Wenn heute die Menschen gegen das neue Urheberrecht in Europa und den Artikel 17 (ehemals 13) auf die Straße gehen, dann läuft Julia Reda ganz vorne mit.
Seit fünf Jahren sitzt die Politikerin der Piraten-Partei in der Grünen-Fraktion im Parlament (Für eine eigene Piraten-Truppe reichte es bei den vergangenen EU-Wahlen nicht). Bereits bei den europaweiten Großdemonstrationen gegen das ACTA-Abkommen 2012 war Reda vorne dabei. Damals gingen Zehntausende für ein freies Internet auf die Straße.
Auch im Streit um die Upload-Filter ist Reda eine der lautesten Kritikerinnen des neuen Gesetzes und von dessen Wegbereiter Axel Voss.
Heute demonstriert sie, nächste Woche schon entscheidet sie mit im EU-Parlament. Wir haben zum Demo-Tag mit Julia Reda darüber gesprochen, ob der Straßen-Widerstand überhaupt noch ausreichend Druck aufzubauen kann.
Watson: Könnte man den Protest so zusammenfassen, Julia: "Zu wenig, zu spät"?
Julia Reda: Nein, die Proteste heute können noch sehr viel ändern und haben auch schon viel geändert. Es gibt ja Demonstrationen seit etwa einem Monat. Seitdem haben sich schon viele Abgeordnete vor allem im deutschsprachigen Raum umentschieden. Selbst die Schwesterpartei der CDU in Luxemburg sagt, sie stimme dagegen. Auch in Österreich und Deutschland gibt es viele Abgeordnete, die sich umentschieden haben. Aber wir müssen den Protest jetzt auch über den deutschsprachigen Raum hinaus transportieren.
Die Poteste gegen ACTA liefen in allen Sprachen in ganz Europa ab, Kritiker sehen die aktuellen Demonstrationen weit von diesem Niveau entfernt.
Im Prinzip haben die Proteste zu ACTA doch genauso angefangen. Da gab es lokale Proteste in Polen und mit der Zeit hat sich das in ganz Europa ausgebreitet. Ich kann mich noch erinnern, als ich 2010 an einem Anti-ACTA-Protest auf dem Potsdamer Platz in Berlin teilgenommen habe. Da waren vielleicht 20 Leute. 2012, nachdem das Ganze in Polen so groß geworden war, waren es dann auch in Deutschland Tausende. Das war für mich ein prägendes Erlebnis.
So viel Zeit wird nicht bleiben, nächste Woche gibt es ja schon ein Ergebnis.
Die Proteste starten ja nicht erst jetzt. Die Leute haben sich sogar schon im vergangenen Jahr beschwert. Das Europaparlament hatte daraufhin im Juli zunächst gegen die Reformen gestimmt. Das Problem ist nur, dass viele meiner Kollegen den Mythos gekauft hatten, dass es sich bei den Beschwerde-Emails um Bots handeln könnte. Die Proteste auf der Straße sind jetzt das richtige Mittel, um das Gegenteil zu beweisen.
Scheint nur begrenzt zu funktionieren. Artikel 13-Wegbereiter Axel Voss behauptet, die Proteste seien uninformiert, einseitig und fremdgesteuert.
Es ist schade, dass die Zivilgesellschaft und auch die Jugendlichen jetzt wieder diese Rolle einnehmen müssen, nur verhindern zu müssen, dass es nicht noch schlimmer wird. Der Grund, warum sich die Proteste so auf Artikel 13 konzentrieren ist doch einfach: Er ist ein Paradebeispiel dafür, dass Politiker das Internet nicht verstanden haben und das auch immer wieder unter Beweis stellen. Gleichzeitig lehnen sie einfach die Erfahrung und die Expertise der jungen Generation ab. Daher kommt aber doch der Protest.
Es lässt sich aber kaum abstreiten, dass der Rest des neuen Urheberrechts kaum eine Rolle zu spielen scheint bei den Demonstrationen.
Das kann ich so nicht bestätigen, die Leute kennen natürlich auch auch die anderen Themen. Sie beschweren sich auch über das Leistungsschutzrecht und die Verlegerbeteiligung. Sie rufen nach einer "Fair Use"-Regelung für das Urheberrecht und nach einem Recht auf Remix. Aber man muss eben erst einmal das Schlimmste verhindern, bevor man zu den positiven Schritten kommen kann.
Es ist dein letzter großer Kampf. Du hast öffentlich gemacht, dass du zur kommenden Europa-Wahl nicht mehr antrittst. Wenn so viel zu tun ist, dann kannst du doch jetzt nicht aufhören?
Als ich 2014 angetreten bin, da wollte die EU Kommission die große Urheberrechtsreform auf den Weg bringen. Sie sagte: Alles wird europäisch, alles wird einheitlich. Das fand ich super, da wollte ich dabei sein. Das am Ende genau das Gegenteil passiert ist und wir wieder gegen schädliche Gesetze ankämpfen, die das Internet einschränken, finde ich schade.
Dann lieber außerparlamentarische Opposition?
Lass es mich so sagen. Eins, was ich in den vergangenen fünf Jahren gelernt habe: Man sollte nicht den Kontakt zum Rest der Gesellschaft verlieren. Auch meine eigene Mediennutzung ist eigentlich im Jahr 2014 stehen geblieben. Ich weiß selbst nicht mehr, was die Midzwanziger im Internet so machen. Es ist erstaunlich und erschreckend, dass ich im Parlament mit meinen 32 Jahren noch eine der jüngsten Abgeordneten bin.