Es ist Herbst. Die Blätter fallen. Selbst die Inzidenzen sinken aktuell – die Wiesn-Welle nach dem Münchner Oktoberfest ist gebrochen. Und das ohne eine Verschärfung der Maßnahmen im Freistaat. Alles nicht so wild also, das ist der Eindruck, den die Politik im dritten Corona-Herbst vermittelt. Schon wieder!
Ein Eindruck, der sich so auch in der Bevölkerung manifestiert. Das Schwadronieren vom ach so milden Omikron suggeriert eine falsche Sicherheit. Und das macht sich natürlich im gesellschaftlichen Umgang mit der Pandemie bemerkbar. Eine Studie kam zu dem Schluss, dass jede:r zehnte Coronapositive trotzdem ins Büro oder in den Betrieb geht.
Jede:r zehnte!
Das klingt nach fast drei Jahren Corona, samt Einschränkungen, Langzeitfolgen und Tod absurd. Ist aber eben auch eine Folge der misslungenen Kommunikation. Monatlich sterben noch immer über tausend Menschen – an oder mit Corona. Aber macht ja nichts.
Und wer jetzt mit "AbEr DiE gRiPpE !1!!!1111!" kommt, unterschlägt, dass im Winter 2017/18, in der schwersten Grippesaison der vergangenen 30 Jahre, insgesamt 25.100 Menschen in Deutschland gestorben sind. Insgesamt. Und auch wenn jede:r Tote zu viel ist, war diese Saison eine Ausnahme, normalerweise ist die Sterberate geringer.
Mittlerweile müsste außerdem jede:r mindestens einen Menschen kennen, der durch eine Corona-Infektion längerfristig beeinträchtigt ist. Zwar kann der Anteil der Menschen, die an Long Covid leiden, noch nicht genau ermittelt werden. Das Robert-Koch-Institut zitiert allerdings Studien, die von einem Anteil zwischen 7,5 Prozent und 41 Prozent der Erkrankten, die nicht ins Krankenhaus mussten, ausgehen.
Bei der Analyse, die neue Welle lasse sich auch ohne Maßnahmen brechen, wird verkannt, dass die milden Temperaturen in München geholfen haben dürften. In den Wiesn-Zelten haben sich die Menschen schließlich durchaus angesteckt.
Und obwohl sich die Lage aktuell zu entspannen scheint, schlagen Kliniken deutschlandweit Alarm.
Die Intensivbetten sind in vielen Bundesländern belegt. Besonders eng wird es in Nordrhein-Westfalen, Hamburg, Bremen und Berlin. Hier liegt die Kapazität bei unter 10 Prozent – das bedeutet in vielen Fällen, dass gar kein Bett mehr frei ist. Dass Notfälle nicht mehr versorgt werden können.
Etwas entspannter sieht die Lage in Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Thüringen, Rheinland-Pfalz und dem Saarland aus. Die dortige Kapazität zwischen 15 Prozent und 17 Prozent lässt zumindest die Versorgung von Oma Hildes Herzinfarkt zu.
Spätestens jetzt müssten die Gesundheitsminister:innen der Länder also eigentlich reagieren.
Bisher haben die sich aber nur darauf geeinigt, einheitlich vorzugehen. Das ist schon einmal gut. Akut wollen sie aber erstmal beobachten und evaluieren. Weniger gut, denkt man an den vergangenen Winter. Da wurde auch evaluiert und geschaut – und schließlich holterdiepolter die Kulturbranche eingeschränkt. In Sachsen kam es sogar zum "Teil"-Lockdown.
Bevor aber wieder Clubs, Museen, Bars, ja vielleicht sogar Schulen geschlossen werden, wäre die Einführung einer bundesweiten Maskenpflicht in Innenräumen das mildere Mittel. Sie stört nicht – der Schutz allerdings ist effektiv.
Mit Eigenverantwortung, auf die viele Bundesländer zunächst setzen wollen, klappt es eben nicht. Das zeigt sich zum Beispiel im heimischen Supermarkt. Dort, an einem Ort, den jede:r besuchen muss – ob vorerkrankt oder nicht – sind Masken mittlerweile kaum noch zu sehen.
Man kann natürlich darüber debattieren, ob die Pandemie auch in Deutschland für beendet erklärt werden sollte. Ändern wird das aber wenig an der Tatsache, dass die Inzidenz hoch liegt. Sie sogar steigen dürfte, wenn die Temperaturen dann doch fallen und sich das Leben wieder nach drinnen verlagert. Es würde auch nichts daran ändern, dass die Intensivbetten knapp und das Gesundheitssystem auch ohne Coronapatient:innen extrem knapp auf Kante genäht ist.
Nur weil wir sagen, Corona ist vorbei, stimmt das noch lange nicht. Und nur weil wir sagen, Corona ist vorbei, heißt das noch lange nicht, dass wir nicht trotzdem Masken im öffentlichen Raum tragen sollten. Denn so würden zum einen vulnerable Gruppen wieder besser geschützt – zum anderen wäre es wieder die eigene Entscheidung, sich der Gefahr einer Ansteckung exponiert auszusetzen.
Sei es im Club beim Tanzen, im Kino beim Popcorn mampfen oder im Restaurant beim Schmausen – all das lässt sich vermeiden. Einkaufen, Busfahren, in die Schule gehen jedoch nicht. Neue Erkenntnisse legen außerdem nahe, dass mit jeder Covid-Infektion das Risiko für Long Covid steigt.
Wenn das stimmt, bedeutet das: Auch wenn Corona als endemisch eingestuft und jährlich in Wellen durch die Republik zieht, kann die Zahl der Long-Covid-Betroffenen steigen. Gerade die Wirtschaft sollte hier alarmiert sein – könnte das doch eine wachsende Masse an Berufsunfähigen bedeuten.
Eine Möglichkeit ist nun natürlich abzuwarten, bis die Studien noch einmal begutachtet worden sind – und eine weitere Welle durchs Land gerollt ist, ehe Maßnahmen ergriffen werden. Möglichkeit zwei: Maskenpflicht wiedereinführen und dann abwarten, was bei der Überprüfung der Studien rauskommt.
Letztendlich handelt es sich bei den Fließstofflappen schließlich nicht um eine Impfung, die in die Adern geschossen wird. Es geht dabei auch nicht um Medikamente oder körperliche Herausforderungen. Es geht schlicht und ergreifend um eine einfache Möglichkeit, einen weiteren Horror-Winter zu vermeiden. Wegen der Energiekrise wird der nämlich ohnehin dunkler als sonst.
Warum also warten, bis es wieder zu spät ist?