Zwei Beamte an Silvester 2022 in Berlin in der Nähe des Brandenburger Tors.Bild: imago images / dts
Interview
21.12.2023, 18:1421.12.2023, 18:17
Polizisten wurden mit Böllern beworfen, Feuerwehrleute wurden attackiert. Tagelang beherrschte das Thema die Schlagzeilen: die Ausschreitungen in der Silvesternacht vor einem Jahr. Besonders heftig war die Situation in Berlin.
Jetzt sind sich alle einig: Das darf sich auf keinen Fall wiederholen. Auch Innenministerin Nancy Faser warnt kurz vor dem nächsten Silvester vor einer erneuten Eskalation. Doch wie schafft man das? Im watson-Interview spricht der Sprecher der Polizeigewerkschaft, Benjamin Jendro, über besondere Gefahren des bevorstehenden Jahreswechsels und welche Maßnahmen, die Polizei jetzt ergreift.
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watson: Die Silvesterausschreitungen von 2022, vor allem in Berlin, sind vielen gut in Erinnerung. Den Polizist:innen vermutlich auch, oder?
Benjamin Jendro: Silvester ist immer Ausnahmesituation für Polizei und Rettungsdienst. Es gibt immer extrem viele Einsätze. Dass dabei Kollegen gefährdet oder sogar verletzt wurden, sei es mutwillig oder versehentlich, auch durch erhöhten Alkoholkonsum – das gab es leider immer wieder. Auch, dass es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen kam oder dass mit Pyrotechnik oder sogar einer Schreckschusspistole auf Rettungswagen und die Besatzung geschossen wurde, ist nicht neu. Deshalb hat uns die Gewalt gegenüber Einsatzkräften vor einem Jahr nicht sonderlich überrascht.
Sprecher der Gewerkschaft der Polizei, Benjamin Jendro. Bild: GdP Berlin / GdP Berlin
Was sich verändert hat, ist, dass wir erstmals richtig viel Bildmaterial hatten, weil sich viele auch noch selbst dabei gefilmt und das veröffentlicht haben. Die Feuerwehr sprach wie jeden 1. Januar von einer neuen Dimension der Gewalt. Neu war in der Tat, dass viele der Einsatzkräfte in einen Hinterhalt gelockt wurden. Die Polizei kannte das schon, beispielsweise von Halloween. Als Polizist musst du in dieser Stadt ja immer darauf gefasst sein, dass du angegriffen wirst. Aber Mitarbeiter der Feuerwehr geraten normalerweise nicht so in den Fokus von Gewalt, zum Glück jedenfalls nicht in der Breite. Deshalb war für viele 2022/23 schon eine ganz neue Erfahrung.
Was hat sich seitdem verändert?
Danach wurde darüber viel geredet, es gab unglaublich warme Worte und Sonntagsreden. In den ersten Tagen haben alle nach Berlin geblickt, bis auch Markus Söder mitbekommen hat, dass das kein Berlin-Problem ist, sondern dass es Angriffe im gesamten Bundesgebiet gab. Durch die CDU wurde eine Migrationsdebatte daraus. Dann wollte Nancy Faeser die Waffengesetze verschärfen. Man wollte den Verkauf von Pyrotechnik stärker reglementieren. Aber passiert ist rein gar nichts.
Die Lage hat sich schnell wieder abgekühlt, politische Maßnahmen blieben aus. Deshalb werden wir vermutlich in der ersten Januarwoche wieder eine tolle Debatte haben und viele Ankündigungen. Aber ob dieses Mal was dabei rumkommt, weiß man noch nicht. Wir werden dafür kämpfen, für ein Silvester 24/25 ohne verletzte Einsatzkräfte.
Welche Ideen für Maßnahmen gibt es von der Polizei?
Seit Januar haben wir mit allen politischen Parteien über umsetzbare Ideen gesprochen, für Berlin, aber auch ganz Deutschland. Aber auch da ist nichts passiert. Die GdP hat ein Verbot von Pyrotechnik für den privaten Gebrauch gefordert. Stattdessen sollte es große, organisierte Veranstaltungen mit Feuerwerk geben, sodass nicht so viele Menschen einfach auf der Straße Pyrotechnik abfeuern. Nur so kann man dann diejenigen, die sich nicht daran halten, auch rausziehen, beweissicher und gezielt festnehmen. Feuerwerk als organisierte Veranstaltung gibt es mittlerweile in vielen großen Städten in anderen Ländern. Nur bei uns nicht, weil sich viele ihre achso deutsche Tradition vom Böllern an Silvester nicht verbieten lassen wollen.
In der Silvesternacht wurde teilweise mit Feuerwerkskörpern auf Polizist:innen und Einsatzkräfte geworfen.Bild: TNN / Julius-Christian Schreiner
Wenn Böllerverbote umgesetzt werden, funktioniert es in der Praxis leider nicht.
