Ein Mensch steuert ein Auto dorthin, wo Menschen stehen, tötet mehrere von ihnen, verletzt andere schwer, traumatisiert Dutzende andere. Es ist am Dienstag in Trier passiert. Mindestens fünf Menschen leben nicht mehr, weil ein Mann mit einem SUV durch die Fußgängerzone gerast ist und sie erfasst hat.
Wer von solch einem schrecklichen Ereignis erfährt, will eine Antwort auf diese einfache Frage. Das zu verlangen, ist verständlich. Weil es herzzerreißend grausam ist, dass Menschen auf diese Weise sterben.
Es deutet aber viel darauf hin, dass es für die Tat von Trier eine Antwort auf diese Frage nie geben wird.
Man kann mit dem quälenden Warum auf unterschiedliche Arten umgehen. Widerwärtige Beispiele dafür haben auch am Dienstagnachmittag ein paar Hobbyermittler geliefert, die ihre Blitzanalysen zu islamistischem Terrorismus, zur Abstammung des Täters und zu angeblichen politischen Verantwortlichen schon in die in sozialen Netzwerke gekotzt haben, während in Trier noch Menschen mit dem Tod rangen.
Ein bewegendes Beispiel für die Suche nach dem Warum kommt von Wolfram Leibe, dem Oberbürgermeister von Trier. Er hat nach der Tat vor Journalisten erst von einem kleinen Turnschuh erzählt, der jetzt in der Trierer Innenstadt auf der Straße liege. Dann sagte er, mit den Tränen kämpfend: "Das Mädchen dazu ist tot." Später meinte Leibe: "Ich will wissen, warum jemand das tut."
Und dann, nach einer Pause:
Leibe ist Politiker. Er gehört damit zu einer von zwei Personengruppen, von denen besonders viele Menschen nach einer Tat wie in Trier Antworten wollen. Politiker sollen nach solchen Taten dafür sorgen, dass so etwas nicht mehr passiert. Sie sollen ihre Bürger so gut schützen, wie es geht.
Die zweite Gruppe, die Antworten liefern soll, das sind wir Journalisten. Warum, das ist eine der sieben sogenannten W-Fragen, die ein guter nachrichtlicher Text beantworten sollte, das lernt jede und jeder von uns in der Ausbildung. Die anderen sechs W-Fragen – Wer? Wo? Was? Wann? Wie? Woher kommen die Informationen? – waren schon wenige Stunden nach der Amokfahrt von Trier größtenteils beantwortet: Ein 51-jähriger Deutscher, gebürtiger Trierer, ist am frühen Dienstagnachmittag mit einem SUV durch die Trierer Fußgängerzone gerast, offenbar im Zickzackkurs, das ergeben die Informationen von Polizei, Staatsanwaltschaft und mehreren Augenzeugen. Aber warum er das getan hat?
Viele Terroristen haben in den vergangenen fünf Jahren mit einem Fahrzeug absichtlich Menschen getötet. Nach einem Terroranschlag gibt es zumindest eine erste Antwort auf die Frage nach dem Warum: Der Mensch, der ihn begangen hat, ist einer mörderisch intoleranten Ideologie gefolgt.
Das war beim islamistischen Attentäter so, der im Juli 2016 in Nizza 86 Menschen mit einem Lastwagen überfuhr. Es war so bei dem Rechtsextremen, der 2017 in der US-Stadt Charlottesville sein Auto in eine antifaschistische Demo steuerte und eine Frau ermordete. Und bei Anis Amri, dem Terroristen, der im Dezember 2016 auf dem Weihnachtsmarkt am Berliner Breitscheidplatz zwölf Menschen tötete.
Auf Terrorismus muss es politische und gesellschaftliche Antworten geben: Sicherheitsbehörden müssen in der Lage sein, Anschlagspläne zu entdecken, bevor aus ihnen Attentate werden. Projekte, die Menschen für die Demokratie gewinnen und vor dem Abrutschen in Extremismus abhalten können, brauchen Geld, qualifiziertes Personal und politische Rückendeckung. Menschen, denen das Leben übel zuspielt, brauchen faire Chancen in der Gesellschaft, um nicht an radikale Rattenfänger zu glauben.
Aber wie soll die Antwort auf Taten wie in Trier aussehen?
Es deute beim Täter viel auf ein "psychiatrisches Krankheitsbild" hin, teilten Ermittler noch am Dienstag mit. Recherchen von "t-online" legen nahe, dass er seit Jahren die Kontrolle über sein Leben verloren hatte.
