deutlich schwieriger, da er sich darauf beruft, dass seine Bemerkungen Zitate seien und ironisch gemeint waren. Insofern ist der Ausgang hier ungewiss.
Bei Thilo Sarrazin hat es über zehn Jahre gedauert, bis die SPD ihn schließlich aus der Partei werfen konnte. Könnte bei Boris Palmer ein ähnliches Prozedere drohen?
Mit Sicherheit wird ein solches Verfahren die Partei und die Öffentlichkeit zunächst über mehrere Wochen beschäftigen. Ein Parteiausschlussverfahren ist eine komplexe Angelegenheit. Die Grünen haben sich in den letzten Monaten eine hervorragende Ausgangssituation für die kommende Bundestagswahl erarbeitet. Sie sollten sich besser darauf fokussieren, wie eine mögliche Regierungsbeteiligung aussehen kann und um Inhalte kümmern, anstatt sich zu intensiv mit den Äußerungen eines Kommunalpolitikers zu befassen.
Kann sich das laufende Verfahren auch auf das Ergebnis der Grünen bei der Bundestagswahl negativ auswirken?
Innerparteiliche Auseinandersetzungen sind kontraproduktiv für Wahlen. Alle politischen Parteien sind derzeit gut beraten, sich um die drängenden Fragen unserer Zeit zu kümmern und sich nicht in internen Streitigkeiten zu verlieren. Es reicht im konkreten Fall, sich in aller Entschiedenheit von den Aussagen zu distanzieren und klarzumachen, dass Palmer unter diesen Umständen keine weitere Unterstützung mehr durch die Partei erwarten kann. Die Grünen müssen diese Thematik möglichst schnell und konsequent abräumen, wollen sie ihre derzeit guten Wahlchancen nicht gefährden.
Nun ist Boris Palmer bereits mehrfach negativ aufgefallen und in Konflikt mit seiner Partei geraten. Können Sie sich erklären, was ihn antreibt?
Aus der Distanz betrachtet erscheint es mir offensichtlich, dass Boris Palmer einen enormen Selbstdarstellungsdrang hat. Er liebt die Provokation und wohl auch die damit verbundene öffentliche Aufmerksamkeit.
Dabei ist er ein renommierter Kommunalpolitiker. Er hat als Tübinger Oberbürgermeister eine gute Bilanz vorzuweisen.
Er hat sich in Tübingen eine hohe Reputation erworben und wurde deshalb auch wiedergewählt. Auch das Tübinger Modell mit der Corona-Pandemie umzugehen wurde bundesweit beobachtet und sorgte für positive Schlagzeilen.
Macht er sich das nicht mit solchen Äußerungen kaputt?
Boris Palmer hat einen eigenen Blick auf die politischen Realitäten, gepaart mit einem schon gesinnungsethischen Beharren, recht zu haben. Das sorgt auch dafür, dass er mit seinen unkonventionellen Mitteln einiges erreicht. Wenn er Kritik jedoch in diesem Stil und mit dieser völlig inakzeptablen Wortwahl vorbringt, schadet er sowohl sich selbst als auch einer nüchternen Diskussion der inhaltlichen Punkte.
Wie sollten die Grünen mit so einem Quertreiber wie Palmer Ihrer Meinung nach umgehen?
Eine wachsende Partei wie die Grünen, die bundesweit in den Umfragen vor der Union liegt und damit möglicherweise die stärkste Kraft bei der kommenden Bundestagswahl ist, muss solche Personen erst einmal aushalten können.