Die landesweiten Proteste im Iran haben auch Nachhall in Deutschland. Nicht nur bei Demonstrationen in einigen Städten. Auch bei jungen Menschen, deren Eltern aus dem Iran stammen. Wie erleben sie das brutale Vorgehen des Regimes gegen die Demonstrierenden?
Watson hat mit zwei jungen Menschen gesprochen, die Verwandtschaft im Iran haben.
Pari ist 34 Jahre alt, lebt jetzt in Deutschland (ihr Nachname und ihr Wohnort sollen nicht genannt werden). Geboren und aufgewachsen ist sie in Teheran – jedenfalls die ersten neun Lebensjahre. Mit der Sittenpolizei hatte auch sie zu tun.
Diese Einheiten des iranischen Staates kontrollieren unter anderem, ob sich Frauen und Mädchen in der Öffentlichkeit an die staatlich verordneten Kopftuchzwang halten oder nicht. Der Einsatz der Beamten war mutmaßlich für den Tod von Jina Mahsa Amini verantwortlich.
Die ersten Schuljahre ging Pari im Iran zur Schule. Dort musste sie von der ersten Klasse an ihre Haare bedecken. Zum Morgenappell auf dem Schulhof mussten die Mädchen – die Geschlechter werden von klein auf getrennt unterrichtet – Staatspropaganda nachsprechen: "Nieder mit den USA, nieder mit Israel."
Doch Pari hat sich dem verweigert, hat nicht mit gerufen. "Ich habe viele Verwandte in den USA. So schlecht kann es da nicht sein. Das habe ich mit acht oder neun schon begriffen."
Teilweise haben die Lehrer die Kinder auch geschlagen. "Ich wurde in der ersten Klasse auch mal geschlagen. Sie versuchen einen zur Unterwürfigkeit zu erziehen." Rückblickend, sagt sie, kann sie sich kaum noch vorstellen, wie sie unter solchen Voraussetzungen aufwachsen konnte.
"Aber ich konnte immer unterscheiden zwischen dem, wie es draußen war und wie es bei uns zu Hause war." Ihre Eltern haben sie liberal und selbstbewusst aufwachsen lassen. Sie sagt:
Als Erwachsene wurde sie von der Sittenpolizei festgehalten. Sie ist regelmäßig zu Besuch bei ihren Verwandten im Iran. Bei einem Besuch war sie mit Freund:innen in einem Ferienort am Kaspischen Meer. Abends feierten sie. Nachbarn müssen sich wegen Lärmbelästigung beschwert haben. Die Sittenpolizei stand plötzlich vor der Tür.
Aber ohne richterlichen Beschluss, den sie auch in kurzer Zeit telefonisch einholen können, sind die Sicherheitskräfte nicht direkt rein. Innerhalb weniger Minuten hatte sich die Gruppe aufgelöst – der Alkohol, der im Iran verboten ist, war weggekippt. Auch dass Männer und Frauen, die nicht miteinander verwandt sind, sich gemeinsam in der Wohnung aufhielten, verstieß gegen die Regeln.
Zwei Stunden sind sie dann draußen gewesen. Später in der Nacht sind die Männer dann woanders schlafen gegangen, falls die Sittenpolizei mit Beschluss aufgetaucht wäre. Weitaus heftiger war Paris Erfahrung mit der Sittenpolizei vor rund 15 Jahren. Damals, mit 18 oder 19 Jahren, war sie auch in einem Küstenort am Kaspischen Meer mit Freund:innen unterwegs und wurde auf der Straße angehalten.
