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Kommentar: Vladimir Putin ist ein Erpresser – und Russland führt längst Krieg

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Der russische Präsident Wladimir Putin bei einer telefonischen Benefizveranstaltung in Sankt Petersburg. Bild: www.imago-images.de / Kremlin Pool
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Stoppschild für Putins Gewalt: Warum Europa sich nicht erpressen lassen darf

Präsident Putin will Russland zu alter Größe zurückführen, erpresst dafür die USA, die EU und die Nato – und geht dafür immer weiter. Ein Kommentar.
11.01.2022, 16:30
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In Genf sind am Montag erste Verhandlungsrunden gestartet, die den Streit zwischen Russland und "dem Westen" beilegen sollen. Russland wollte diese Gespräche, die zunächst übrigens nur mit den USA stattfanden. Die Regierung in Moskau hat aber schon am vergangenen Sonntag verlauten lassen, dass es wenig Hoffnung auf eine Einigung gibt.

Der stellvertretende russische Außenminister Sergei Rjabkow traf sich bereits am Sonntag mit seiner amerikanischen Kollegin Wendy Sherman zum Abendessen. Danach sagte er nur, ein möglicherweise abruptes Ende der Beratungen, vielleicht sogar schon nach dem ersten Treffen, sei nicht auszuschließen. "Das ist ein absolut mögliches Szenario, und die Amerikaner sollten sich darüber keinerlei Illusionen machen."

Kein Optimismus seitens Russland.

Putin gibt sich schon immer gern als der Starke. Als der, der vor nichts zurückweicht. Der "männliche" Ritter, der oberkörperfrei dem Westen trotzt. Über ein derartiges Foto, auf dem Putin ohne T-Shirt durch die Berge reitet, wurde lange Zeit gelacht, doch mit solchen Bildern sammelt Putin Punkte in den eigenen Reihen.

"Wir werden keinem Zugeständnis zustimmen. Das ist völlig ausgeschlossen", sagte sein Unterhändler Rjabkow am Sonntag.

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Dieses Bild von Wladimir Putin sorgte 2009 für viele Lacher.Bild: RIA_NOVOSTI / epa Alexey Druzhinyn

Die USA sind für Putin DER Ansprechpartner schlechthin – vor allem, wenn es um Schwanzvergleiche geht

Am Montag also das Treffen in Genf. Mittwochs geht es dann zum Nato-Russland-Rat nach Brüssel, und am Donnerstag ist ein Termin mit der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) in Wien angesetzt.

Geredet wurde und wird viel. Vor allem sieht der russische Präsident Wladimir Putin in den USA immer wieder den angeblich richtigen Ansprechpartner – wenn es um Drohungen, Muskel zeigen und Schwanzvergleiche geht. Diese Sichtweise hat der Kreml-Chef noch aus den Zeiten des Kalten Krieges mitgebracht. Doch da trifft er bei dem doch eher ruhigeren US-Präsidenten und Demokraten Joe Biden auf taube Ohren. Der lässt sich auf ein solches Männlichkeitsgetue nicht ein, droht zwar mit Sanktionen, aber bleibt in der Kommunikation diplomatisch.

Putin strebt nach Macht. Das wird gerade in den vergangenen Wochen mehr als deutlich. Dass er das flächenmäßig größte Land der Welt regiert, reicht ihm offenbar nicht. Sein imperialistisches Denken kommt immer näher an Bestrebungen nach dem Aufbau einer neuen Sowjetunion heran. Seine geopolitischen Ambitionen zeichnen sich immer deutlicher ab.

Da ist Moskaus großer Einfluss auf den Iran und die für Putin wichtigen Beziehungen zur dortigen Regierung – als einziger Verbündeter im Nahen und Mittleren Osten gegen die USA. Da ist der Schulterschluss mit Nordkoreas Diktator Kim Jong Un, den Putin strategisch gegen China einsetzt. In der Zentralafrikanischen Republik sind russische Söldner aktiv, die die dortige Regierung im Kampf gegen Rebellen einsetzt.

