Im Herbst will Innenministerin Nancy Faeser um die Herrschaft in Hessen kämpfen – doch den Sitz in Berlin macht sie nicht frei.Bild: dpa / Swen Pförtner
Meinung
Seit ihrem Amtsantritt gibt es die Gerüchte: Nancy Faeser (SPD) kommt zur Landtagswahl nach Hessen zurück. Das Amt der Innenministerin müsste zur Hälfte der Legislatur nachbesetzt werden, hieß es schon 2021. Tja, nun macht Faeser Ernst. Sie will wirklich die Spitzenkandidatin der hessischen SPD sein. Soll sie machen, ist ja prinzipiell kein Problem. Wie sie sich das genau vorgestellt hat, ist aber eine Frechheit.
Denn Faeser will sich nicht einfach nach Hessen absetzen. Nein, die Sozialdemokratin will auf Nummer sicher gehen. Statt sich voll und ganz auf den Landtagswahlkampf zu fokussieren, will sie weiterhin Innenministerin bleiben.
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Nun könnte man meinen, sowohl der Kampf um das CDU-dominierte Bundesland, als auch die Aufgaben des Innenministeriums bräuchten die uneingeschränkte Aufmerksamkeit.
Aber vielleicht ist Faeser ja auch im Besitz eines magischen Zeitumkehrers. So einen, wie ihn auch Hermine Granger im dritten Teil von Harry Potter verwendet.
Leider ist es in der realen Welt nicht möglich, an zwei Orten gleichzeitig zu sein. Und so ist es doch mehr als fraglich, wie genau Faeser das hinbekommen möchte. Halbherzig zumindest lässt sich keine der beiden Aufgaben erfüllen. Hessen hat besseres verdient – und Deutschland auch.
Seit der Jahrtausendwende wird Hessen von der CDU regiert. Mal mit der FDP, mal mit den Grünen – aktuell zum Beispiel – nie mit der SPD. So richtig beliebt sind die Sozialdemokrat:innen im Land im Herzen der Republik offensichtlich nicht. Entscheidet sich nun die rote Spitzenkandidatin dafür, mit doppeltem Boden und Sicherheitsnetz anzutreten, dürfte das den Hess:innen nicht gefallen.
Als Innenministerin ist Nancy Faeser für die innere Sicherheit zuständig.Bild: imago images/ political moments
Wie sangen schon die Chainsmokers: "If we go down, then we go down together." Das sollte auch die Devise einer Spitzenkandidatin für den Wahlkampf sein. Wenn die hessische SPD untergeht, dann gemeinsam. Ein Grundsatz, den im Übrigen auch die restlichen Sozialdemokrat:innen in Hessen einfordern sollten.
Was klar ist: Die CDU zu besiegen, wird in dem tiefschwarzen und in weiten Teilen landwirtschaftlich geprägten Bundesland schwierig. Noch schwieriger, wenn die Herausforderin mit angezogener Handbremse fährt. Schließlich kann ihr nichts passieren, wenn sie an der Übernahme der Staatskanzlei scheitert.
Faeser wird nicht auf der Oppositionsbank im Wiesbadener Landtag sitzen. Nein, die Bundespolitikerin wird ganz gemütlich zurück nach Berlin fahren und es sich in ihrem weichen Sessel im Innenministerium gemütlich machen. Eine Kandidatur im Wattebausch.
Und nicht nur für die Hess:innen sollte das ein No-Go sein. Auch auf die Bundes-SPD wirft dieser Coup ein schlechtes Licht.
Zum einen kann die Frage gestellt werden: Ist Hessen so egal? Will die SPD nicht die Mehrheit im Bundesrat, der durch Vertreter:innen der Landesregierungen gebildet wird? Finden es die Sozialdemokrat:innen gut, dass dort zustimmungspflichtige Gesetze von den CDU-geführten Ländern bis zur Unkenntlichkeit verwässert werden? Am Gesetzgebungsprozess des Bürgergelds ließ sich die Macht der Länder gut beobachten.
Nach seiner Südamerika-Reise wird Kanzler Olaf Scholz direkt mit dem nächsten Drama im Kabinett konfrontiert.Bild: dpa / Kay Nietfeld
Eine weitere Vermutung, die sich aufdrängt: Hat die SPD zu wenig geeignetes Personal? Natürlich, Faeser ist bekannt und beliebt. Sie macht ihre Arbeit als Innenministerin gut, auch in Hessen kennen und schätzen die Menschen sie. Aber gibt es keine mögliche Nachfolgerin, die Faesers Posten der Innenministerin übernehmen könnte?
Klar ist nämlich: Kanzler Olaf Scholz (SPD) kann es sich nicht erlauben, noch mehr Frauen durch Männer zu ersetzen. Nicht nachdem er, mit der Benennung von Boris Pistorius als Lambrecht-Nachfolger, mit dem Prinzip der Parität gebrochen hat. Zumindest nicht, ohne die Grünen gegen sich aufzubringen.
Die SPD und Faeser wären gut beraten, sich zu entscheiden. Hessen oder Innenministerium. Faeser oder jemand anders. Ja oder Nein. Ein Jain ist in der Politik keine gute Option. Und ein Wahlkampf mit Luftpolsterfolie auch nicht.
Eine kürzlich veröffentlichte Studie des Innenministeriums zeigt: Jede:r dritte:r Polizeibeamt:in hat bei Kolleg:innen rassistisches Verhalten bemerkt. Autor und Journalist Mohamed Amjahid forscht seit Jahren zum strukturellen Rassismusproblem der Polizei und hat darüber ein Buch geschrieben. Im Gespräch mit watson erläutert er die vielschichtige Problematik.