Politik
Meinung

Ukraine-Krieg: Schutz vor Menschenhandel muss besser organisiert werden

March 12, 2022, Lviv, Ukraine: A woman and her son stand on the platform after arriving from Dnipro as Ukrainian refugees move through Lviv Railway Station as many people flee to neighboring countries ...
Eine Frau und ihr Sohn stehen auf dem Bahnsteig im ukrainischen Lwiw, nachdem sie aus der vom russischen Militär überfallenen Dnipro angekommen sind.Bild: www.imago-images.de / imago images
Meinung

Was, wenn sie weiter leiden?

Millionen Frauen und Kinder aus der Ukraine sind auf der Flucht vor Krieg und Tod. Auf diesem schweren und gefährlichen Weg sind gerade sie am verletzlichsten. Die Gefahren: Zwangsprostitution, Menschenhandel, sexuelle Gewalt. Was, wenn die Kriminellen auch nur in Teilen erfolgreich waren?
14.03.2022, 19:1908.06.2022, 18:26
Mehr «Politik»

Man stelle sich folgendes Szenario vor:

Es ist Nacht in Kiew. Eine Frau und ihr Mann liegen im gemeinsamen Ehebett, die zwei Kinder in ihren jeweiligen Zimmern. 5 Uhr. Es knallt. Die Erde bebt. Die Ohren fühlen sich taub an von dem Lärm. Bis auf das Pfeifen, dieses unerträgliche Pfeifen im Gehörgang.

Menschen schreien. Der Geruch von Rauch, das Krachen zusammenbrechender Häuser, der Geschmack von Staub durchdringen die Schlafzimmerwände.

Es ist Krieg. Und der Mann darf nicht fliehen.

Die Frau packt die Kinder ein, packt Bargeld ein, küsst ihren Mann, weint – und geht.

Nun ist sie nach einer solchen Nacht auf der Reise. Zwei Kleinkinder, zwei Rücksäcke, ein Koffer, Todesangst, Trauer und Wut begleiten sie.

Ukraine-Konflikt, Flüchtlinge in Medyka, Polen Ukrainian refugees who have entered Poland in Medyca set off on trains at the railway station to reach other cities in Poland. They flee their homes in t ...
Bild: www.imago-images.de / IMAGO/Salvatore Laporta

Stunden-, tagelang findet sie keine Ruhe. Sie steht im Stau, während sie dabei zusieht, wie ihre Stadt zerbombt wird. Sie versucht, sich in Züge zu quetschen, die überfüllt sind. Immer auf der Hut, dass sie ihre Lieblinge ja nicht aus den Augen lässt.

Bis sie endlich im Berliner Hauptbahnhof ankommt. Völlig erschöpft. Hungrig. Durstig. Die Kinder sind paralysiert, es tut ihr weh, sie anzuschauen.

Dann, am Bahnhof, fühlt sie endlich ein kleines, ein winzig kleines bisschen Glück. Sie sieht die Menschenmassen. Die vielen Leute, die sie dort empfangen, ihre Hilfe anbieten: Wasser, Essen, Hygieneprodukte, Spielsachen für die Kleinen, ein Zuhause – für kurze Zeit.

Ein bisschen Ruhe.

Ein Mann lächelt sie an, sagt ihr, er könne ihr und den Kindern ein Zimmer zur Verfügung stellen. Sie nimmt alles, was sie kriegen kann.

Dieser nett lächelnde Mann nimmt sie mit – und verkauft sie als Sexsklavin.

Ein Horrorszenario.

March 9, 2022, Przemsyl, Poland: A mother carries her daughter at Przemyl Railway Station. Millions of Ukrainians have been fled from their homeland as the ongoing war crisis in Ukraine continues, mos ...
Przemyśl, Polen: Eine ukrainische Frau wartet mit ihrer Tochter am Bahnhof auf die Weiterfahrt.Bild: www.imago-images.de / imago images

Geflüchtete sind Schutzsuchende. Geflüchtete Frauen und Kinder sind die Verwundbarsten darunter.