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Ukrainische Soldaten in der noch immer umkämpften region Donesk.Bild: EPA / Olga Ivashchenko

Da ist der sich immer weiter zuspitzende Konflikt mit der Ukraine: die Annexion der Halbinsel Krim, die Unterstützung prorussischer Separatisten in den ostukrainischen Gebieten Donezk und Lugansk, die dort eigene Staaten ausgerufen haben. An der Grenze zur Ukraine hat der Kreml-Chef mehr als 100.000 Soldaten stationiert. Der ukrainische Geheimdienst hat 2021 nach eigenen Angaben herausgefunden, dass Putin eine Invasion plane. Putin hatte dies immer dementiert.

Jetzt kommt ein neuer Konflikt hinzu, bei dem sich Putin nicht zweimal bitten ließ, sich einzumischen. In Kasachstan sind kürzlich Straßenproteste gegen gestiegene Ölpreise so heftig eskaliert, dass der kasachische Präsident nach militärischer Hilfe Russlands fragte. Zuvor galt Kasachstan eigentlich als das am stärksten von Russland emanzipierte Land innerhalb des Militärbündnisses OVKS. Putin antwortete auf die Bitte Kasachstans mit russischer Militärhilfe im Eilverfahren, konnte sich so als "Friedensbringer" positionieren.

Mit dem belarussischen Machthaber Alexander Lukaschenko ist Putin eng verbandelt. Kritiker sprechen davon, dass Lukaschenko, der in Belarus Oppositionelle verschleppt, Pressevertreter verhaftet und Proteste gegen seine nicht anerkannte Wiederwahl blutig niederschlagen ließ, gar als Marionette Putins agiert.

Zusammenbruch der Sowjetunion als "größte geopolitische Katastrophe des Jahrhunderts" bezeichnet

Der Kreml-Chef hat in den vergangenen Jahren tatsächlich nie verheimlicht, wohin er sein Land führen will: Er will Russland wieder groß machen. So groß wie es früher einmal war – oder größer.

Dass die Sowjetunion seit 30 Jahren Geschichte ist, ist für Putin nur schwer zu ertragen. Für ihn ist das "die größte geopolitische Katastrophe des Jahrhunderts" – so hatte er es im April 2005 bezeichnet.

Vor diesem Hintergrund leuchten auch die Forderungen Russlands an den Westen ein:

  • Stopp der Nato-Osterweiterung
    Genaugenommen ist der Begriff Osterweiterung extrem irreführend. Er suggeriert, die Nato nehme nach und nach immer mehr Gebiete im Osten ein und rücke so immer näher an Russland heran. Die Nato ist allerdings ein Verteidigungsbündnis von momentan 30 Staaten. Diese beantragen eine Mitgliedschaft, wollen also freiwillig Verbündete sein. Seine Bündnisse frei zu wählen, ist das Recht eines jeden Staates. Der letzte ehemalige Mitgliedsstaat des ehemaligen Ostblocks ist übrigens 2009 eingetreten – das war Albanien. Zusätzlich dazu behauptet Putin bis heute wahrheitswidrig, es habe in den 1990er Jahren definitive Zusagen gegeben, dass sich die Nato nicht weiter gen Osten richten wolle.
  • Stopp von militärischen Nato-Manövern auf dem Gebiet der Ukraine und anderer Staaten Osteuropas, des Südkaukasus und in Zentralasien.
  • Abzug aller US-Atomwaffen aus Drittstaaten
  • Keine US-Mittelstreckenraketen in Europa
  • Keine Waffenlieferungen mehr an die Ukraine

Russland will Sicherheitsgarantien. So bezeichnet es Putin zumindest. Mit solchen Begriffen will er vor allem innerhalb seines Landes Ängste vor dem Westbündnis Nato, vor den USA und vor Europa schüren. Er selbst verbreitet zunehmend die Erzählung, Russland werde von der Nato umzingelt. Der Westen als Bedrohung der eigenen Landsleute. Das Nato-Bündnis, so sieht es Putin, habe geopolitische Interessen.

Stattdessen ist er es, der seit Jahren militärische Konflikte führt. Der mit Großwaffengeschützen, Nuklearwaffen und Militärstandorten immer näher an Europa rückt. Der versucht, sich auszubreiten, der seine Hände im gesamten Umland ausstreckt und nach Macht greift. Immer fester zupackt – ohne Rücksicht auf Verluste.

