Deutsche Spitzenpolitiker und ihre Doktorarbeiten: Das ist der Stoff, aus dem seit einem guten Jahrzehnt Affären gemacht sind. Damals stolperte der CSU-Politiker und konservative Star Karl-Theodor zu Guttenberg über seine seitenweise abgeschriebene Dissertation – und flog schmerzhaft auf die Nase: Er trat als Verteidigungsminister zurück, seine politische Karriere war beendet.
Es folgten FDP-Europapolitikerin Silvana Koch-Mehrin, ihre Parteikollegen Jorgo Chatzimarkakis und Margaritha Mathiopoulos, CDU-Bildungsministerin Annette Schavan und der christdemokratische Berliner Bundestagsabgeordnete Frank Scheffel. Jetzt also Franziska Giffey, seit 2018 Familienministerin, vorher Bezirksbürgermeisterin von Berlin-Neukölln – und eine der wenigen Hoffnungsträgerinnen, die die gebeutelte SPD momentan hat.
Giffey bat Bundeskanzlerin Angela Merkel um ihre Entlassung durch den Bundespräsidenten, weil ihr wegen Mängeln in ihrer Dissertation wohl bald der Doktortitel aberkannt wird. Sie will weiterhin Regierende Bürgermeisterin der Bundeshauptstadt werden, auch ohne Doktor. Dass Giffey jetzt, vier Monate vor den Wahlen zum Bundestag und zum Berliner Abgeordnetenhaus, zurücktritt, ist ein Problem für die SPD, zumindest auf den ersten Blick. Es könnte aber zur Chance für die Partei werden.
Für die SPD ist Giffeys Rücktritt eine Herausforderung, weil sie der Partei Schlagzeilen einbringt, die sie nicht gebrauchen kann. Vor zehn Tagen sind die Sozialdemokraten mit ihrem Parteitag ernsthaft in den Bundestagswahlkampf gestartet. Sie bräuchten eine fantastische Aufholjagd, damit ihr Kandidat Olaf Scholz Kanzler werden könnte: Zehn Prozentpunkte mehr als in den aktuellen Umfragen müssten es wohl mindestens sein.
Vorerst bekommen die Sozialdemokraten nun viel unliebsame Aufmerksamkeit für die Affäre rund um Giffeys Doktorarbeit an der Freien Universität (FU) Berlin. Die Angelegenheit wirft kein besonders gutes Licht auf das Verhältnis zwischen einer der wichtigsten Institutionen der Hauptstadt und der Berliner SPD, die in 20 von 30 Jahren seit der Wiedervereinigung die Landesregierung geführt hat.
Das Präsidium der FU stellte Giffey eine Rüge aus, nachdem sie Mängel in ihrer Arbeit festgestellt hatte: also eine besonders milde Sanktion – und vor allem eine, die es in der Prüfungsordnung der Uni eigentlich gar nicht gibt. Der Jurist Jochen Zenthöfer schrieb dazu in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung": "Giffey wurde rechtswidrig bevorzugt".
Am Ende wurde das Verfahren wieder aufgenommen, vergangene Woche berichtete der "Tagesspiegel", dass Giffey der Doktortitel wohl entzogen werden würde.
Die für die SPD spannendste Frage ist jetzt, inwieweit diese Affäre auf sie abfärbt: Eine Spitzen-Sozialdemokratin, die bei ihrer Doktorarbeit mindestens geschludert hat und dafür lange glimpflich davongekommen ist: Wie wird das wirken auf andere junge Menschen, die sich die monate- bis jahrelange Tortur einer Doktorarbeit antun oder angetan haben? Schadet das dem sozialdemokratischen Wahlkampf, der unter dem Schlagwort "Respekt" laufen soll?
Andererseits: Wenn es gut läuft, dann hilft Giffeys Rücktritt der SPD sogar. Denn erstens kann die Partei sie jetzt als verantwortungsvolle Politikerin darstellen, die Verantwortung für eigene Fehler übernimmt – anders etwa als CSU-Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer, der das hunderte Millionen Euro Steuergeld teure Pkw-Maut-Debakel verbockt hat. Und diesen Ruf hätte sich Giffey geholt, ohne viel dafür aufzugeben: Ihr Rücktritt kommt ja vier Monate vor der Bundestagswahl, auf den letzten Metern der allerletzten Regierungsperiode Angela Merkels.
Zweitens kann Giffey selbst sich mit vollem Einsatz um den Wahlkampf in Berlin kümmern. Dort stehen ihre Chancen gar nicht schlecht: In den vergangenen Wochen hat die SPD dort Boden gut gemacht im Vergleich zu den Grünen. Noch ein paar Prozentpunkte und die Sozialdemokraten würden wieder stärkste Partei im größten deutschen Stadtstaat. Die rot-rot-grüne Landesregierung könnte dann unter Giffeys Führung weitermachen.
Wie man mit der Affäre um Giffeys Doktorarbeit besser nicht umgeht, hat am Mittwoch jedenfalls schon einmal ein SPD-Promi gezeigt: Außenminister Heiko Maas schwadronierte ausgerechnet jetzt, zu Giffeys Rücktritt, auf Twitter von einem "sonderlichen Verfahren" der FU Berlin. Er unterstellte der Uni damit, die Noch-Ministerin ungerecht behandelt zu haben.
Wie gesagt, viele Hoffnungsträger hat die SPD momentan nicht.
Putin speist verwundete Soldaten mit einem Bruchteil der Entschädigung ab
Mehr als zweieinhalb Jahre nach Wladimir Putins Ankündigung, Kiew innerhalb weniger Tage einzunehmen, setzt sich das Töten, Sterben und Verwunden an der ukrainischen Front ungebremst fort. Den gefährlichen Kampfeinsatz versüßt der russische Machthaber seinen Soldaten mit stetig steigenden Solden.