Im Oktober 2020 bin ich nach Berlin gezogen: eine Millionenstadt, in der ich niemanden kenne. An einem Abend konnte ich mich mit meinen neuen Kommilitonen in einer Bar treffen. Ab dem Wochenende darauf: Lockdown, die Bars sind seither zu. Bisher habe ich meine Uni nur einmal von innen gesehen, um mein Semesterticket abzuholen.
Die Universitäten sind nun seit zwei Semestern geschlossen. Keine und keiner meiner Mitstudierenden und Freunde beschwert sich laut. Doch man merkt, wie die Frustration steigt, auch bei einem selber. Das liegt nur zum Teil an den harten Maßnahmen, die alle Menschen zurzeit ertragen müssen. Ein Hauptgrund ist auch: Studierende werden von den Regierenden in Bund und Ländern weitgehend ignoriert.
Die Rede, mit der Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier den Studierenden zum Start ins dritte Corona-Semester Mut zugesprochen hat, ist nur ein Trostpflaster. Der Bund und die Länder müssen geeignete Lösungen finden und Vorschläge machen, um die Situation an den Universitäten zu verbessern. Rein digitaler Unterricht ist keine Dauerlösung.
Vor allem gegen die Videokonferenz-Software Zoom habe ich mittlerweile eine Abneigung entwickelt. Denn ich verbringe jeden Tag Stunden vor dem Computer, starre in die müden Augen der Kommilitonen in meinem Journalismusstudium und höre teils gelangweilten, teils bemüht motivierten Professoren zu. Den Satz "Du bist auf stumm" kann ich nicht mehr hören.
Die Rede des Bundespräsidenten war wohl sinnbildlich für die großen Probleme mit der Digitalisierung in Deutschland. Beim Online-Stream bricht die Seite zusammen. Wenn sie lädt, dann ist der Ton nicht synchron und abgehackt. Trotz schlechter Verbindung: Die Nachricht des Bundespräsidenten ist es wert, gehört zu werden: "Wir haben euch nicht vergessen!" Denn viele Studierende haben derzeit genau dieses Gefühl: dass viele mächtige Politiker sie nicht beachten.
Mancher Ministerpräsident macht allenfalls mit Ignoranz auf sich aufmerksam. Der baden-Württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann sagte Anfang März gegenüber Studenten: "Vergleichen Sie Ihre Situation mit der anderer Menschen. Dann werden Sie sehen, dass es keinen Grund dafür gibt, depressiv zu werden." Der Kommentar zeigt, wie fremd Kretschmann die Probleme der Studierenden sind. Und wer eine psychische Krankheit wie Depressionen auf diese Weise verharmlost, der hat die Situation sowieso nicht begriffen.
Ein anderes Beispiel: Die Berliner Initiative "NichtNurOnline" fordert einen "vorsichtigen und selbstverantwortlichen Übergang zur Präsenzlehre ab dem Sommersemester 2021". Mit diesem Anliegen verfassten sie Anfang März einen offenen Brief an den Senat der Bundeshauptstadt. Knapp 1700 Studenten unterzeichneten das Schreiben. Eine Reaktion vonseiten der Berliner Landesregierung ist seither ausgeblieben.
Steinmeier wollte uns Studierenden in seiner Rede am Montag Mut machen und uns gut zureden. Mehr kann er in seiner politischen Position – als oberster Repräsentant der Bundesrepublik mit wenig politischer Macht – für uns auch kaum erreichen. Doch wenigstens schafft er Aufmerksamkeit für die vielen Probleme, mit denen wir derzeit zu kämpfen haben. Es ist höchste Zeit, dass die Regierenden in Bund und Ländern sich daran machen, sie zu lösen.
Kein Student wird sich beschweren, wenn Massenvorlesungen im Internet übertragen werden. Im Gegenteil: Die Anwesenheit bei solche Veranstaltungen würde so voraussichtlich auf lange Sicht sogar steigen, auch nach der Pandemie. Für Praxisunterricht fehlt es aber an Lösungen. Ein Beispiel aus meinem Studium: Wie soll ich lernen, mit einer Videokamera umzugehen, ohne jemals eine Kamera in der Hand zu halten? Manche Fächer funktionieren eben mit reinem Digitalunterricht nicht.
