Trotz Proteste ist die Debatte um Wirtschaftshilfen für die deutschen Autobauer noch nicht vom Tisch. Unternehmen wie VW, BMW und Mercedes wollen weiterhin daran festhalten, ihren Anteilseignern Dividenden auszuschütten und trotzdem Hilfe vom Staat in Anspruch nehmen.
Auch andere Branchen profitieren von staatlicher Unterstützung. Der Bekleidungshersteller Adidas erhielt einen Kredit über drei Milliarden Euro. Zunächst wollte Adidas die Mietzahlungen für einen Teil seiner Läden aussetzen, nach anfänglichen Protesten hat das Unternehmen sich davon allerdings wieder distanziert. Der Eindruck bleibt trotzdem bestehen, dass die großen Konzerne die aktuelle Situation ausnutzen, um sich Vorteile zu verschaffen.
Der Wirtschaftsphilosoph Birger Priddat kritisiert die aktuelle Wirtschaftspolitik der Regierung und fordert, dass bei den Wirtschaftshilfen darauf geachtet wird, dass die Unternehmen ökologisch und sozial wirtschaften. Warum ihn der Egoismus einiger Konzernchefs nicht wundert, und ob der Kapitalismus überhaupt das richtige Wirtschaftssystem im Kampf gegen eine Pandemie ist, erklärt er im Interview mit watson.
watson: Aktuell läuft die Wirtschaft langsam wieder an, aber es werden schwere wirtschaftliche Folgeschäden erwartet. Ganz grundsätzlich gefragt: Ist der Kapitalismus das richtige Wirtschaftssystem im Kampf gegen eine globale Pandemie?
Birger Priddat: Es gibt keine Alternative. Aber wir machen aktuell große Fehler während der Corona-Pandemie. Die Regierung gibt Geld an Unternehmen, ohne auf die Kriterien zu achten, die vor der Krise so wichtig geworden waren: Die Nachhaltigkeit. Jede Firma erhält unabhängig von ihrer Umweltverträglichkeit oder Energieeffizienz Geld.
Das könnte der Staat auch anders steuern und er sollte es auch. In Frankreich und in Dänemark bekommen Firmen kein Geld, die noch Dividenden zahlen. Die Bundesregierung muss bei der Rettung der Wirtschaft ihre strategische Ausrichtung beibehalten. Das macht die Wirtschaft nicht von sich aus. Die Wirtschaft nutzt die aktuelle Lage, um von umweltpolitischen Themen Abstand zu nehmen.
Nutzen Unternehmen auch den Staat aus?
Viele Unternehmen sind nicht erst durch die Corona-Krise ins Schlingern gekommen, sondern waren vorher schon nicht profitabel und das wird jetzt durch die Hilfszahlungen überdeckt. Die Probleme, die vorherrschten, werden also nur verschoben und kommen dann später ans Tageslicht. Es ist aber wichtig, dass wir unsere Wirtschaft neu ausrichten. Vor allem muss mehr geforscht und entwickelt werden. Die Gelder müssen in solche Bereiche fließen. Sonst werden wir eine Dynamik erleben, die dazu führt, dass wir im internationalen Vergleich nicht vorwärts kommen. Gerade im Bereich der Digitalisierung. Wir sind in unseren Maßnahmen viel zu traditionell und klassisch.
Damit meinen Sie auch die Automobilkonzerne?
Natürlich. Die befinden sich im Umbruch und versuchen gerade, langsam die E-Mobilität voranzubringen. Dort haben die deutschen Automobilkonzerne die wichtigen Innovationen schon lange verschlafen. BMW hatte bereits vor langer Zeit Autos entwickelt, die mit Wasserstoff fahren können. Trotzdem wurde dort nichts getan und jetzt wird auf einmal verstärkt versucht, E-Autos zu entwickeln. Diese Industrie ist im Umbruch und wird die jetzige Situation nutzen, um im Schatten von Corona Leute zu entlassen. Auch hier sind angesichts der vorher erlangten Profite und laufender Dividendenzahlungen die Forderungen nach Staatsunterstützung obsolet.
Welche Stellen sollen das sein?
Die Stellen, die die Automobilkonzerne jetzt aufgrund der Kurzarbeit streichen, werden später, wenn der Aufschwung kommt, nicht wiederbesetzt. Die Mitarbeiter werden durch Automatisierung ersetzt oder einfach nicht mehr benötigt. E-Autos sind in der Fertigung viel einfacher als herkömmliche Autos mit Verbrennungsmotor. Es werden zum Beispiel keine Getriebe und komplexe Motoren benötigt, weshalb große Fertigungszweige bei den Konzernen und Zulieferern wegfallen. Diese Stellen sollten sowieso gestrichen werden, und das ist jetzt sehr einfach möglich, da die Konzerne es auf die wirtschaftlich schlechte Lage während der Rezession schieben können.
Das klingt sehr kalkuliert. Kommt in der Krise der Egoismus der Konzerne zum Vorschein?
Ja, aber das wundert mich nicht. Die Management-Generation, die jetzt dran ist, ist sehr auf Wertschöpfung aus, auch was die eigenen Prämien und Gehälter anbelangt. Für die ist das normal. Und sie wundern sich, dass da noch Kritik kommt.
So wie bei Adidas. Das Unternehmen hat viel Gegenwind bekommen, weil es die Mieten für einige seiner Läden nicht mehr zahlen wollte…
Adidas hat in Deutschland eine Wertschöpfungsquote von circa fünf Prozent, die verlagern die Produktion dorthin, wo es weltweit die billigsten Löhne gibt. Für Adidas bricht jetzt die Produktion zusammen, weil aufgrund von Corona die Lieferketten unterbrochen sind und sie weder Ressourcen, noch fertige Produkte im- oder exportieren können.