Es ist unsagbar, es ist unbeschreiblich, nicht vorstellbar, wie niederträchtig dieser menschliche Abschaum sein muss, um solche Situationen auszunutzen.

Egal, woher Frauen und Kinder fliehen: Auf ihrer Flucht sind sie besonders häufig von sexualisierter Gewalt und Diskriminierung bedroht und betroffen. Das schreibt auch das UN-Flüchtlingskommissariat UNHCR auf seiner Website.

Frauen, so heißt es beim UNHCR weiter, hätten in diesem Kontext oft selbst zu grundlegenden Rechten – Sicherheit, Nahrung, Gesundheit, Unterkunft, Nationalität und Bildung – nur eingeschränkten Zugang. Schon alltägliche Tätigkeiten wie Wasser holen oder zur Toilette gehen könnten demnach vertriebene Frauen und Mädchen der Gefahr von Missbrauch aussetzen.

"Sexualisierte Gewalt, Menschenhandel und andere Formen von Missbrauch sind während der Flucht mitunter die größten Gefahren für Frauen und Kinder."

Momentan erleben wir innerhalb Europas eine enorme Flüchtlingsbewegung. Anders als noch 2015/2016 ist der Großteil der Vertriebenen heute weiblich und/oder minderjährig. Berichte über dubiose Angebote von Männern an Bahnhöfen mehren sich.

Auch die Bundespolizei Berlin hat über mehrere Kanäle vor suspekten Angeboten gewarnt.

Sexualisierte Gewalt, Menschenhandel und andere Formen von Missbrauch sind während der Flucht mitunter die größten Gefahren, denen Frauen und Kinder ausgesetzt sind. Ähnlich beschreiben es auch die Menschenrechtsorganisation Amnesty International und mehr als 40 Frauen- und Nichtregierungsorganisationen in einer Erklärung zum Weltfrauentag: "Krieg und damit einhergehend Vertreibung und Flucht bedeuten für Frauen und Mädchen immer die Bedrohung durch sexualisierte Gewalt, die weltweit ein Phänomen aller bewaffneten Konflikte ist."

"Es reicht nicht, nur über soziale Medien aufzuklären und hier und dort ein paar Polizistinnen und Polizisten abzustellen."

Angaben des UNHCR zufolge sind mehr als 2,5 Millionen Menschen aus der Ukraine auf der Flucht. Frauen und Kinder befänden sich in einer Lage, "nach der Leute wie Menschenhändler Ausschau halten, um sie auszunutzen", sagt Joung-ah Ghedini-Williams, Chefin für globale Kommunikation beim UNHCR, im ZDF. In ganz Europa wurden die Ankommenden von Freiwilligen begrüßt, wurde ihnen Hilfe angeboten. In einigen Ländern mischen sich Geheimdienstler unter die Helfenden, um die Kriminellen aufzuspüren, bevor sie ihr Unheil anrichten.

Das wichtigste muss es jetzt sein, diesen Schutzbedürftigen auch wirklich Schutz zu bieten. Es reicht nicht, nur über soziale Medien aufzuklären und hier und dort ein paar Polizistinnen und Polizisten abzustellen, wie es etwa in Berlin die Bundespolizei tut.

Es hat sich zu Beginn der Ankunft der vielen Menschen gezeigt, dass in Deutschland Bund und Länder nicht genügend vorbereitet waren. Hilfsorganisationen und Freiwillige haben sich zusammengefunden und die Ankunft und Vermittlung der Menschen an private Helferinnen und Helfer koordiniert.

"Von Anfang an hätte der Bund hier die Verantwortung übernehmen müssen."

Von Regierungsverantwortung war zu Beginn nicht viel zu spüren. Und genau das ist so gefährlich. Was, wenn nur eine Frau mit einem dieser Männer mitgegangen ist? Was, wenn es mehrere waren?

