Am Sonntagabend überließ FDP-Chef Christian Lindner die Schlagfertigkeit einem anderen Talkshow-Profi: der Ökonomin Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung, die wie Lindner selbst regelmäßig Gast in deutschen Talkshows ist.
Die Rollen waren klar verteilt: Söder und Lindner sperrten sich gegen höhere Abgaben, Baerbock und Kemfert forderten mehr Investitionen in Digitalisierung und in den Kampf gegen die Klimakrise. Söder sorgte sich um einen "ideologischen Krieg" um das Auto, Linder schlug in dieselbe Kerbe: Er warnte vor dem Verlust von "vielen, vielen tausend Arbeitsplätzen" in der Autoindustrie.
Der FDP-Chef war sichtlich angefressen – und ärgerte sich gegenüber Anne Will darüber, dass er überhaupt über Windkraft in der Sendung reden sollte: "Im Jahr 2019 kann man nicht mal eine Sendung über Wirtschaft und Konjunktur machen – ohne dass man solche Fragen im Detail diskutiert."
Wichtiger sind dem Liberalen die Autoindustrie mit mehr als einer Million Beschäftigen. Die Windkraft selbst ist für Lindner problematisch: So werde in Schleswig-Holstein hauptsächlich "Geisterstrom" produziert, der aufgrund fehlender Leitungen in den Süden quasi verpuffen würde. Dabei seien mehrere hunderte Millionen Euro verloren gegangen.
Kemfert witzelte: "Geisterstrom? Ein neues Wort, Geisterstrom." Lindner drehte auf: "Das können die Leute ja googlen, ist ja kein Problem." (Lindner war aufgebracht, er meinte wohl Wörter und nicht Leute).
Trotz mancher Verhaspelung blieb Lindner selbstbewusst: "Ich kenne die Details auch, Frau Kemfert. Sie sind Ökonomin. Hier geht's aber um Physik."
Kemfert schoss zurück: "Sie sind auch kein Physiker." Das räumte Lindner dann ein, wollte sich aber um Details nicht weiter scheren: "Wir müssen jetzt einfach aushalten, dass wir den Sachverhalt unterschiedlich sehen."
Von seinem "Geisterstrom" wollte Lindner dann nicht weiter sprechen. Wie dieser Strom genau entsteht, wollte der FDP-Chef nicht erklären. Schade, wäre doch interessant gewesen: Das Phänomen des "Geisterstroms" gibt es nämlich tatsächlich. Es ist von der Regierung selbst verschuldet – und von ihr auch lösbar.
Die von Lindner in den Raum geworfenen "Hunderten Millionen von Euro Geisterstrom" sind kein Problem der Stromgewinnungsmethode Windkraft – sondern der Preis eines jahrzehntelangen Verschlafens der Bundes- und Landespolitik beim Netzausbau.
Darauf verwies in der Sendung auch der Windkraftanlagen-Betreiber Jan Christian Lorenzen und forderte neue gesetzliche Regelungen, die es auch Privatleuten ermöglichen würde, den Strom vor Ort zu verwenden.
Das alles erklärte Lindner jedoch nicht – stattdessen warf er schnell eine andere Frage in den Raum: "Wo kommt der Strom her, wenn mal kein Wind und keine Sonne weht?" Da schritt dann sogar CSU-Chef Söder ein, dessen Partei sich selbst immer wieder gegen den massiven Ausbau von Stromtrassen auf dem Land gesperrt hatte. Söder beschwichtigte: "Die windstille Nacht ist unser kleinstes Problem."
Und Anne Will schloss mit den Worten: "Wir haben heute viele schöne Wörter gelernt." Leider fehlten die Erklärungen, die hätten Lindners fadenscheinige Argumentation nämlich ins rechte Licht gerückt.