Hinweis zum Inhalt: In dem Artikel geht es um sexualisierte Gewalt.
Die Bundesregierung will für finanzielle Entlastungen im öffentlichen Nahverkehr sorgen. Für drei Monate sollen Tickets bald nur noch neun Euro pro Monat kosten, und zwar für alle.
Das ist gut gemeint, aber eine echte Sozialpolitik sollte zuerst diejenigen entlasten, die finanziell am meisten benachteiligt sind. Geht es um Ausgaben für Mobilität, muss es dabei vor allem um eine Gruppe gehen: Frauen.
Denn diese investieren viel Geld dafür, nachts sicher unterwegs zu sein. Frauen fahren nach Einbruch der Dunkelheit viel öfter Taxi.
Männer können sich meist ohne Probleme nachts in verlassenen U-Bahnhöfen herumtreiben. Sie nehmen selbstverständlich Abkürzungen durch finstere Parks und Seitenstraßen und müssen nicht das S-Bahnabteil wechseln, weil irgendein Triebtäter plötzlich vor ihnen onaniert.
Frauen können sich diesen Luxus nicht leisten. Sind sie schon am Tag oftmals zahlreichen Belästigungen ausgesetzt, nimmt die Intensität in der Anonymität dunkler Nächte noch zu – und wird nicht selten zu einer Gefahr für Leib und Leben.
Frauen investieren viel Geld dafür, bei nächtlichen Fahrten nicht mit fünfzehn fremden Männern konfrontiert zu sein, sondern mit nur einem einzigen. Es gibt natürlich auch Fahrerinnen, aber die sind aus den gleichen Gründen selten.
Um das zu wissen, braucht es keine empirische Evidenz, sondern lediglich gesunden Menschenverstand oder einen kurzen Plausch mit ein, zwei Frauen.
Dazu kommt, dass die polizeiliche Kriminalstatistik allgemein mit Vorsicht zu interpretieren ist. Subjektiv niedrige Zahlen von Straftaten sind auch Ergebnis von aktiven Vermeidungs- und Sicherheitsstrategien: Frauen meiden potenziell gefährliche Umgebungen. Eltern geben ihrer 17-jährigen Tochter strengere abendliche Ausgangssperren als ihrem 16-jährigen Sohn.
Dass im Ergebnis weniger passiert, ist deshalb gerade nicht Ausdruck einer realen Sicherheit.
Und weil das so ist, zahlen viele Frauen lieber 20 Euro für ein Taxi, statt sich für zwei Euro sechzig ein Busticket zu kaufen. Übrigens sind sie auch im Taxi alles andere als sicher vor sexualisierter Gewalt.
2019 hat der Fahrdienst Uber einen Sicherheitsbericht über sich selbst veröffentlicht. Ergebnis: 2018 kam es in den USA zu 235 Vergewaltigungen und neun tödlichen Angriffen. Auch in Deutschland berichten Frauen immer wieder von Vorfällen.
Dennoch dürfte das Sicherheitsgefühl in Taxen, wo man zumindest den Namen des Fahrers per App vorliegen hat, deutlich höher sein als im nächtlichen öffentlichen Nahverkehr.
Um diese strukturelle Ungerechtigkeit auszugleichen, müssen konsequente Maßnahmen her: Taxifahrten müssen für Frauen ab Einbruch der Dunkelheit kostenlos sein. Nach Möglichkeit sollten die Fahrten auch von Taxifahrerinnen durchgeführt werden.
Vorbilder für dieses Modell gibt es viele. In Freiburg gibt es seit Dezember ein sogenanntes Frauentaxi – als Reaktion auf die Vergewaltigung und den Mord an Maria Ladenburger durch Hussein Khavari.
In Heidelberg gibt es die Sonderfahrten seit 1992, in Mannheim seit 2019. Vergleichbare Modelle gab und gibt es in Tübingen, Bielefeld, München und Hannover.
2017 zitierte die "taz" den Taxifahrer-Sprecher Marko Bark aus Bremen. Es sei „katastrophal“, dass Frauen nachts bald deutlich mehr bezahlen sollen: "Frauen hätten die Fahrten des Frauen-Nachttarifs auch für längere Strecken in Anspruch genommen und die Fahrten planen können."
Dabei werden die Fahrten allerdings nur bezuschusst, einen Teil müssen die Frauen weiterhin selbst tragen. Das muss sich ändern – schon allein, um die bisher geleisteten Mehrzahlungen auszugleichen.
Das Entlastungspaket der Bundesregierung wäre ein guter Zeitpunkt gewesen, dieses Versäumnis nachzuholen. Die Chance wurde verpasst.
Rhetorisch wurde auch schon vorgelegt: In einer ihrer bisher besten Reden hat die grüne Außenministerin Annalena Baerbock vergangene Woche beschrieben, warum eine "feministische Außenpolitik" notwendig ist.
Es ist Zeit für eine feministische Innenpolitik. Es ist Zeit für das bundesweite, kostenlose Frauentaxi.