Joe Biden wird am 20. Januar 2021 Präsident der USA. Vor ihm liegen gewaltige Aufgaben: Ein Land regieren, das mitten in einer dramatischen Pandemie liegt, mit hoher Arbeitslosigkeit – und in dem über 70 Millionen Menschen Donald Trump gewählt haben.
Welche Erfolgschancen hat Joe Biden? Was kann er zu Beginn seiner Amtszeit erreichen? Was verändert sich durch den Machtwechsel in Washington für Deutschland? Und wie steht es um Donald Trump? Watson hat darüber mit Thomas Jäger gesprochen, Professor für Internationale Politik an der Universität zu Köln.
watson: Herr Jäger, Joe Biden wird am 20. Januar 2021 den Amtseid ablegen und 46. Präsident der USA werden. Was wird seine härteste Aufgabe?
Thomas Jäger: Die Polarisierung der amerikanischen Gesellschaft zu überwinden. Das hat er ja auch verstanden und es jetzt schon zu seiner zentralen Aufgabe gemacht. Die Gesellschaft in den USA hat sich in den vergangenen Jahrzehnten so weit auseinanderentwickelt, dass die Parteien, die sie repräsentieren, gar nicht mehr in der Lage sind, Kompromisse zu finden. Das hat zu einem Stillstand geführt. Und dazu, dass immer stärker durch Dekrete des Präsidenten regiert wird.
Die Probleme können nicht mehr gelöst werden, weil man sich einfach nicht mehr auf Gesetzestexte einigt. Joe Biden ist jemand, der in über 30 Jahren im Senat mitbekommen hat, dass man Kompromisse finden muss. Das können die Parteien aber nur machen, wenn sie das auch ihrer Wählerschaft erklären können. Deswegen ist das aus meiner Sicht Bidens wichtigste Aufgabe.
In seiner Siegesrede hat Biden auch schon viel davon gesprochen, dass er auf die Republikaner zugehen wolle. Die Demokraten haben aber Sitze im Repräsentantenhaus verloren – und die Mehrheit im Senat werden sie nicht gewinnen. Was wird dann aus Bidens ambitionierten Plänen, etwa beim Klimaschutz?
Diese Situation ist für ihn ein Problem. Biden muss jetzt schauen, wie er das nicht existierende demokratische Wahlprogramm in ein Regierungsprogramm packt. Da wird bei den Demokraten jetzt schon gestritten, was unbedingt geschafft werden muss – und wo man bereit ist, den Republikanern entgegenzukommen.
Wie realistisch sehen Sie die Chance, dass die Republikaner, die Trump gegenüber jetzt vier Jahre lang fast bedingungslos loyal waren, überhaupt zu Kompromissen bereit sind?
Das kommt wesentlich auf Trumps Verhalten an. Nach meiner Einschätzung wird Trump, auch nach seiner Abwahl, die wichtigste Figur der Republikaner bleiben. Er bleibt die lauteste Stimme, derjenige, der über die Karrieren der Abgeordneten mitentscheiden kann. Deswegen wird der eine oder andere vorsichtig sein. Es kommt jetzt darauf an, welche Richtung Trump einschlägt. Noch glaubt er, dass die Verleugnung der Realität die beste Option für ihn ist.
Wir müssen aber schauen, wie das in den kommenden drei Jahren weitergeht. Trump wird sein Verhalten danach ausrichten, was für seine politische Marke am besten ist. Wenn er auf Biden zugeht, würde das dem neuen Präsidenten die Arbeit ungemein erleichtern. Wenn er das nicht tut, bleibt die gespannte Situation bestehen. Und von dieser Spannung profitieren ja auch viele finanziell: zum Beispiel die US-amerikanischen TV-Sender, die das jeweilige Publikum mit ihrer Wahrheit versorgt haben.
Glauben Sie, dass die Republikaner in den USA sich eher wieder in Richtung einer US-Version von CDU oder CSU entwickeln – oder dass sie eine rechtspopulistische Partei bleiben?
Ich glaube nicht, dass die Republikaner in näherer Zukunft sich zurückentwickeln zur Partei Ronald Reagans. Wir wissen aus den Untersuchungen rund um diese Präsidentschaftswahl, dass Donald Trump nicht als politischer Unfall der Republikaner gewählt wurde – sondern wegen seines Programms. Ich habe einen deutschen Politiker gehört, der sich darüber gewundert hat, dass über 70 Millionen US-Amerikaner Trump gewählt haben, obwohl er aus dem Pariser Klimaschutzabkommen ausgetreten ist, auf Kohle, Erdöl und Fracking setzt und gegen eine allgemeine Krankenversicherung ist. Das ist der falsche Blick. Die Menschen haben Trump gewählt, weil er das macht. 2020 hat der nationalistisch-populistische Flügel der Republikaner die Partei gekapert – und 70 Millionen Wählerstimmen bekommen.
Was kann Biden tun, um auf diese über 70 Millionen Trump-Wähler zuzugehen?
