Moderator und ARD-Chefredakteur Oliver Köhr unterlief in der Sendung am Montagabend ein Fehler. Er fragte, ob die Umfragewerte von Olaf Scholz sich langsam denen der SPD annähern müssten, damit dieser Kanzler werden würde. Tatsächlich ist es ja gerade andersrum. In der Sendung "Farbe bekennen" der ARD saß zur Primetime um 20.15 Uhr ein Kanzlerkandidat der SPD, der auf eine beachtliche Zustimmung vertrauen konnte, von der seine Partei nur träumen darf.
Ziel sei es jetzt im Wahlkampf vielmehr, antwortete Scholz dementsprechend, dass die SPD sich seinen persönlichen Umfragewerten annähert. Dann sei alles drin. Da spricht einiges an Selbstvertrauen aus dem Kanzlerkandidaten, aber auch viel Realismus und Pragmatismus. Denn tatsächlich ist es ja so, dass Scholz mit seiner Regierungserfahrung und seinem Auftreten punkten kann. Wenn man so will, ist der amtierende Finanzminister und dessen Strahlkraft der einzige Punkt, bei der die GroKo positiv auf den Wahlkampf der SPD einzahlt.
In einer jüngeren Umfrage liegt Scholz vor seinen Gegenkandidaten Annalena Baerbock und Armin Laschet auf Platz 1 im Beliebtheitsranking. Und das hat gute Gründe: Während Laschets CDU durch die Auseinandersetzung mit Markus Söder um die Kanzlerkandidatur und die Maskenaffäre ordentlich gebeutelt wurde und Annalena Baerbock nicht deklarierte Einkünfte und Fehler im Lebenslauf den Wahlkampf schwer machen, kann Olaf Scholz schlumpfig vor sich hin grinsen, wie es Markus Söder auszudrücken beliebte. Keine seiner Leichen im Keller, weder seine Rolle im Wirecard-Skandal, noch die im CumEx-Skandal oder bei den G7-Protesten in Hamburg, konnten seiner Beliebtheit ernsthaft schaden.
Das war nicht immer so: Der "Scholzomat", wie er wegen seiner spröden und etwas roboterhaften Art früher gerne genannt wurde, galt immer als nicht vermittelbar für die Wähler. Zu hanseatisch kühl und unemotional. Stattdessen wurde lieber der temperamentvolle Niedersachse Sigmar Gabriel oder der melancholisch wirkende Rheinländer Martin Schulz in die Spitzenämter geschickt. Zuletzt hat sich die SPD mit der Wahl ihrer Parteispitze, der Schwäbin Saskia Esken und dem Rheinländer Norbert Walter-Borjans ordentlich verhoben und zwei Parteivorsitzende gewählt, die es nicht wirklich schaffen, ihrer Partei eine klare Linie zu geben.
Und hier schlägt nun die Stunde des nüchternen Pragmatikers Olaf Scholz. Seine Nominierung im vergangenen Sommer erfolgte so geräuschlos wie überraschend. Zum ersten Mal seit langem wirkte die SPD organisiert und geschlossen. Und zumindest nach außen blieb es seither dabei. Auch wenn es eine merkwürdige Kombination aus der linken Parteispitze und dem realpolitischen Kanzlerkandidaten Scholz wurde, raufte die Partei sich im Großen und Ganzen zusammen und hielt den Burgfrieden aufrecht.
Auch beim Parteitag der SPD am 9. Mai lief alles sehr harmonisch ab. Vielleicht sogar zu sehr. Den benötigten Schwung für den Bundestagswahlkampf suchte man da vergebens. Richtig Fahrt kam erst auf, als Olaf Scholz zum Schluss der Veranstaltung seine Rede hielt. Und er hielt eine Rede, die einen Gestaltungs- und Regierungsanspruch formulierte. Olaf Scholz erklärte darin nicht weniger, als das, was er als Bundeskanzler vorhat und zwar konkret, nachvollziehbar und verbindlich. Zwölf Euro Mindestlohn und einen Mietenstopp in Ballungsgebieten. Das sind konkrete Maßnahmen, die der Wähler versteht.
Was für ein Kontrast zur Rede Annalena Baerbocks beim Parteitag der Grünen. Diese verzettelte sich entweder in Details oder blieb im Ungefähren, verhaspelte sich sogar stellenweise in ihrer Rede. Zum Abschluss raunte sie noch ihrem Co-Fraktionschef ein gut hörbares "scheiße!" zu und lieferte die Interpretation des eigenen Auftritts gleich mit. Unvorstellbar, dass Olaf Scholz so ein Malheur passieren würde. Da ist er zu sehr "Scholzomat" oder eben auch professionell, nüchtern und verlässlich.
Alles Eigenschaften, die auch der Kanzlerin zugeschrieben werden. Der Regierende Bürgermeister von Berlin Michael Müller hat einen Punkt, wenn er sagt, beide wären sehr sachliche und analytische Politiker. Und diese Ähnlichkeit kann nicht nur schaden. Nach 16 Jahren Angela Merkel wünschen sich die Menschen einen Wandel, aber sie wissen auch, was sie an Angela Merkel vermissen werden. Konrad Adenauer, Helmut Schmidt und in gewisser Weise auch Helmut Kohl: In der Vergangenheit wussten die Deutschen sachliche und pragmatische Kanzler stets zu schätzen. Das verkörpert Olaf Scholz von den drei Kandidierenden am besten.
Das große Problem für Olaf Scholz bleiben jetzt noch die Umfragewerte seiner Partei. Denn regieren kann er eben nur, wenn die SPD zumindest innerhalb des linken Lagers die stärkste Kraft ist und es für eine Ampel mit FDP und Grünen oder einer Rot-rot-grünen Koalition mit der Linkspartei reicht. Einer neuesten Umfrage des Meinungsforschungsinstitut Insa zufolge, könnte das sogar in Reichweite sein. Hiernach liegt die SPD aktuell nur noch drei Prozentpunkte hinter den Grünen mit 19,5 Prozent. Diese drei Prozent sind nun das Ziel der SPD und insbesondere von Olaf Scholz für den Wahlkampf. Dann hätte sich die Beliebtheit der SPD tatsächlich der Beliebtheit ihres Spitzenkandidaten angenähert.
Für die SPD und Olaf Scholz bleibt nun zu hoffen, dass es wirklich so kommen wird und eben nicht so, wie es Moderator Oliver Köhr aus Versehen formuliert hat. Bei Scholz' Vorgänger Martin Schulz war das 2017 der Fall gewesen. Damals haben sich tatsächlich die Beliebtheitswerte des Kanzlerkandidaten der Beliebtheit der Partei angenähert und nicht andersrum. Am Ende blieb ein historisch schlechtes Ergebnis und ein völlig demontierter Kanzlerkandidat.