Junge Männer und Frauen, das missfiel den strengen Moralvorstellungen der Kontrolleur:innen. "Sie wollten prüfen, ob wir alle miteinander verwandt waren." Das waren sie nicht. Sie wurden alle zum Verhör mitgenommen. Die Freund:innen konnten Pari noch schnell warnen. Sie sollte so tun, als verstünde sie kein Persisch. Sie sagt:
Die Gruppe wurde laufen gelassen. Auf der Heimfahrt hatte Pari einen Nervenzusammenbruch. "Ich habe einfach nur laut geweint und die ganze Zeit gezittert. Ich hatte richtig, richtig Angst." Sie hatten Glück. Es hätte weitaus schlimmeres passieren können, sagt sie im Rückblick.
Pari sagt:
Die Nachrichten von den aktuellen Protesten gehen ihr sehr nahe. Sie fühle sich frustriert, machtlos, wütend. Und traurig. "Mein Herz bricht jedes Mal aufs Neue, wenn ich diese Bilder sehe, wenn ich mir die Videos anschaue. Vor allem habe ich aber Schuldgefühle", sagt sie.
Und führt aus: "Schuldgefühle dafür, dass ich hier sitze und ich dort bin, nicht aktiv mitkämpfe – für die Rechte von uns allen. Ich zähle mich dazu." Auch wenn sie hier lebt und sich ihrer Privilegien bewusst ist. "Aber ich hätte genauso auch dort sein können." Wäre sie es, wüsste sie aber dennoch nicht, ob sie an den Protesten teilnehmen würde. Sie sagt:
Auf der anderen Seite sei auch ein Fünkchen Hoffnung da. Hoffnung, dass sich vielleicht etwas ändert, "sowohl für die Menschen im Iran als auch grundsätzlich, was das Thema Menschenrechte und Frauenrechte anbelangt".
Nico (24) kann sein Handy seit zwölf Tagen nicht mehr weglegen. Ein Elternteil stammt aus dem Iran. Er selbst studiert gerade im EU-Ausland. Der größere Teil seiner Verwandtschaft ist im Iran. Zuletzt war er vor fünf Jahren dort. Wenn seine Verwandten nicht auf seine Nachrichten antworten, macht er sich zwar Sorgen, weiß aber auch um die Internet-Blockaden durch den iranischen Staat.
Manchmal kommt doch mal eine Antwort zurück. "Sie sagen, dass es ihnen gut geht." Zwischen den Zeilen, manchmal auch direkt, sagen sie: "Aber die Situation macht mich fertig." Auch Nico ist durch die Situation belastet: "Ich bin ständig angespannt, wenn ich die Nachrichten lese", sagt er.
Niedergeschlagen, "einfach auch wegen des Todes von Jina Mahsa". Er spüre aber auch Hoffnung auf Veränderung. "Ich hatte Tränen in den Augen, als ich das Video mit dem Partisanenlied 'Bella ciao' auf Persisch gehört habe."
Die Proteste hätten dieses Mal eine andere Qualität als die in den Jahren 2009 oder 2019. Sie seien tiefgreifender. Es gehe grundlegend darum, wie sich das Land künftig entwickele. Die Menschen forderten die "Einhaltung der universellen Menschenrechte ein", meint er.
Es müsse unterschieden werden zwischen der Regierung und den Regierten. "Es gibt einfach zwei Entwürfe in diesem Land: Einer ist an der Macht, der regiert. Und die anderen sind auf Straße als Gegenentwurf."
Die aktuellen Proteste beschreibt Nico als einen Kampf für Frauenrechte, für die Rechte sexueller und ethnischer Minderheiten. "Es ist nicht nur ein iranischer, sondern auch ein kurdischer Kampf."
Was ihn aufregt, ist die fehlende Unterstützung aus den westlichen Ländern. "Es gibt dieses Prinzip der feministischen Außenpolitik. Ich bin ein großer Fan davon. Jetzt wäre die Sternstunde." Er wünscht sich, dass Deutschland und europäische Länder "nicht mehr so leise sind". Für die Zukunft hat Nico aber auch Hoffnung: "Es ist eine Tür aufgestoßen, die Menschen werden es nicht zulassen, dass diese Tür wieder zugeht."