Studieren in den USA, ober für ein Semester, ein akademisches Jahr oder gleich ein ganzes Studium, das gilt noch immer als eine gewisse Auszeichnung. Die Bewerbungsprozesse sind lang und teilweise äußerst anspruchsvoll, dazu kommt die Organisation des Aufenthaltes "überm Teich". Wer es rein schafft in die oft erstklassigen Unis zwischen Atlantikküste und Kalifornien, der kann darauf bauen, dass ihm oder ihr das später einmal bei der Erfüllung vieler Träume helfen wird. Aktuell aber machen das Coronavirus und die Trump-Regierung den US-Aufenthalt für viele ausländische Studierende zu Albtraum.
Einer von ihnen ist Teddy Lange, der von sich sagt, er sei jemand, der immer den Kopf hochhalte. Vor wenigen Tagen wurde die Welt des 26-Jährigen aus Bremen dann aber doch aus den Angeln gehoben. Lange studiert Public Policy an der US-Eliteuniversität Harvard im Bostoner Vorort Cambridge. Die Hochschule will - wie einige andere in den USA auch - im Herbstsemester wegen der Corona-Pandemie nur Online-Vorlesungen anbieten.
Lange wird deswegen womöglich zur Ausreise gezwungen. Die US-Einwanderungsbehörde ICE hat angekündigt, ausländische Studierende, die ausschließlich Online-Kurse besuchten, müssten das Land verlassen – ansonsten drohe ihnen die Ausweisung. Nach einer Übersicht des "Chronicle for Higher Education" plant fast jede zehnte Universität, im Herbstsemester ausschließlich Online-Vorlesungen abzuhalten.
Im akademischen Jahr 2018/2019 studierten Daten des Instituts für Internationale Bildung (IIE) zufolge knapp 1,1 Millionen Ausländer in den USA, darunter fast 9200 Deutsche. Nach einer Analyse der Bildungsorganisation Nafsa tragen ausländische Studierende rund 41 Milliarden Dollar (36 Milliarden Euro) zum Bruttoinlandsprodukt in Höhe von insgesamt gut 20 Billionen Dollar bei. Sie helfen demnach, fast 460.000 Arbeitsplätze zu sichern.
Bereits vor der Pandemie sahen die US-Bestimmungen vor, dass Ausländer auf einem Studentenvisum nur sehr begrenzt Online-Kurse absolvieren durften, der überwiegende Anteil der Vorlesungen musste persönlich besucht werden. Im März wurde diese Regelung wegen der Corona-Krise gelockert. Nun soll sie wieder verschärft werden, obwohl die Pandemie in den USA alles andere als vorbei ist.
Der amtierende Vize-Heimatschutzminister Ken Cuccinelli sagte dem Sender CNN, wenn Studenten nicht persönlich an Vorlesungen teilnähmen, gebe es auch keinen Grund für sie, im Land zu sein. Außerdem würden Universitäten so ermutigt, wieder zu öffnen. Kritiker sehen dahinter einen anderen Grund: Trumps Ansinnen, die USA trotz steigender Corona-Fallzahlen wieder zurück zur Normalität zu zwingen.
Trump - der auf eine Öffnung aller Schulen und Universitäten im Herbst dringt - sagte mit Blick auf Harvards Pläne: "Ich denke, dass sie es sich leicht machen, und ich denke, sie sollten sich schämen."
Harvards Präsident Lawrence Bacow wirft der Trump-Regierung vor, Druck auf Universitäten ausüben, damit sie ihre Lehrsäle ohne Rücksicht auf Gesundheitsbedenken wieder öffneten. Die Regelung sei ohne Vorwarnung gekommen und werde "in ihrer Grausamkeit nur durch ihre Leichtsinnigkeit" übertroffen. Gemeinsam mit der Elite-Universität MIT in Boston geht Harvard juristisch dagegen vor. Bis zu einer gerichtlichen Entscheidung hängen die ausländischen Studierenden in der Schwebe.