Ich habe selbst den Tatort einer Amokfahrt erlebt, aus nächster Nähe. Es war ein brüllend heißer Augusttag im Jahr 2013, ich machte gerade mein Volontariat, meine journalistische Ausbildung, bei der "Mittelbayerischen Zeitung" in meiner Heimatstadt Regensburg. Am frühen Nachmittag ging ich nach einer Frühschicht in der Online-Redaktion nach Hause – und auf den Stufen vor dem Waschsalon gegenüber unserem Wohnblock stand das Wrack eines Sportwagens. Unter ihm lagen zwei Mädchen, eines fünf Jahre alt, eines drei, ringsum standen Polizisten, Notärzte, Dutzende Anwohner. Das Bild werde ich nie vergessen.
Ein Mann war von der Straße abgekommen, die über dem Waschsalon eine scharfe Linkskurve bildete. Vorher war er minutenlang durch Regensburg gerast, hatte mehrere Autos gestreift, mehrfach hatten Polizisten versucht, ihn zu stoppen.
Das eine Mädchen starb wenig später im Krankenhaus, ihre Schwester überlebte. Der Mann am Steuer des Autos wurde festgenommen, der Prozess gegen ihn begann acht Monate später. Er war schwer psychisch krank, einem psychiatrischen Gutachter sagte er unter anderem, er sei "ein glühender Komet" und "in der Lage, die Welt zu zerstören". Der Mann wurde am Ende des Prozesses in die geschlossene Psychiatrie eingewiesen. In seiner Urteilsbegründung sagte der Richter damals: "In der menschlichen Tragödie gibt es keinen Schuldigen."
Ob es auch in Trier keinen Schuldigen gibt, dazu werden Polizei und Staatsanwaltschaft ermitteln, eine Richterin oder ein Richter wird es am Ende feststellen. Aber eine wirkliche Antwort auf das Warum, werden vermutlich auch sie nicht finden.
Sicher, es ist schon einiges getan worden, um Taten wie die von Trier zu verhindern. Fahrzeuge, Autos wie Lastwagen, sind heute so sicher wie nie, dank technischen Helfern wie Notbremssystemen oder automatischer Fußgängererkennung. Es war wohl das automatische Bremssystem des Lkw, das den Islamisten Anis Amri daran gehindert hat, beim Weihnachtsmarkt-Attentat 2016 in Berlin noch mehr Menschen zu ermorden. Es kann noch mehr getan werden: Der Fahrer des SUV in Trier war laut Polizei schwer alkoholisiert. Alcolocks – also Wegfahrsperren, die ein Fahrer nur lösen kann, wenn er in ein Röhrchen pustet und so einen Alkoholtest absolviert – könnten Betrunkene in Zukunft daran hindern, mit dem Auto loszufahren. Die EU plant, ab 2022 entsprechende Installationen in Neuwagen zur Pflicht zu machen.
Sicher, man kann daran denken, an noch mehr öffentlichen Orten Poller oder andere Barrieren aufzubauen, um Amokfahrten und Attentate mit Fahrzeugen zu verhindern.
Hundertprozentigen Schutz vor Wahnsinn wird auch das nicht bringen, niemandem von uns.
Und nein, es brächte auch nichts, wenn die Wünsche der Wut-Twitterer wahr würden, die sich nach Taten wie der in Trier wünschen, dass man psychisch Kranke doch künftig wieder so menschenverachtend brutal wie vor ein paar Jahrzehnten behandle, dass man sie einfach wegsperre und radikal von der Gesellschaft absondere.
Zuallererst wäre das nicht vereinbar mit dem freiheitlich-demokratischen politischen System Deutschlands, dessen Verfassung mit dem Satz beginnt: "Die Würde des Menschen ist unantastbar." Damit ist die Würde jedes Menschen gemeint, selbstverständlich auch die psychisch Kranker.
Die allermeisten psychisch kranken Menschen sind außerdem keine physische Gefahr für andere Menschen. Und auch das Risiko durch die wenigen Erkrankten, die tatsächlich anderen gefährlich sind, würde größer, wenn psychisch Kranke einfach weggesperrt und nicht psychiatrisch behandelt würden: Weil noch viel mehr Kranke und deren Angehörige das Problem dann verbergen würden, anstatt sich professionelle Hilfe zu holen.
Warum? Nach manchen grausamen Taten gibt es einfach keine vernünftige Antwort auf diese Frage.
David Liese, der Journalist, der im April 2014 einen Prozesstag zur Regensburger Amokfahrt für das Lokalblog "Regensburg Digital" verfolgte, schrieb am Ende seines Artikels diesen Satz: