Es gibt ein Kompliment, mit dem man Menschen in Bayern eine große Freude macht – das aber im Rest Deutschlands fast jeder missversteht. "Ein Hund bist Du schon", sagt man südlich von Nürnberg anerkennend zu jemandem, der sich von niemanden austricksen lässt, der es faustdick hinter den Ohren hat. Und nach Markus Söders Auftritt am Dienstagabend bei Markus Lanz könnte man über den Franken, der vielleicht bald Bundeskanzler ist, auch einfach nur das schreiben: Ein Hund ist er schon, der Söder.
Ausführlicher und für alle Nicht-Bayern verständlich: Markus Söder hat, in die ZDF-Talkshow zugeschaltet, wieder einmal bewiesen, dass er sich sagenhaft gut verkaufen kann. Und das genau eine Woche, nachdem Armin Laschet, CDU-Chef, der bald eigentlich auch ganz gerne Kanzler wäre, sich an gleicher Stelle blamiert hat.
Wie Söder auf Lanz' ziemlich gute Fragen zu seiner möglichen Kanzlerkandidatur und zur Performance Laschets manchmal mit ausweichenden, oft mit doppeldeutigen Antworten reagiert hat, war eindrucksvoll. Ein Beispiel:
Söder: Mein Platz ist heute in Bayern.
Lanz: Heute. Und morgen?
Söder: Naja, ich werd' bald wieder nach Berlin fahren müssen, weil wir irgendwann Ministerpräsidentenkonferenz haben und wir natürlich auch eine Sitzung des gemeinsamen Fraktionsvorstandes haben. Also ich bin an beiden Orten präsent.
Lanz: Gehen Sie davon aus, dass auch nach September 2021 Ihr Platz in Bayern sein wird?
Söder: Ja, mein Platz ist überall in der Hinsicht. Denn egal, wie die Regierung sich bildet, wenn eine Regierung sich bildet mit der Union, bin ich als CSU-Vorsitzender auch automatisch, egal in welcher Funktion, eingebunden auch in den Koalitionsausschuss. Das heißt, man muss quasi als Ministerpräsident von Bayern und CSU-Vorsitzender, man muss überall mit uns rechnen.
Söder sagte diese Worte mit seinem üblichen Kanzlerfragepokerface, vor einem Hintergrundbild wie aus einem bayerischen Reisebüro (Wasserburg am Bodensee!), bei dessen Anblick jeder zweite lockdowngeplagte Nichtbayer vermutlich gedanklich schon auf dem Buchungsportal seines Vertrauens unterwegs war. Bei Markus Söder ist fast nie etwas Zufall.
Sicher auch nicht die kleine Gemeinheit, die er später bei der Lanz-Schalte über Armin Laschet erzählt hat. Der habe ihm vor der Sendung eine SMS geschrieben. Söder sagte darüber: „Er sagte, ich soll friedlich sein.“ Das ist keine beiläufig eingestreute Anekdote. Das ist eine Erzählung, mit der Söder ausdrücken will: Ich bin der Stärkere von uns beiden – derjenige, den der andere um Gnade bittet. Er meint dann über den CDU-Chef noch: "Er hat für sein Land die Verantwortung, und die nimmt er auch zu 100 Prozent wahr." Das ist nur eine diplomatische Floskel.
Inszenierung bis ins letzte Detail: Markus Söder mit einer bayerisch-patriotischen Mund-Nase-Bedeckung im Sommer 2020. Bild: dpa / Peter Kneffel
Söder, der Macher. Söder, der Corona-Checker. Söder, der Merkel-Fan, der die Linie der Kanzlerin vertritt und sie in Bayern konsequent umsetzt: Das ist das Image, das der bayerische Ministerpräsident seit Beginn der Pandemie gezielt aufgebaut hat. Auf diesem Image haben die lange sensationell hohen Beliebtheitswerte für ihn und die großartigen Umfragewerte für seine CSU aufgebaut haben. Dabei gibt es viel, das eigentlich gar nicht gut läuft für ihn.
Die Inzidenz liegt in Bayern über dem Bundesdurchschnitt (und über der in Armin Laschets NRW), im Sommer 2020 gab es teilweise ein regelrechtes Testchaos im Freistaat. Die CSU ist vom Maskenskandal um Landes- und Bundespolitiker, die sich an der Pandemie bereichert haben sollen, deutlich stärker betroffen als die CDU. Und auch die Christsozialen sind in den für sie wichtigsten Umfragen – denen zur Landtagswahl in Bayern – abgerutscht: Laut den Daten von GMS im Auftrag von Sat.1 verlieren sie sieben Prozentpunkte auf 40 Prozent.