Der deutsche Harvard-Student Maximilian Klein (27) aus Neunkirchen (Saar) hält die Maßnahme für einen weiteren Beleg von Trumps "fremdenfeindlicher Einwanderungspolitik", mit der nun Druck auf Universitäten aufgebaut werde, trotz der Pandemie Unterricht im Hörsaal abzuhalten. Tatsächlich hat Trump die Visa- und Einwanderungsregelungen in seiner Amtszeit immer weiter verschärft. Kritiker werfen ihm vor, die Corona-Krise nun als Vorwand dafür zu missbrauchen, weiter an der Schraube zu drehen.
Klein hat einen von fast 100 derzeitigen, früheren und künftigen deutschen Studenten unterzeichneten offenen Brief initiiert, in dem die Bundesregierung um Unterstützung gebeten wird – auch wenn er selber daran zweifelt, ob damit etwas erreicht werden kann. Er sei skeptisch, ob Trump "für vernünftige Argumente der Bundesregierung" zugänglich sei. Dennoch wäre Unterstützung aus Berlin ein wichtiges Zeichen nicht nur für die transatlantischen Beziehungen, sondern auch für die Freiheit von Forschung und Lehre, sagt der Student.
In dem Schreiben wird auch auf die Folgen für ausländische Studierende verwiesen, die mit Partnern oder mit Familie in den USA sind. Das trifft zum Beispiel auf eine deutsche Harvard-Studentin zu, die ihren Namen nicht veröffentlicht wissen will und die ihr Studium an der Elite-Uni als einen "Lebenstraum" bezeichnet.
Sie sei mit ihrem Verlobten in die USA gezogen, der dort wegen ihr einen neuen Job angenommen habe, sagt die Frau - einen Job, den er in der prekären Arbeitsmarktlage während der Pandemie nicht aufgeben könne. Sollte sie nach Deutschland ausreisen müssen, wüsste sie nicht, wann sie ihren Partner wiedersehen würde. "Man kann sich an alle Regeln halten, und dann muss man trotzdem gehen", sagt sie.
Zur Androhung der Ausweisung kommt die US-Einreisesperre für Ausländer aus dem Schengen-Raum hinzu - niemand weiß, wie lange sie noch gelten wird. Wer einmal die USA verlassen hat, kommt so leicht nicht wieder zurück. Das stellt ausländische Studierende in Harvard vor ein Dilemma: Sollten sie in der Hoffnung darauf, dass die Universität vor Gericht Recht bekommt, ausharren und in den USA bleiben? Sollte Harvard dann eine Niederlage kassieren, müssten sie womöglich Hals über Kopf ausreisen. Wer aber jetzt schon geht, riskiert, vor Semesterbeginn Anfang September nicht wieder zurück zu dürfen.
Teddy Lange ist deswegen in den USA geblieben, auch wenn er bedauert, dass er nicht zum 60. Geburtstag seiner Mutter im August nach Bremen reisen kann. "Mein Lebensmittelpunkt ist hier", sagt der Student. "Ich habe massiv Arbeit und Geld investiert, um hier zu sein." Nach der Mitteilung der Einwanderungsbehörde habe er gedacht: "Das kann doch jetzt nicht wahr sein, dass den Menschen die Lebensgrundlage entzogen wird." Jahrelang hätten er und seine Kommilitoninnen und Kommilitonen auf einen Studienplatz in Harvard hingearbeitet.
Sein Mietvertrag in den USA laufe noch ein Jahr, sagt der 26-Jährige, der zuvor lange durch die Welt gezogen ist. In Boston habe er endlich ein Zuhause gefunden. "Ich habe in Deutschland nichts mehr", kein soziales Umfeld, keine Krankenversicherung, keine Wohnung. Sollte er zurückmüssen, könnte er "ein paar Nächte bei Mama auf der Couch schlafen", sagt Lange. "Ich würde mit zwei Taschen und einem Laptop zurückkommen. Und dann müsste ich mein Leben völlig neu ausrichten."
(pcl/dpa)