Der Fuchs im Hühnerstall

Auch das US-Außenministerium machte bereits am Freitag deutlich, dass vonseiten Russlands die falsche Behauptung verbreitet werde, die Ukraine wolle einen Konflikt mit Russland provozieren. US-Außenminister Antony Blinken drückte es so aus: "Das ist wie der Fuchs, der sagt, er habe das Hühnerhaus angreifen müssen, weil dessen Bewohner irgendwie eine Bedrohung für ihn darstellen."

Dass sich die Ukraine der Nato anschließen möchte, ist keine Provokation, sondern Selbstschutz. Dasselbe gilt für etwaige Aufrüstungen und Waffenlieferungen.

BELGIUM, BRUSSELS - JANUARY 7: A screen shows NATO Ministers of Foreign Affairs participating an extraordinary virtual meeting in Brussels, Belgium on January 7, 2022. NATO Secretary General Jens Stol ...
Am Freitag trafen sich die Außenministerinnen und -minister der Nato-Mitgliedsstaaten, um sich zum Ukraine-Konflikt abzustimmen.Bild: AA / Dursun Aydemir

Der Westen darf sich nicht erpressen lassen. Schon gar nicht von einem Erpresser, der kein Interesse an Einigkeit hat, sondern von Anfang an die bipolare Spaltung der Welt im Sinn hat. Putin will die Teilung in Osten und Westen. Seine "Vorstöße", seine "Bemühungen" um Gespräche sind rein innenpolitisch ambitioniert. So kann er Zuhause sagen: "Leute, wir haben es probiert, aber der Westen will nicht."

Natürlich müssen die USA und Europa weiter dialogbereit bleiben. Auch wenn Europa am Ende wohl kaum Einfluss auf Putins Politik haben wird, denn Putin sieht die EU nicht als ebenbürtig an.

"Moskau treibt die USA und die Europäer vor sich her", sagte der Russland-Experte Stefan Meister im watson-Gespräch. Putin sehe in den USA den entscheidenden Akteur. Die europäische Sicherheit hänge nicht von Deutschland und der EU ab, sondern von der NATO und den USA.

Das Mittel der Macht: Boykott von "Nord Stream 2"

Trotzdem ist weiterhin das Wichtigste, weiteres Blutvergießen zu verhindern. Die ersten russisch-US-amerikanischen Gespräche sind in dieser Woche nur der Anfang. Im Verlauf der Woche haben die Nato-Mitgliedsstaaten die Chance, sich zu positionieren. Das sollten sie mit aller Härte tun, sich nicht erpressen lassen.

Wirtschaftliche Sanktionen sind in solchen Fällen das Mittel der Macht. Hier könnte sogar die EU ihren Einfluss auf die Probe stellen und tatsächlich auch einmal hart reagieren. An der Ostseepipeline "Nord Stream 2" hängt Putin mit Leib und Seele. Ein Druckmittel, das schon in vielen Gesprächen angebracht wurde, vor dem sich aber die EU immer gescheut hatte, es tatsächlich anzuwenden.

Doch bevor noch mehr Menschen sterben, bevor es zu einem wirklichen Krieg kommt, sollte neben vielen weiteren Sanktionen ein Boykott der Pipeline lieber doch einmal in Betracht gezogen werden.

Rebellen in Syrien übernehmen Kontrolle über Damaskus – Assad flieht

Die Rebellen in Syrien haben eigenen Angaben zufolge die Kontrolle über die Hauptstadt Damaskus übernommen und damit das Ende der mehr als zwei Jahrzehnte andauernden Herrschaft von Machthaber Baschar al-Assad eingeläutet. Assad verließ die Hauptstadt am frühen Morgen mit unbekanntem Ziel, wie die Deutsche Presse-Agentur unter Berufung auf syrische Offiziere in Damaskus erfuhr. Das russische Außenministerium gab an, Assad habe das Land verlassen. Angaben zu seinem Aufenthaltsort machte Moskau allerdings nicht.

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