Die Aufregung war vergangene Woche groß. Jens Spahn wolle "Schrottmasken" an behinderte Menschen und Obdachlose geben, so der Ton der Debatte, die ein Artikel des "Spiegel" losgetreten hatte. Das passte für viele in das Bild des angeblich herzlosen CDU-Politikers, der wegen seiner teuren Immobilienkäufe und angeblicher Begünstigung von Freunden und Bekannten in den vergangenen Monaten häufig in der Presse war.
Ein Gesundheitsminister, der sich im Herbst, als die Zahlen der Infizierten anstiegen, zum Essen mit zahlreichen Personen traf, um Spenden zu sammeln, der würde auch defekte Masken an die Schwachen liefern, so der Tenor. Die Rücktrittsforderungen folgten von allen Seiten. Ein Kolumnist verstieg sich sogar dazu, zu erklären, dass Jens Spahns Rücktritt noch überfälliger sei als der von Verkehrsminister Andreas Scheuer.
Nun liegt es mir fern, einen Minister zu verteidigen. Als Journalist ist es mein Job, kritisch darüber zu berichten und zu prüfen, was die Regierenden machen. Ich gebe aber zu, dass ich Jens Spahn nicht darum beneide, jeden Freitag in der Bundespressekonferenz für die Versäumnisse und Fehler der Bundesregierung in der Corona-Pandemie gerade zu stehen. Als er 2018 Gesundheitsminister wurde, hatte er sicher nicht damit gerechnet, zwei Jahre später die Verantwortung für das Management einer globalen Pandemie zu übernehmen.
Und jetzt wird es kompliziert in der Beurteilung von Jens Spahn. Denn, immerhin: Er stellt sich regelmäßig der Kritik an seiner Arbeit. Er ist aber auch für eine Menge Fehler verantwortlich. Nur: Der vermeintliche Skandal um "Schrottmasken" ist wirklich der kleinste der Fehler, die er seit Beginn der Pandemie begangen hat. Die Kritik an Jens Spahn hat sich dabei längst von den Fakten gelöst.
Fakt ist nämlich, dass es sich bei den Masken keinesfalls um "Schrottmasken" handelt. Der Spiegel hatte diesen Begriff nicht im Text, aber in der Beschreibung des eigenen Artikels für die Suchmaschinen-Optimierung eingebaut – und sich mittlerweile für diese Übertreibung entschuldigt. Andere Medien haben dieses Narrativ trotzdem aufgenommen und weitergesponnen. Und die SPD und die Linke haben sich dann über das Wochenende im Rahmen des Bundestagswahlkampfes auf den Gesundheitsminister eingeschossen und seinen Rücktritt gefordert. SPD-Bundeschefin Saskia Esken hat sich sogar dazu verstiegen, Spahn persönlich anzugreifen und nannte sein Vorhaben "menschenverachtend".
Die Masken, um die es geht, sind keinesfalls minderwertig. Nachdem der Rauch der Wahlkampf-Kanonade gegen Jens Spahn verflogen war, drangen nämlich auch andere Meinungen zu dem Thema durch und damit auch einige Fakten. Die angesprochenen Masken waren durchaus getestet worden, von Dekra und dem TÜV Nord, wie das Gesundheitsministerium erklärte: also zwei der seriösesten Prüfinstitute Europas. Zwar hätten sie keine Zulassung durch die EU-Behörden, aber durch das Gesundheitsministerium.
Tatsächlich war es laut Angaben des Gesundheitsministeriums das Arbeitsministerium von SPD-Minister Hubertus Heil, das den Masken die Zertifizierung für den Arbeitsschutz verweigert hat. Und aufgrund dieser fehlenden Zertifizierung hätten die Masken nicht wie ursprünglich geplant für Bedienstete des Bundes verwendet werden konnten. Gegen eine Corona-Infektion schützen die Masken hingegen nachweislich.
Anstatt die Masken herumliegen zu lassen, ergab es also durchaus Sinn, eine Weiterverwendung ins Auge zu fassen. Dass sie dann für Obdachlose und behinderte Menschen verwendet werden sollten, zeigt einen Mangel an politischem Instinkt im Gesundheitsministerium – es ist aber kein Skandal. Und schon gar nicht der Riesenskandal, zu dem die Geschichte teilweise stilisiert wurde.
Jens Spahn kann wegen einer Menge Versäumnisse, beispielsweise dem schleppenden Impfstart oder der nachlässigen Teststrategie – gerade an Universitäten und Hochschulen (watson berichtete) – in die Verantwortung genommen werden. Aber diese Maskenaffäre um angebliche "Schrottmasken" ist eine Affäre, die keine ist.
Ob es sich für die SPD im aktuellen Wahlkampf auszahlen wird, mit einer solchen Geschichte gegen den Koalitionspartner vorzugehen, ist auch fraglich. Am Ende könnte die ganze Sache lediglich dazu führen, dass wieder mal eine Menge teuer beschaffte Masken im Lager verrotten, weil keiner mehr ihrer Schutzfähigkeit vertraut – ein bisschen so wie die Stoffmasken, die die nordrhein-westfälische Landesregierung im vergangenen Jahr von Hersteller van Laack teuer bestellt hatte und die kaum einer mehr will, weil inzwischen fast überall FFP2- oder OP-Schutzmasken Pflicht sind.
Wir werden einander viel verzeihen müssen nach der Pandemie. Dieser legendär gewordene Satz von Jens Spahn gilt immer noch und auch für ihn. Aber nicht für diesen angeblichen "Masken-Skandal", der keiner ist.