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Baerbock und das N-Wort: So weit sind wir schon gekommen

BERLIN, GERMANY - JUNE 13: Annalena Baerbock, co-head of the German Greens Party, attends the virtual federal party congress on June 13, 2021 in Berlin, Germany. During the three-day event delegates w ...
Nächster Fehltritt: Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock hat sich dafür entschuldigt, das rassistische N-Wort genannt zu haben. Bild: Getty Images Europe / Steffi Loos
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Baerbock und das N-Wort: Warum die Empörung schon ein enormer Fortschritt ist

Die grüne Kanzlerkandidatin hat den diskriminierenden Ausdruck verwendet und sich dafür entschuldigt. Die Debatte um den Vorfall zeigt: Im Umgang mit Rassismus ist vieles besser geworden – aber es ist noch längst nicht gut.
29.07.2021, 12:0706.08.2021, 18:03
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Früher war vieles schlechter.

In den 1980er Jahren zum Beispiel. Das war das Jahrzehnt der Röhrenjeans, in dem Punk und Elektronische Musik groß wurden. Jahre, die in Serien wie "Stranger Things" nostalgisch verklärt werden.

Es waren aber auch Jahre, in denen ein Bundestagsabgeordneter in Deutschland das N-Wort sagen konnte, einfach so, mitten in einer Plenarsitzung. Und es niemanden im Saal störte. 1982 war das. Der FDP-Abgeordnete Klaus Gärtner redete gerade über öffentliche Investitionen und erwähnte, wie wohlhabend Deutschland im Vergleich zu anderen Teilen der Welt sei. Da rief der CDU-Abgeordnete Lothar Haase dazwischen: "Jetzt kommen wieder die N*ger!"

Reaktionen auf diese herablassende, rassistische Bemerkung? Keine. Im Protokoll der Sitzung ist kein Aufschrei vermerkt, kein Zeichen der Empörung. 1982 – in einem Bundestag, in dem übrigens über 90 Prozent der Abgeordneten Männer waren – nahm niemand Anstoß an Haases Einwurf. Er musste sich auch später keine öffentliche Kritik dafür anhören. Annalena Baerbock war damals ein Jahr alt.

Knapp vierzig Jahre später entschuldigt sich Baerbock, Bundestagsabgeordnete und Kanzlerkandidatin der Grünen, weil sie selbst das N-Wort verwendet hat. Es ist ihr in einem auf Video aufgezeichneten Interview mit dem Zentralrat der Juden passiert. Baerbock erzählte von einem Geschehnis aus dem Bekanntenkreis: von einem Schüler, der sich geweigert habe, ein Arbeitsblatt zu bearbeiten, auf dem das N-Wort gestanden habe. Als sie das erzählte, sprach Baerbock das Wort selbst aus.

Tage später machte Baerbock die Episode selbst auf Twitter öffentlich – und bat um Verzeihung. Zuvor hatte sie offenbar die "Bild" auf den Vorfall angesprochen. "Das war falsch und tut mir leid", meinte Baerbock auf Twitter. Sie ergänzte: "Ich weiß ja um den rassistischen Ursprung dieses Wortes und die Verletzungen, die Schwarze Menschen unter anderem durch ihn erfahren."

Vier Jahrzehnte Fortschritt im Umgang mit rassistischen Ausdrücken

Knapp vier Jahrzehnte liegen zwischen dem folgenlosen N-Wort-Zwischenruf des CDU-Abgeordneten Haase und Baerbocks Ausrutscher samt Entschuldigung. Vier Jahrzehnte, in denen sich in einem großen Teil der Gesellschaft die Einsicht durchgesetzt hat, dass dieses Wort Schwarze Menschen und People of Color verletzt, weil es sie herabwürdigt.