Was, wenn sie jetzt weiter leiden müssen?

Laut einem Bericht der polnischen Hilfsorganisation "Homo Faber" sollen in Polen bereits Kinder verschwunden sein.

Von Anfang an hätte der Bund - Sozialministerium, Innenministerium, Familienministerium, Verkehrsministerium – hier die Verantwortung übernehmen müssen. Es hätten schnell und unbürokratisch Entwickler bereitstehen müssen, die Internetseiten für private Helfende auf die Beine stellen (das haben übrigens Hilfsorganisationen innerhalb kürzester Zeit geschafft).

Warum die Internetseite? Für die Registrierung der Helfenden!

Denn genau unter sie mischen sich ja die Kriminellen. Hier hätten Personalien überprüft, Adressen gespeichert, Hintergründe wie das polizeiliche Führungszeugnis gecheckt werden müssen: damit die Hürden für Menschenhändler so hoch wie möglich sind.

Am Berliner Hauptbahnhof kommen Kriegsfluechtlinge aus er Ukraine an, DEU, Berlin, 12.03.2022 *** War refugees from Ukraine arrive at Berlin main station, DEU, Berlin, 12 03 2022
Private Helferinnen und Helfer haben am Anfang die Ankunft der Geflüchteten koordiniert, wie hier am Berliner Hauptbahnhof.Bild: www.imago-images.de / imago images

An den Bahnhöfen werden Flyer mit Warnungen vor Kriminellen in verschiedenen Sprachen verteilt – wieder auf Initiative einer Hilfsorganisation. Es ist fast schon peinlich, wie wenig vorbereitet man auf solche Szenarien war.

Natürlich ist die Situation auch komplexer, als sie sich möglicherweise erst einmal darstellt. Vorschnell irgendwelche Forderungen in den Raum werfen, kann dann auch schnell nach hinten losgehen: Da gibt es beispielsweise den sächsischen Verfassungsschutz, der eine Registrierung aller Geflüchteter fordert. Zum "Schutz unserer Bürger", aber auch zu ihrem eigenen Schutz.

"Viele fordern mehr Schutz für diese Menschen. Hört auf sie, gebt ihn ihnen!"

Tatsächlich genießen ukrainische Bürgerinnen und Bürger in der EU Freizügigkeit. Sie dürfen sich hier im Land frei bewegen, ohne Grenzkontrollen, ohne Registrierung. Das ist ein Teil der Freiheit, der Demokratie, für die die Menschen vor Ort gerade kämpfen und sterben. Den Flüchtenden diesen Status zu entziehen, wäre zynisch.

Wichtig wäre Folgendes:

  • Aufklärung, und zwar schon auf dem Weg der Menschen
  • Hilfestellung während der Reise in Bussen und Zügen, gerade bei unbegleiteten Minderjährigen
  • Registrierung von privaten Helfenden
  • Groß angelegte, staatlich organisierte und menschenwürdige Unterkünfte, damit die Hilfe von Privaten – so sozial und verdammt wundervoll sie auch ist –, nicht mehr gebraucht wird

Viele, darunter Menschenrechtsorganisationen sowie EU-Politikerinnen und -Politiker, fordern einen besseren Schutz flüchtender ukrainischer Kinder und Frauen.

Hört auf sie, gebt ihn ihnen! Das hat jetzt höchste Priorität

Russland: Neonazi-Überfälle erleben trauriges Comeback

26. November im verschneiten St. Petersburg: Ein großer Mann mittleren Alters sitzt auf dem Boden. Er ist umzingelt von Angreifern, die ihn mit ihren Füßen treten. Dann gelingt es dem Opfer aufzustehen und ein paar Meter zu laufen. Entkommen kann er aber nicht. Die fünf männlichen Angreifer schlagen ihn wieder zu Boden und treten weiter auf ihn ein.

Zur Story