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Befahl Putin Nawalny-Vergiftung? Russland-Expertin warnt vor Trugschluss

Steckt Wladimir Putin hinter der Vergiftung von Kreml-Kritiker Alexei Nawalny mit dem Nervengift Nowitschok?
Steckt Wladimir Putin hinter der Vergiftung von Kreml-Kritiker Alexei Nawalny mit dem Nervengift Nowitschok?Bild: Sean Gallup/Getty Images
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Russland-Expertin: Vergiftung Nawalnys muss kein Befehl von Putin persönlich gewesen sein

05.09.2020, 16:07
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Wie die behandelnden Ärzte der Berliner Charité am Mittwoch bestätigten, wurde der Kreml-Kritiker Alexej Nawalny mit einem Nervenkampfstoff aus der Nowitschok-Gruppe vergiftet. Es steht der Verdacht im Raum, dass der Kreml hinter dem Anschlag auf den Oppositionspolitiker steckt, was die russische Regierung dementiert. Auch die Bundesregierung reagierte mit ungewohnt scharfen Worten Richtung Russland und Wladimir Putin.

Inzwischen fordern einige Stimmen, unter anderem der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschuss, Norbert Röttgen (CDU), dass als Reaktion auf die Vergiftung Nawalnys der Bau der Erdgaspipeline Nord Stream 2 durch die Ostsee zumindest vorübergehend gestoppt werden soll. Das gigantische Bauvorhaben ist ein deutsch-russisches Vorzeigeprojekt und wurde schon in der Vergangenheit immer wieder heftig kritisiert – unter anderem von US-Präsident Donald Trump.

Watson hat mit der Russland-Expertin Sarah Pagung von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik darüber gesprochen, wer hinter der Vergiftung Nawalnys stecken könnte und warum das geforderte Ende von Nord Stream 2 auch für die Bundesregierung zum Problem werden kann.

Über die Vergiftung von Nawalny:

"Es kann auch jemand aus dem Sicherheitsapparat gewesen sein, der das selbstständig veranlasst hat."

watson: Wie sicher ist es, dass die russische Regierung hinter der Vergiftung von Alexei Nawalny steckt?

Sarah Pagung:
Mit der Aussage der Charité, dass Nawalny mit Gift aus der Nowitschok-Gruppe vergiftet wurde, ist es relativ wahrscheinlich. Es gibt allerdings noch unterschiedliche Szenarien, wie das genau abgelaufen sein könnte. Es muss nicht zwingend eine Order aus dem Kreml gewesen sein, die einen russischen Geheimdienst dazu angeleitet hat, Nawalny zu vergiften. Es kann auch jemand aus dem Sicherheitsapparat gewesen sein, der das selbstständig veranlasst hat.

Oder möglicherweise auch jemand, der mit der russischen Regierung gar nichts zu tun hat?

Es ist auch möglich, dass Nowitschok illegal gekauft und von Gruppen verwendet wurde, die nicht Teil des Sicherheitsapparats sind. Das sind alles Szenarien, die durchaus möglich sind. Aber vor dem Hintergrund, dass die Sowjetunion den Kampfstoff entwickelte, er anschließend unter anderem auch bei der Vergiftung von Sergei Skripal und seiner Tochter vor zwei Jahren zum Einsatz kam und man da relativ sicher weiß, dass der russische Staat dahintersteckt, ist es sehr wahrscheinlich, dass dieses Mal auch die russische Regierung involviert ist.

Welches Interesse könnte Wladimir Putin haben, Nawalny zu vergiften?

Nawalny ist der bekannteste und populärste Kopf der Opposition. Er hat nicht nur eine gewisse Bekanntheit, sondern auch eine sehr gut ausgebaute Struktur von Unterstützerinnen und Unterstützern in ganz Russland. Das kann ein sehr wichtiger Motor für eine Mobilisierung der Opposition bei den kommenden Parlaments- und Regionalwahlen sein.

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Kreml-Kritiker Alexei Nawalny war Ende August in die Berliner Charité gebracht worden, wo er derzeit behandelt wird. Bild: Getty Images Europe / Maja Hitij

So gesehen kann er für Putins Regierungspartei "Einiges Russland" eine echte Gefahr darstellen. Die Vergiftung Nawalnys muss aber nicht von Putin persönlich in Auftrag gegeben worden sein. Man darf nicht auf das Bild hereinfallen, dass Putin wie ein Zar vom Thron aus regiert und Order gibt. Es könnten durchaus auch andere Politiker oder Mitarbeiter aus dem Sicherheitsapparat gewesen sein, die ein Interesse daran haben, dass die Opposition geschwächt wird.

Die Bundesregierung hat ungewöhnlich direkt und konfrontativ auf die Vergiftung Nawalnys reagiert. Angela Merkel nannte den Anschlag einen "versuchten Giftmord", Nawalny sollte zum "Schweigen gebracht werden". Was bedeutet das für die deutsch-russischen Beziehungen?