Es ist ein enormer Fortschritt für Deutschland, dass keine Abgeordnete, kein Profisportler, kein Showmaster dieses Wort öffentlich sagen kann, ohne Empörung zu ernten. Es ist ein Fortschritt, den antirassistische Aktivistinnen, Politiker, Künstlerinnen erkämpft haben – und der viel damit zu tun hat, dass im Jahr 2021 deutlich mehr Schwarze Menschen und People of Color selbst ihr Wort erheben: als Wissenschaftlerinnen und Journalisten, als Abgeordnete und Demonstranten.

Man sollte sich diesen Fortschritt vor Augen führen in den Tagen, in denen Baerbocks N-Wort-Äußerung für Diskussionen auf Twitter sorgt, in digitalen wie gedruckten Medien kommentiert wird – mal mit Empörung über das Wort, mal mit Herablassung über die Grünen-Chefin, die an den hohen antirassistischen Standards scheitere, die ihre Partei selbst anderen auferlege.

Wer Rassismus nicht selbst erlebt, versteht nicht, wie weh ein Wort tun kann

So ermüdend und vorhersehbar diese Debatten sind, hinter ihnen verbirgt sich eine ermutigende Botschaft: Im Umgang mit Rassismus allgemein und mit rassistischer Sprache im Speziellen ist vieles besser geworden in Deutschland.

Andererseits: Es ist noch längst nicht gut. Rassistische Diskriminierung gehört weiterhin zum Alltag eines großen Teils der Menschen in diesem Land: Benachteiligung in der Schule, bei der Job- und Wohnungssuche – und immer wieder die Sprüche, die einen Tag ruinieren können, die Angst einflößen und wütend machen. Wer das nicht selbst erlebt, versteht auch nicht, wie weh es tun kann, das N-Wort zu hören – egal in welchem Kontext. Aber sie oder er muss darauf Rücksicht nehmen.

Deshalb ist es richtig, dass Baerbock sich entschuldigt hat.

Es bleibt wichtig, Menschen darauf aufmerksam zu machen, was Wörter anrichten können.

Unaufmerksame, Provokateure, Rassisten: Es bleibt wichtig, zu unterscheiden

Es bleibt aber auch wichtig, zu unterscheiden, in welchem Zusammenhang Wörter gesagt werden.

Es gibt erstens diejenigen, die rassistische Ausdrücke in erkennbar guter Absicht verwenden, weil sie Rassismus brandmarken wollen – wie in diesem Fall Annalena Baerbock. Sie machen einen Fehler, weil das Wort an sich Menschen verletzt, weil es bei Opfern von Diskriminierung Wunden wieder aufreißen kann. Diese Menschen – nennen wir sie die Unaufmerksamen – sollte man auf ihren Fehler aufmerksam machen.

Andere Menschen verwenden rassistische Ausdrücke, um damit zu provozieren. Sie holen sich Aufmerksamkeit auf Kosten anderer Menschen. Boris Palmer ist so jemand, der grüne Oberbürgermeister der Stadt Tübingen, der im Mai wieder einmal rassistisches Vokabular verwendet und sich dadurch ein Parteiausschlussverfahren eingehandelt hat. Menschen wie Palmer sollte man zurechtweisen. Sie spüren lassen, dass ihre Freiheit zur Provokation an dem Punkt endet, ab dem sie andere Menschen verletzen.

Drittens sind da Menschen, die rassistische Sprache verwenden, weil sie Rassisten sind. Weil sie Menschen in höherwertige und minderwertige Kategorien einteilen, weil sie aus ihrer Sicht Minderwertige ausgrenzen und verletzen wollen. Und mit Rassisten muss niemand mehr reden.

Nicht jeder Fall, in dem ein diskriminierender Ausdruck gesagt wird, lässt sich eindeutig einer dieser Kategorien zuordnen. Es gibt Grenzfälle, es gibt Menschen, die Einsicht zeigen – und andere, die sich radikalisieren.

Aber der Unterschied zwischen den Unaufmerksamen und den Rassisten ist groß. Ähnlich groß wie der zwischen 1982 und 2021.

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