Es ist passiert: Bayern hat das Gendern verboten. In Schulen, an Universitäten und in Behörden dürfen Sternchen oder Doppelpunkte nicht genutzt werden. Das hat das Kabinett beschlossen und die dafür notwendigen Anpassungen an der "Allgemeinen Geschäftsordnung für die Behörden des Freistaates Bayern" vorgenommen.
Bemerkenswert an diesem Schritt ist vor allem die anschließende Argumentation. Staatskanzleichef Florian Herrmann (CSU) sieht darin einen Weg, "um Diskursräume in einer liberalen Gesellschaft offenzuhalten". Eine "ideologisch geprägte Sprache" hingegen exkludiere.
Wow.
Noch besser ist nur der vorauseilende Hinweis der Staatskanzlei, dass dieser Beschluss "unabhängig von etwaigen künftigen Entscheidungen des Rates für deutsche Rechtschreibung zu der Frage der Verwendung von Sonderzeichen" gültig sei.
Zur Erklärung: Der Rechtschreibrat ist die Institution, auf die sich Kritiker:innen von gendergerechter Sprache gerne berufen. Denn: Er empfiehlt den Genderstern oder -doppelpunkt weiterhin nicht.
Noch nicht.
Im Juli 2023 bekräftigte der Rat seine ablehnende Haltung, die er zwei Jahre zuvor kommuniziert hatte, ließ aber durchblicken, dass das letzte Wort noch nicht gesprochen sei. Josef Lange, der Vorsitzende, sagte: "Ich hätte mir ein weiterführendes Ergebnis versprochen. Das war bei allem guten Willen nicht zu erreichen." Der Rat ergänzte in seiner Mitteilung: Die Entwicklung sei noch nicht abgeschlossen und werde weiter beobachtet.
Das Gendern nicht zu supporten, ist eine Sache. Es ausdrücklich zu untersagen, eine andere.
Die Kritik am nun erlassenen Genderverbot wurde schon vor Wochen von mehreren Seiten geäußert, denn der Beschluss war absehbar. "Ein staatlich verordnetes Genderverbot befördert eine queerfeindliche Stimmung im Land und ist Wasser auf die Mühlen derer, die seit Langem gegen queere Menschen hetzen, ihre Lebensrealitäten als ungleichwertig stigmatisieren und im Extremfall als 'lebensunwert' gewaltsam verfolgen", schrieb ein breites Bündnis aus Gewerkschaften und Verbänden im Februar allen Fraktionen des bayerischen Landtags, die AfD ausgenommen.
"Es gibt nirgendwo eine Pflicht zum Gendern, und noch absurder ist die Idee, dies den Menschen verbieten zu wollen", ergänzte der Vorsitzende des DGB Bayern, Bernhard Stiedl. "Es wäre viel wichtiger, jetzt über wichtige Zukunftsaufgaben zu sprechen."
Das Problem jedoch ist: An Argumenten sind die Söder:innen der Regierungsparteien Bayerns nicht interessiert. Sie haben sich längst auf das populistische Niveau der AfD herabgelassen. In der verzweifelten Hoffnung, den Rechten und Rechtsradikalen Stimmen abzujagen.
Populist:innen formulieren Probleme, die es nicht gibt, und unterfüttern sie mit alternativen Fakten ("Irgendjemand will irgendjemandem vorschreiben, wie man zu sprechen hat"), bauen sich Stück für Stück ihre Feindbilder auf ("Die Grünen wollen mir mein Schnitzel verbieten"), tun so, als würden sie für alle sprechen ("Wir werden das Kiffen nicht akzeptieren"), skizzieren den Untergang unserer Gesellschaft ("Alle Bürgergeld-Empfänger:innen treiben den Staat in den Ruin") und schaffen dann maximal verkürzte Lösungen, die nichts bewirken ("Wir verbieten das Gendern").
Schon im Wahlkampf 2023 hatte Markus Söder kein Wahlprogramm, das diesen Namen verdient hätte, sondern war einzig und allein damit beschäftigt, die Grünen zu diffamieren. (Es sei denn, er musste sich Zeit dafür nehmen, auf Instagram oder Tiktok über seine Essensgewohnheiten zu sprechen, was er offensichtlich für eine gelungene Social-Media-Strategie hält, während Nazis die sozialen Netzwerke mit Fake News fluten.) So gesehen ist sich die Regierung Bayerns treu geblieben.
Monatelang grölten ihre Politiker:innen in Bierzelten herum, man ließe sich von niemandem verbieten, wie man zu sprechen habe. Erst recht nicht von der "Verbotspartei", den Grünen. Nur um nun den Menschen nun zu verbieten, zu schreiben, wie man möchte.
Es bleibt die Frage, wie sich sogar Politiker:innen von einem "innen" so getriggert fühlen können, dass sie diesem Thema ein solches Gewicht verleihen.
Immerhin führt die Entscheidung der Sprachpolizist:innen nicht dazu, dass Schüler:innen nicht mehr gendern dürfen. Gendergerechte Sprache in Klassenarbeiten wird zwar markiert, aber nicht als Fehler gewertet.
Unklar ist noch, was beispielsweise mit Lehrer:innen geschieht, die zum Beispiel in einem Brief an die Eltern gendern. Es ist zu vermuten: nichts. Die Regierung betonte am Dienstag, man werde alle Fälle einzeln abwägen. Es ist kaum vorstellbar, dass sich irgendjemand in Bayern erblödet, eine Lehrkraft wegen eines Sternchens zu entlassen.
Auch deshalb ist das Genderverbot der Sprachpolizist:innen in Bayern am Ende nicht ernstzunehmen. Es hilft niemandem, kostet nichts und gibt billigen Applaus von rechts. Es wird aber mit Sicherheit nicht dazu führen, dass junge Menschen Wert auf geschlechtergerechte Sprache legen.
PS: Ich gehe davon aus, dass mich zwischen 50 und 250 Mails von Leser:innen dieses Texts erreichen, die mir sagen möchten, dass sie es beschissen finden, dass watson gendert. Euch möchte ich das entgegnen, was man früher einmal auch in Bayern sagte: "Leben und leben lassen." Wir sind ein Nachrichtenportal für junge Menschen. In unserer Zielgruppe ist das Gendern längst Normalität. Wir verurteilen niemanden, der nicht gendern möchte, und möchten auch niemanden erziehen. Jeder soll schreiben, sprechen und lesen, wie man sich persönlich gut fühlt.