Das wird das Verhältnis sicherlich weiter belasten. Allerdings muss man dazu sagen, dass das Verhältnis ja auch schon vorher nicht gut war. Im vergangenen Mai hatte Angela Merkel öffentlich gesagt, dass sie Russland für eine Cyberattacke auf den Bundestag für verantwortlich hält, genauso wie für den Mord an einem Georgier im Tierpark im vergangenen Jahr. Das Verhältnis ist schon sehr schlecht.

"Ein Stopp von Nord Stream 2 würde nicht nur Russland bestrafen."

Wie wird die Bundesregierung weiter auf die Vergiftung Nawalnys reagieren?

Man muss damit rechnen, dass Deutschland erneute Sanktionen in Betracht zieht. Möglicherweise wird das Deutschland im Alleingang machen, indem es Diplomaten ausweist. Es könnte aber auch über die EU-Ebene geschehen. Nowitschok ist ein Kampfstoff, der verboten ist, daher könnte Deutschland Sanktionsmaßnahmen im Rahmen des europäischen Verbots von chemischen Waffen geltend machen. Das ist auch nach dem Mordanschlag auf Sergei Skripal passiert.

Gleichzeitig baut Deutschland zusammen mit Russland eine gigantische Erdgaspipeline an der Ostsee. Könnten sich mögliche Sanktionen auch auf Nord Stream 2 auswirken?

Wenn Deutschland dieses Projekt jetzt noch stoppen will, wäre das sicherlich die weitreichendste Entscheidung, die Deutschland treffen könnte, mit den meisten Auswirkungen. Das ist ein zehn Milliarden Euro teures Projekt, in das bereits neun Milliarden investiert wurden. Ein Stopp des Projekts wäre im Gegensatz zur Ausweisung von Diplomaten nicht nur ein symbolischer Akt, sondern einer mit großen Auswirkungen auf Russland.

Halten Sie einen Stopp für realistisch?

Das ist natürlich die Frage, denn ein Stopp würde nicht nur Russland bestrafen, sondern auch deutsche Unternehmen. Außerdem könnten politische Parteien wie die Linke und die AfD das Ende von Nord Stream 2 im Wahlkampf instrumentalisieren und es so drehen, dass die Bundesregierung den Schritt nicht aufgrund der Vergiftung von Nawalny gegangen ist, sondern auf Druck der US-Regierung unter Donald Trump, der ein Ende von Nord Stream 2 schon lange fordert.

Osteuropa-Expertin Sarah Pagung von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik.
Osteuropa-Expertin Sarah Pagung von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik.Bild: Privat

Über die Proteste in Belarus:

"Solange Putin das Gefühl hat, dass die Lage nicht außer Kontrolle gerät, wird er sich auf nicht-militärische Einflussnahme beschränken."

Die Vergiftung Nawalnys ist nicht der einzige aktuelle Konfliktherd zwischen Russland und der EU. In Belarus demonstrieren Menschen gegen Wahlbetrug. Der Präsident Lukaschenko steht unter hohem Druck und hofft auf Hilfe aus Russland. Wird Putin hier weiter eingreifen?

Ich halte es momentan für unwahrscheinlich, dass Russland hier weiter mit Kräften vor Ort interveniert, sei es Polizei oder Militär. Putin hat zwar eine Polizeieinheit gegründet, die in Belarus eingreifen würde, sollten die Proteste gewalttätig werden. Aktuell ist das aber nicht geplant und würde auch keinen Sinn ergeben, außer der westliche Einfluss in Belarus würde stärker werden und den russischen Einfluss verdrängen. Genau das ist 2014 in der Ukraine passiert, nachdem die Maidan-Proteste eskaliert sind. In Belarus ist die Lage aber aktuell noch anders. Weder EU noch USA haben aktuell gute Instrumente, um Einfluss auf Minsk zu nehmen. Solange Putin also das Gefühl hat, dass die Lage nicht außer Kontrolle gerät, wird er sich auf nicht-militärische Einflussnahme beschränken.

Und wird er weiter an Lukaschenko festhalten?

Lukaschenko ist in großen Teilen von der Unterstützung Russlands abhängig. Das heißt, Russland kann ihn sehr gut lenken. Sollte Lukaschenko sich aber weigern, dem Druck von Moskau nachzugeben und auch die Unterstützung der Eliten in Belarus verlieren, kann Russland sich relativ einfach einen prorussischen Gegenkandidaten aus den Eliten rekrutieren, unterstützen und an die Macht verhelfen.

Über die Expertin
Sarah Pagung ist Expertin für Mittel- und Osteuropa, Russland und Zentralasien bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Ihr Schwerpunkt ist die russische Außen- und Sicherheitspolitik sowie die Informationspolitik.
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