Die Rechtslage ist so, dass du das Böllern in bestimmten Bereichen verbieten kannst. In Berlin gibt es mehrere Verbotszonen. Das Problem ist: Wenn du sagst, die Zone geht bis hier, dann gibt es Knallköppe, die gehen einfach zehn Meter weiter und machen trotzdem, was sie wollen. Böllerverbots-Zonen sind sehr personalintensiv. Du musst die Bereiche abstecken, musst mit Hundertschaften dafür sorgen, dass das Verbot eingehalten wird, nur um wenigstens in der Zone fein heraus zu sein.
"Die meisten Menschen, mit denen man spricht, gerade mit Kindern oder Haustieren, die trauen sich an Silvester gar nicht auf die Straße."
Unser Wunsch wäre: Wenn wir eine Verbotszone machen, dann am besten in ganz Berlin. Und wenn das nicht klappt, dann zumindest innerhalb des S-Bahn-Rings. Dann ist einfach klar: Wer da mit Pyrotechnik erwischt wird, begeht eine Ordnungswidrigkeit. Er muss bezahlen und ihm wird Pyrotechnik abgenommen. Du wirst nicht alles unterbinden können, aber das ist jedem klar. Nachhaltig würde sich das durchsetzen. Die Umfragen zeigen alle klar, die Bevölkerung befürwortet ein Verbot mehrheitlich, Deutschland ist so weit. Die meisten Menschen, mit denen man spricht, gerade mit Kindern oder Haustieren, die trauen sich an Silvester gar nicht auf die Straße.
Die Polizei hat sich mit einem Appell an Eltern von Jugendlichen gewandt, was fast verzweifelt wirkt. Warum hat man sich dazu entschlossen?
Was kann die Polizei denn im Rahmen der präventiven Maßnahmen machen? Nicht viel. Wir wissen alle nicht, ob es hilft, sich mit einem Brief an die Eltern von Jugendlichen zu wenden. Aber wenn du darüber zumindest ein paar Menschen erreichst, hat es was gebracht.
"Es bedarf jetzt keines Krieges in Nahost, damit Menschen an Silvester durchdrehen: Die wollen es den Polizisten und auch Feuerwehrleuten dann so richtig zeigen."
Was ist mit den Personen passiert, die im vergangenen Jahr festgenommen wurden?
Es gab im letzten Jahr 145 Festnahmen. Nur wenige Fälle landeten vor Gericht, in den meisten Fällen wurden die Ermittlungen einfach wieder eingestellt.
Warum ist so wenig passiert?
Erstmal müssen wir festhalten, dass viele der Festnahmen gar nicht im Zusammenhang mit den Bildern stehen, über die alle geredet haben. Da waren zum Beispiel auch Beschmierungen am Brandenburger Tor bei, die wegen Geringfügigkeit eingestellt werden. Selbst, wenn du auf Video hast, dass jemand mit einer Rakete auf einen Polizisten geschossen hat, kannst du fast nichts machen, weil derjenige sich dann rausreden kann, wenn er sagt, es war ein Versehen, die Zündschnur hat mir den Finger verbrannt. Da haben wir einfach keine Handhabe.
Nicht nur in Berlin war am 1. Januar 2023 leider viel Zerstörung zu sehen. Bild: Imago Images/Jürgen Held
Wie blickt ihr auf den bevorstehenden Silvesterabend?
Wir hoffen natürlich, dass es besser wird. Aber wir blicken mit Sorge auf die Silvesternacht in diesem Jahr, weil Gewalttäter noch immer Waffen an die Hand bekommen. Es sollen mehr als 2800 Polizisten zusätzlich zu den üblichen Besatzungen der Streifenwagen unterwegs sein. Vielleicht gibt es auch noch ein bisschen Unterstützung von der Bundespolizei. Klar ist aber, Berlin ist groß, hat fast 4 Millionen Einwohner und bei aller Vorarbeit, wir kennen die Brennpunkte aus dem letzten Jahr, aber nicht die, die sich in diesem Jahr ergeben.
Wird die Situation noch schlimmer durch den Israelkrieg?
Es bedarf jetzt keines Krieges in Nahost, damit Menschen an Silvester durchdrehen: Die wollen es den Polizisten und auch Feuerwehrleuten dann so richtig zeigen. Was wir am 7. Oktober nach den Hamas-Angriffen auf Israel auf der Sonnenallee und an anderen Orten gesehen haben, war ein kleiner Vorgeschmack auf das, was uns am Silvesterabend erwartet.
Und zwar?
Da haben wir gesehen, was auf den Straßen an Pyrotechnik alles unterwegs ist. Mit einer verschärften globalen Lage kann es natürlich den ein oder anderen mehr auf die Straße bringen und es kann dafür sorgen, dass es in der sowieso schon angeheizten Stimmung wenig braucht, bis man dann gerade aus der Masse heraus auch Polizist und Rettungskräfte attackiert. Wenn jemand selbst Palästinenser ist oder irgendeine Verbindung hat, dadurch emotionalisiert ist, dann ist er in der aktuellen Situation vielleicht eher dazu bereit. Aber wir wünschen allen Einsatzkräften, dass sie gesund ins neue Jahr starten.