Sicherlich gibt es hier Lösungsansätze. Aber viele Professoren scheinen es nach zwei Semestern Pandemie weiterhin nicht geschafft zu haben, sich auf die neue Situation einzustellen. Frontalunterricht kann im Klassenzimmer funktionieren, aber übers Internet ist nach spätestens einer Stunde die Konzentration am Ende. Ganz zu schweigen davon, wenn die Vorlesungen den ganzen Tag dauern.
Nach einer anstrengenden Unterrichtsstunde kann man sich die Beine vertreten. Aber am Ende landet man doch wieder in seiner Wohnung für den nächsten Kurs. Ich lebe in einem 23-Quadratmeter-Studio. Ich rolle morgens aus dem Bett, gehe einen Schritt zu meinem Schreibtisch und verbringe dort den ganzen Tag. Für das Arbeiten im Freien reicht meistens die Reichweite der Internetverbindung nicht. Arbeitsplätze an den Universitäten und in den Bibliotheken gibt es keine.
Mir geht es dabei vergleichsweise noch gut. Viele Studenten mussten aufgrund der schwierigen Situation wieder bei den Eltern einziehen. Denn die klassischen Jobs, etwa in der Gastronomie, fallen weg. Staatliche Unterstützung ist niedrig und schwer zu bekommen. Und was das Studieren aus dem Kinderzimmer – in einem Lebensalter, in dem man eigentlich lernen sollte, unabhängig zu sein – mit dem psychischen Wohlbefinden macht, muss ich wohl keinem erklären.
Meine Kommilitonen und ich haben untereinander abgemacht, auf die Frage "Wie geht’s dir?" wahrheitsgemäß zu antworten. Nur in den seltensten Fällen gibt es eine positive Antwort. Wir sind einsam, frustriert, erschöpft. Besonders zermürbend: Es gibt keine Pläne für die Zukunft.
Präsenzunterricht an Schulen und Betreuungszeiten an Kitas werden regelmäßig und hitzig diskutiert – das ist wichtig und richtig. Aber als Student kommt man sich dann doch alleingelassen vor, denn über die Universitäten spricht fast niemand. Es gibt keine Lösungsvorschläge und keine Konzepte. Dabei sind die Situationen vergleichbar. Wenn in einer Schulklasse mit 30 Kindern Hybridunterricht möglich ist, dann sollte das in einem Übungskurs mit 13 erwachsenen Journalismusstudenten auch machbar sein.
Unsere Uni hält uns mit regelmäßigen Mails auf dem Laufenden. Oft heißt es darin: Wir bereiten uns auf Präsenz- und Hybridunterricht vor, aber wir wissen selbst nicht, was passieren wird. Die Entwicklungen in der Corona-Politik sind unvorhersehbar, die Situation der Studenten ist seit eineinhalb Jahren unverändert.
Dabei sollten wir doch zukünftig als qualifizierte Fachkräfte arbeiten, mit unserem Gehalt die Wirtschaft ankurbeln und in das Rentensystem einzahlen. Ohne eine qualitativ hochwertige Ausbildung ist das aber kaum möglich. Dazu kommt, dass wir momentan an Universitäten wichtige Kontakte nicht knüpfen können, die uns eigentlich im späteren Berufsleben weiterhelfen sollen.
Dabei gäbe es doch Ansätze, wie in anderen Lebensbereichen auch. Die klassischen Mittel, die überall angewendet werden, funktionieren ja auch in der Uni. Dann sitzen wir eben mit Maske und Abstand in desinfizierten Vorlesungssälen. Ergänzend könnte es den Livestream im Internet geben, um den Andrang auf die Hörsäle zu minimieren.
Ein großflächiger Einsatz von Schnelltests hilft zusätzlich beim Schutz gegen eine Ansteckung mit dem Coronavirus.
Eine andere Möglichkeit wäre das Lehren in Parks oder öffentlichen Plätzen. Für kleinere Kurse könnte man sich im Sommersemester ins Grüne setzen und Unterrichtsstunden abhalten. Auch die alten Griechen philosophierten schon im Freien.
Aber auch die Studierenden sollten Initiative zeigen, denn es gibt eben einfach keine wirklich wirksame Studenten-Lobby. Die AStAs sind kaum überregional vernetzt und leiden unter chronischem Desinteresse. Wer sich zusammenschließt, der erreicht mehr.
Studieren wird nach der Corona-Krise nicht mehr so sein, wie es mal war. Jetzt besteht die Möglichkeit, innovative und nachhaltige Konzepte zu entwerfen, die auch nach dem Lockdown bestehen bleiben.
In den Worten des Bundespräsidenten: