Annalena Baerbock steht vor dem schwierigsten Besuch ihrer bisherigen Amtszeit. Die deutsche Außenministerin kommt am Dienstag vor dem Hintergrund der Krise zwischen Russland und der Ukraine in Moskau mit ihrem russischen Amtskollegen Sergej Lawrow zusammen. Angesichts der Konflikte zwischen Berlin und Moskau dürfte der Antrittsbesuch beim dienstältesten Außenminister Europas für die Grünen-Politikerin eine Art Feuerprobe sein.
Annalena Baerbock bei ihrem Besuch in der Ukraine, neben dem ukrainischen Außenminister Dmytro Kuleba. Bild: imago images / Janine Schmitz/photothek.de
Am Montag hatte sich die deutsche Außenministerin in der ukrainischen Hauptstadt Kiew mit Präsident Wolodymyr Selenskyj und ihrem Amtskollegen Dmytro Kuleba beraten. Vergangene Woche hatte es weitgehend ergebnislose Verhandlungen zwischen den USA und Russland, im Nato-Russland-Rat und im Rahmen der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) gegeben.
Der Westen befürchtet angesichts eines massiven russischen Truppenaufmarschs an der Grenze zur Ukraine, dass Russland nach der Annexion der Krim 2014 derzeit einen Einmarsch im Nachbarland vorbereitet. Die russische Regierung um Präsident Wladimir Putin weist das kategorisch zurück. Russland hat seit November 2021 zum wiederholten Mal zehntausende Soldaten an der Grenze zur Ukraine aufmarschieren lassen.
Wie gefährlich ist die Lage aktuell? Was kann Annalena Baerbock mit ihren Besuchen in Kiew und Moskau bewirken? Und ist es klug, wie die Bundesregierung Waffenlieferungen an die Ukraine auszuschließen? watson hat darüber mit Sarah Pagung gesprochen, politische Analystin und Doktorandin an der Freien Universität Berlin.
watson: Frau Pagung, wie groß ist gerade die Gefahr, dass es Krieg zwischen Russland und der Ukraine gibt?
Sarah Pagung: Ein Krieg ist definitiv ein realistisches Szenario. Wir sollten uns auf eine mögliche Eskalation vorbereiten. Ob es wirklich so weit kommt, hängt sicherlich davon ab, wie die Verhandlungen zwischen den USA und Russland in der vergangenen Woche und weitere Kontakte wie zwischen der deutschen Außenministerin Annalena Baerbock und ihrem russischen Amtskollegen Sergej Lawrow in dieser Woche bewertet werden. Ob das die Grundlage sein kann für weitere Verhandlungen, die einen Krieg verhindern können.
Was meinen Sie mit "auf eine Eskalation vorbereiten"? Was sollte Deutschland konkret tun?
Wir brauchen zum einen Instrumente, um Russland im Kriegsfall einzudämmen und dafür zu sorgen, dass es selbst die Kosten einer Eskalation trägt. Das könnten wirtschaftliche Sanktionen wie ein Ausschluss Russlands aus dem globalen Zahlungssystem SWIFT sein, mehr finanzielle Unterstützung für die Ukraine, vor allem seitens der Europäischen Union – und natürlich Waffenlieferungen.
"Wenn wir uns anschauen, wie Lawrow in den vergangenen Jahren gerne mit diplomatischen Gästen umgegangen ist, ist es schon eine ganze Menge, wenn Annalena Baerbock verhindert, dort aufzulaufen oder schlecht dazustehen."
Was müsste Annalena Baerbock in ihren Gesprächen in Kiew und in Moskau erreichen, damit man sie als Erfolg werten kann?
Ich wurde die Messlatte relativ niedrig hängen, es ist ja auch ein erstes Kennenlernen. Gegenüber der Ukraine ist es sicherlich wichtig, die Unterstützung Deutschlands deutlich zu machen. Das Problem sind aber die Debatten, die wir momentan in Deutschland führen: Die SPD will in weiten Teilen keine Sanktionen gegen die russisch-deutsche Gaspipeline Nord Stream 2, der baldige CDU-Chef Friedrich Merz schließt einen Ausstieg aus SWIFT aus, die meisten wollen keine Waffenlieferungen an die Ukraine. Für die Ukraine ist es da natürlich schwer, die Unterstützungsbekundungen ernstzunehmen.
Was sollte Annalena Baerbocks Ziel in Moskau sein?
Gegenüber Russland ist es wichtig nachzuprüfen, ob es eine Chance für weitere Verhandlungen gibt. Und ganz ehrlich gesagt: Wenn wir uns anschauen, wie Lawrow in den vergangenen Jahren gerne mit diplomatischen Gästen umgegangen ist, ist es schon eine ganze Menge, wenn Annalena Baerbock verhindert, dort aufzulaufen oder schlecht dazustehen.
Der Besuch des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell beim russischen Außenminister Lawrow brachte ihm viel Kritik ein.Video: YouTube/euronews (deutsch)
Sie spielen auf den Besuch des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell in Moskau vor knapp einem Jahr an, der russische Außenminister hat ihn damals auf offener Bühne gedemütigt. Was kann Baerbock tun, um so etwas zu verhindern?
So etwas, wie es Borrell passiert ist, kann sie eigentlich nicht verhindern. Was will man denn machen, wenn man selbst nebenan in der Pressekonferenz steht und nicht wirklich eingreifen kann? Die Frage ist eher: Wie souverän geht man mit so etwas um? Dabei könnte es aber zu einem Problem für Baerbock werden, dass die Koalition in Berlin sich gerade nicht wirklich einig ist im Umgang mit Russland und dass er vor allen Dingen aus der SPD sehr beschwichtigende Töne gibt.
"Das Risiko für Baerbock ist, dass die Russen ein bisschen testen könnten, wie weit sie gehen können, wenn sie die Außenministerin vor den Kopf stoßen."
Was bedeutet das?
Das Risiko für Baerbock ist, dass die Russen ein bisschen testen könnten, wie weit sie gehen können, wenn sie die Außenministerin vor den Kopf stoßen. Bekommt sie dann wirklich Unterstützung von der SPD? Oder sagen die Sozialdemokraten dann eher: Naja, so schlimm war es nicht. Das wäre dann ein erster Härtetest für die Ampel-Koalition.
Der wichtigere Teil der Gespräche findet hinter verschlossenen Türen statt. Was kann Baerbock da realistischerweise erreichen?
Sie müsste vor allem glaubhaft vermitteln, dass es Deutschland ernst meint mit weiteren Sanktionen – obwohl das eben schwierig ist wegen der Haltung der SPD. Sie muss klar machen, dass die deutsche Unterstützung für die Ukraine nicht zu verhandeln ist. Ich denke aber, es wird vor allen Dingen darum gehen, noch mal zu horchen, was genau eigentlich die russische Position ist.
Wie viel Achtung hat Russland momentan für Deutschland?
Nicht allzu viel, denke ich. Die deutsche Regierung ist sich ja, wie gesagt, nicht einig, wie sie sich zum russischen Truppenaufmarsch an der Grenze zur Ukraine verhalten soll. Alle möglichen Seiten versuchen, Instrumente gegen Russland vom Tisch zu nehmen. Und wer zuallererst sagt, was man alles nicht macht, der wird natürlich nicht ernst genommen. Wobei man natürlich auch sagen muss, dass der eigentliche Adressat Russlands die USA sind. Schon allein deshalb ist das Gewicht Deutschlands eher mittelschwer.
Sie haben im Politik-Podcast der "Zeit" gesagt, dass viele in Deutschland nicht verstünden, dass es den russischen Machteliten um Präsident Putin in aller allererster Linie um den eigenen Machterhalt geht - und weniger um den Wohlstand der breiten Bevölkerung in Russland. Haben dann Wirtschaftssanktionen überhaupt noch Gewicht - vor allem jetzt, da die russischen Truppen schon an der Grenze zur Ukraine stehen?