Ist es da nicht richtig, dass ein Unternehmen wie Adidas Finanzhilfen fordert?
Warum sollte ein Unternehmen wie Adidas Geld vom Staat erhalten, das vorher hochwertig profitiert hat und in Deutschland kaum Jobs generiert, sondern die komplette Produktion ins Ausland verlagert hat? Die Aufgabe des Staates ist es, Arbeitsplätze zu retten. Es ist nicht sein Job, Firmen zu retten. Ich verstehe, dass versucht wird, mittelständische Firmen zu retten, die in ihrer Existenz bedroht sind und ihre Mitarbeiter sonst entlassen müssen. Aber Konzerne, die genug Liquidität und Eigenkapital besitzen und noch dazu kaum Mitarbeiter in Deutschland haben, sollten keinen Cent bekommen.
Nach eigener Aussage ist Adidas aber auch finanziell durch die Corona-Krise in der Existenz bedroht…
Da stellt sich die Frage, wie diese Unternehmen wirtschaften, wenn sie nach ein paar Wochen ohne Absatz schon kein Geld mehr haben. Offensichtlich haben viele große Unternehmen nicht ausreichende Rücklagen gebildet, um in schweren Zeiten über die Runden zu kommen. Das gehört sich aber für ein verantwortungsvolles Unternehmertum. Ich finde es auch immer wieder bemerkenswert, dass die Wirtschaft den Staat generell für ineffizient erklärt, aber in dem Moment, wenn es bei den Unternehmen nicht mehr läuft, der Staat einspringen soll, um finanziell zu unterstützen.
Hat sie den Staat denn vorher durch anständige Steuerzahlungen genügend gestützt? Es ist doch die Idee des Unternehmertums, dass die Firmen das Risiko tragen. Es gibt auch Gegenbeispiele. Familienbetriebe, die Rücklagen haben und Mitarbeiter und andere Kosten aus der eigenen Tasche zahlen. Die beantragen auch kein Kurzarbeitergeld. Ein Unternehmen muss nachhaltig wirtschaften. Da fehlt das Grundverständnis, dass ich als Unternehmer Verantwortung trage.
Auch andere Unternehmen leiden in der Krise: Demnächst soll die Bundesliga wieder anfangen, weil einige Vereine in ihrer wirtschaftlichen Existenz bedroht sind, auf der anderen Seite können Eltern ihre Kinder nicht in die Kita schicken, weil die weiterhin geschlossen sind. Ist das nicht irgendwo ungerecht?
Eine Kita ist kein Businessmodell, sondern eine Daseinsvorsorge. Natürlich drängen die Vereine darauf, die Bundesliga weiterzuführen, zumindest als Geisterspiele, weil sie die Einnahmen durch die Fernsehübertragungen brauchen. Das gibt jetzt einige Kritik, die wird aber wieder abebben, wenn die Spiele beginnen. Fußball gehört in vielen Haushalten dazu und die Leute – vorwiegend Männer – brauchen das am Wochenende. Diese Emotionen müssen bedient werden, sonst lassen die Leute ihre Aggressionen woanders raus. Andererseits ist die Coronakrise auch eine Übergangsepoche: Brauchen wir das alles? Müssen wir dieses Milliardengeschäft unbedingt unterstützen? Generell ändert sich die Konsumkultur.
Beim Fußball geht es aber nicht nur um finanzielle Interessen…
Natürlich. Die Menschen müssen auch beruhigt und unterhalten werden. Fußball ist im Grunde genommen ein Aggressionsregulator. Da können Männer ihre Emotionen verarbeiten.
Nun kommen einige kritische Einwürfe von Wolfgang Schäuble, aber auch Boris Palmer, der sagte, man müsse abwägen, ob die Verlängerung der Lebensspanne einiger Menschen die aktuellen Maßnahmen rechtfertigten. Wird diese Debatte noch ethisch korrekt geführt?
In einer Demokratie kann es keine korrekte Führung der Debatte geben. Es geht bunt durcheinander, und so ist es auch richtig. Ansonsten müsste einer sagen, wo es lang geht und was erlaubt ist und was nicht, und den gibt es nicht. Wir müssen die Fragen und Argumente offenlegen und schauen, dass Menschen ein Gefühl für die richtigen Fragen entwickeln. Ich bin der Meinung, dass die Kanzlerin bei der Lockerung der Maßnahmen insgesamt sehr bedacht vorgeht, genauso wie Markus Söder. Trotzdem darf man das kritisieren und muss es sogar. Das ist der Sinn der Öffentlichkeit in einer Demokratie.
Was können wir aus der Corona-Krise lernen?
Wir müssen lernen, mit dem Virus zu leben. Das bedeutet, dass Menschen aus der Risikogruppe mit Vorerkrankungen und Fettleibigkeit vorsichtig sein müssen. Das bedeutet aber auch, dass wir im Umgang miteinander aufpassen, Hände häufiger waschen und Körperkontakt vermeiden. Außerdem merken wir, dass wir weniger brauchen, als wir denken. Wir konsumieren weniger, fahren weniger in den Urlaub und viele Leute merken, dass das auch geht. Vielleicht lernen wir, nachhaltiger zu leben. Die Vorsicht wird bleiben, weil man die Sicherheit letztlich höher schätzt als das bloße Ausleben des Lebens.