Er müsste Lösungen für ihre Probleme finden.
Wie könnten solche Lösungen konkret aussehen?
Schauen Sie sich den Rostgürtel in den USA an, Bundesstaaten wie Michigan und Ohio, wo in den vergangenen Jahrzehnten sehr viele Industriearbeitsplätze verloren gegangen sind. In Trumps Amtszeit sind kaum Jobs dazugekommen. Aber Trump hat immer davon gesprochen, dass in Sektoren wie Kohle, Gas, Stahl und Öl Jobs zurückkommen. Bei dem, was die Demokraten vorhaben – den Mindestlohn auf 15 Dollar die Stunde erhöhen – weiß man nicht, ob das tatsächlich Arbeitsplätze zurückbringt oder es sogar schadet.
Das heißt aber umgekehrt: Wenn zum Beispiel Bidens Plan erfolgreich wäre, mit seinem billionenschweren Klimaschutzprogramm Millionen grüner Industriejobs zu schaffen, dann könnte er ehemalige Trump-Wähler zurückholen.
Ja. Wirtschaft ist die Basis. Aber Sie haben das ja im Konjunktiv formuliert. Und die Frage ist, ob Biden seine Programme durch den Kongress bringt. Die Demokraten haben Trumps Konjunkturprogramm vor der Wahl abgelehnt, um ihm vor der Wahl den Erfolg nicht zu gönnen. Die Republikaner könnten sich jetzt genauso verhalten. Das wäre ein Drama für die US-Wirtschaft und für die 12 Millionen Arbeitslosen. Und wenn jetzt eine demokratisch geführte Regierung jetzt noch schärfer gegen die Pandemie vorgeht, dann könnte das auch weitere Arbeitsplätze kosten.
Schauen wir auf den noch amtierenden Präsidenten Trump. Was passiert jetzt, wenn er sich weiter weigert, die Niederlage einzugestehen?
Man muss sich jetzt anschauen, welche Klagen Trumps Team jetzt einreicht. Eventuell könnte der Supreme Court die Auszählung der Briefwahlstimmen in Pennsylvania nochmals an sich ziehen. Aber das ist unwahrscheinlich. Und wenn das so kommt, dann hat Trump keine juristischen Mittel mehr, dieses Ergebnis anzuzweifeln. Und Nachzählungen, die jetzt mindestens in zwei Staaten vorgenommen werden, werden das Ergebnis auch nicht mehr ändern.
Das heißt, Trump baut da gerade einen Papiertiger auf?
Was Trump jetzt auch noch macht: Er sammelt Geld bei seinen Spendern ein. Damit will er seine Wahlkampfschulden bezahlen.
Die Washington Post hat berichtet, Biden plane schon für seinen ersten Tag im Weißen Haus, mehrere Dekrete der Trump-Regierung rückgängig zu machen: Er will zurück ins Pariser Klimaabkommen, den Schutz für minderjährige Migranten wiederherstellen, den "Muslim Ban" rückgängig machen, der WHO wieder beitreten. Wie groß sind die Auswirkungen dieser Dekrete?
Das werden vor allem symbolische Maßnahmen sein. Beim Klimaschutzabkommen wird es dann davon abhängen, ob die USA dann tatsächlich auch mehr tun, um ihre Klimaschutzvorgaben zu erfüllen. Und dass Biden jetzt versucht, Trump abzuwickeln – so wie vorher Trump Obama abgewickelt hat –, das ist ein Drama für die US-Außenpolitik. Das heißt, dass sie nur noch eine Verlässlichkeit von vier Jahren hat.
Woran werden die Menschen in Deutschland am stärksten merken, dass Biden statt Trump Präsident ist?
Die Forderungen werden unter Biden fast dieselben sein wie unter Trump. Nur kann die Bundesregierung sich jetzt nicht mehr mit dem Verweis auf Donald Trump herausreden.
Sie meinen zum Beispiel die Forderung an Deutschland, zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung auszugeben.
Ja, aber da geht es auch um das Handelsdefizit mit Deutschland, das die USA senken wollen, um Agrarimporte aus den USA – und um die Forderung, die Gaspipeline Nordstream 2 nach Russland zu stoppen. Diese Forderungen werden ja auch im Kongress unterstützt. Der Jubel über Bidens Wahl in Deutschland führt jetzt dazu, dass man sich nicht mehr herausreden kann. Das größere Problem für Deutschland liegt aber auf europäischer Ebene.
Was meinen Sie?
Wenn die Rede von den transatlantischen Beziehungen ist, dann sind ja die zwischen der EU und den USA gemeint, nicht nur die zwischen Deutschland und den USA. Und in Europa gibt es zum einen die Franzosen, die mehr strategische Autonomie wollen – zum anderen Polen und andere mittel- und osteuropäische Länder, die enger an die USA rücken wollen. Und die Bundesregierung hat da keine Anstrengungen unternommen, zu einer gemeinsamen europäischen Haltung zu kommen. Das wird aber dringend nötig sein.