Ja, ich denke schon, zumindest mittel- bis langfristig. Klar, Sanktionen werden nicht dafür sorgen, dass die russische Machtelite die Waffen streckt. Aber ein autoritäres Regime aufrechtzuerhalten, ist mit enormen Kosten verbunden: die Unterdrückung der Opposition, Repressionen, aber auch Geld für Unterstützer, in Russland vor allem durch Korruption. Wenn andere Staaten die dafür nötigen Ressourcen langfristig deutlich beschneiden, kann das so ein System schon destabilisieren.
Sie meinen: Man kann mit Sanktionen eher keinen russischen Angriff auf die Ukraine verhindern. Aber man könnte Putins Regime ins Wanken bringen – oder zumindest dafür sorgen, dass es versöhnlicher auftritt.
Ich würde sagen beides. Wenn man Sanktionen anwendet, dann wirken sie langfristig. Aber mit ihnen zu drohen, kann auch kurzfristig wirken.
"Ich verstehe den Frust der Ukrainer vollkommen."
Der ukrainische Botschafter in Deutschland, Andrij Melnyk, hat der Nachrichtenagentur dpa am Wochenende zur Haltung Deutschlands gesagt, die sei sehr frustrierend und ergänzt, das deutsche Nein zu Waffenexporten würde die Menschen in der Ukraine enttäuschen. Verstehen Sie den Frust der ukrainischen Regierung?
Ich verstehe den Frust der Ukrainer vollkommen. Aus ukrainischer Sicht ist es so, dass unter anderem Deutschland immer wieder Unterstützung zusagt – dann aber in einem sehr vitalen Bereich nicht bereit ist, diese Unterstützung tatsächlich zu leisten. Von deutscher Seite heißt es immer, man befürchte, dass deutsche Waffenlieferungen den Konflikt weiter anheizen könnten. Und das Risiko besteht ja auch tatsächlich.
Dieses Argument kommt ja auch immer wieder von der SPD, zuletzt am Wochenende vom ehemaligen Vize-Parteichef Ralf Stegner.
Das ist ja auch die Meinung der Bundesregierung, sie ist gegen einen Großteil der möglichen Waffenlieferungen. Dadurch entstehen aber zwei Probleme: Zum einen droht jetzt schon, ohne deutsche Waffenlieferungen, eine russische Invasion. Also ist das am Ende wirklich die zentrale Frage, mit der wir diesen Konflikt in die eine oder die andere Richtung drehen? Ich bin da mittlerweile skeptisch. Zum anderen nimmt Deutschland durch diese Haltung ein mögliches Instrument einfach komplett vom Tisch. Das halte ich nicht für klug.
"Wenn man von vornherein alles Mögliche ausschließt, steht man in Verhandlungen ein bisschen nackig da."
Sie würden sich also nicht festlegen, ob Waffenlieferungen an die Ukraine richtig sind. Aber sie halten es für falsch, sie auszuschließen, weil Deutschland dadurch die eigene Verhandlungsposition schwächt.
Ja. Wenn man von vornherein alles Mögliche ausschließt, steht man in Verhandlungen ein bisschen nackig da.
Manche Gegner von Waffenlieferungen an die Ukraine sagen, es wäre unerträglich, wenn 80 Jahre nach dem Überfall von Nazi-Deutschland auf die Sowjetunion wieder mit deutschen Waffen auf russische Soldaten geschossen würde. Wie sehen Sie das?
Ich kann den Einwand verstehen und dieses Argument kann man nicht einfach runterfallen lassen. Der Punkt ist aber: Die historische Schuld, die Deutschland gegenüber der Sowjetunion hat, wird eigentlich immer nur auf Russland übertragen. Aber die Ukraine hat auch zur Sowjetunion gehört. Und wenn man sich die Zerstörung durch deutsche Verbrechen im Zweiten Weltkrieg anschaut, dann hat es die Ukraine deutlich schlimmer getroffen als Russland. Deutschland hat eine historische Schuld gegenüber beiden Staaten: Russland und der Ukraine.
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