Aber das wäre immer noch mehr als bei der vergangenen Wahl 2018. Und es sind nach wie vor traumhaft hohe Zahlen im Vergleich zur CDU in jedem anderen Bundesland. Von den bundesweiten Werten der Union ganz zu schweigen.
Söder kann sich eben verkaufen. Seine Sprache ist klarer als die von Laschet, seine Gestik und Mimik sicherer, seine Inszenierung bis ins scheinbar lächerlichste Detail geplant. Legendär bleibt die Szene aus dem Herbst, als Söder beim virtuellen CSU-Parteitag vor sich eine Tasse mit einer Aufschrift aus der Serie "Game of Thrones" platziert hatte: "Winter is coming" stand da, es war die Zeit, als die zweite Corona-Welle gerade anrollte. Söder goss sich heißen Tee ein, die Schrift verwandelte sich in "Winter is here".
Viele Beobachter und politische Gegner rollen bei so etwas nur noch mit den Augen, nennen es Klamauk, sind genervt von diesem Selbstinszenierer. Aber es funktioniert eben, bis jetzt zumindest.
Die Frage ist: Was macht Söder mit diesem Vorteil gegenüber Laschet, der am Dienstagabend bei "Lanz" so deutlich sichtbar wurde ist wie wohl nie zuvor? Wird er wirklich Kanzlerkandidat?
Sicher scheint: Söder wird erstens nur dann Kanzlerkandidat der Union werden wollen, wenn er glaubt, dass er die Wahl gewinnt. Und er wird es zweitens nur dann versuchen, wenn er ein deutliches Signal aus der Schwesterpartei CDU bekommt.
Zu Punkt eins sieht es momentan so schlecht aus wie seit Beginn der Corona-Krise nicht: Die Umfragewerte der Union sinken weiter, Grün-Rot-Rot oder eine Ampelkoalition zwischen Grünen, SPD und FDP scheinen so realistisch wie lange nicht mehr. Geht es so weiter, dann droht CDU und CSU erstmals seit 2005 wieder die Opposition. Markus Söder will nicht Wahlverlierer sein.
Zu Punkt zwei: Es gibt noch kein deutliches Signal, aber es gibt mehr und mehr CDU-Politiker, die nach Söder rufen. Es sind vor allem Hinterbänkler aus dem Bundestag. Noch.
Es gibt aber auch weitere gute Gründe, die gegen Söder als Kanzlerkandidat sprechen: Die CSU als Partei hätte viel zu verlieren, wenn er anträte, möglicherweise sogar ihre bayerische Sonderstellung, die sie seit Jahrzehnten selbstbewusst bis arrogant erst in Bonn und später in Berlin eingenommen hat (watson-Redakteur Lukas Weyell hat ausführlich aufgeschrieben, was gegen Söder spricht).
Sicher ist: Nichts von dem, was in den kommenden Monaten in Sachen Kanzlerkandidatur passieren wird, wird Söder dem Zufall überlassen. Der Mann ist ein Stratege. Jahrelang hat er, erst als CSU-Generalsekretär, dann als bayerischer Umwelt- und schließlich als Finanzminister darauf hingearbeitet, der erste Mann in der Partei und im Freistaat Bayern zu werden. Er hat ein hochprofessionelles Team für Öffentlichkeitsarbeit um sich aufgebaut, er hat Spitzen gegen seinen Vorgänger und Erzrivalen Horst Seehofer gesetzt und ihn zermürbt, bis der irgendwann aufgeben und ihm beide Chefsessel überlassen musste, den in der CSU-Zentrale und den in der Staatskanzlei in München.
Söder hat jahrelang erst den harten Konservativen gegeben, mit Spitzen zur Flüchtlingspolitik, die scharf an der Grenze zum rechten Populismus lagen. Dann, als er dabei war, auf diese Weise die Landtagswahl 2018 kolossal zu vergeigen, hat er über Klimaschutz und gegen die AfD gesprochen, sich für seine Wortwahl in der Asylpolitik entschuldigt. Die Wahl endete dennoch mit dem schlechtesten CSU-Ergebnis aller Zeiten. Und Söder war danach trotzdem mächtiger als jemals zuvor.
Denn der Punkt bei Söder ist ja auch: Er beherrscht seinen Job alles in allem ziemlich gut. Sogar politische Gegner in Bayern erkennen an, dass der Mann grundsätzlich weiß, wie man ein Ministerium und eine Staatskanzlei führt. Dass er sich fleißig einarbeitet in Themen, dass er persönlich integer ist und sich nicht bereichern will an der Politik. Söder will Macht, das unbedingt. Und ohne Macht lässt sich eben kein Land verändern, auch nicht in einer Demokratie.
Ein Hund ist er schon, in Bayern ist das eben als Kompliment gemeint. Ob man das auch im Rest von Deutschland verstehen wird?
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