Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD).Bild: www.imago-images.de
Meinung
29.06.2022, 17:1529.06.2022, 17:19
Die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) wird teurer. Für viele möglicherweise zu teuer – gerade in Zeiten, in denen das Leben ohnehin immer mehr kostet.
Der allgemeine Beitragssatz von 14,6 Prozent des Gehalts soll bleiben, steigen soll allerdings der Zusatzbeitrag, also der Beitrag, den Krankenkassen selbst obendrauf hauen können. Denn auch jetzt schon reicht den Krankenkassen das Geld nicht aus. Nach Angaben des GKV-Spitzenverbands fehlen den Krankenkassen für nächstes Jahr 17 Milliarden Euro. Schuld daran, so meint das der Verband, sei vor allem der Staat.
Ein staatliches Missmanagement also ausgetragen auf dem Rücken der gesetzlich Versicherten?
Ein Problem, das Gesundheitsminister Karl Lauterbach noch in dieser Legislaturperiode angehen muss. Am besten lieber heute als morgen. Noch besser: ohne Versicherungsnehmer mehr zu belasten.
Der bisherige Lösungsansatz des Ministers: eine Steigerung des durchschnittlichen Zusatzbeitrags in der Krankenversicherung 2023 um 0,3 Prozentpunkte. Die 0,3 Prozentpunkte kommen also auf den bisherigen Zusatzbeitrag on top. Bei der Barmer, der AOK oder der DAK liegt der zum Beispiel bei 1,5 Prozentpunkten – wie hoch, das wird den gesetzlichen Krankenkassen freigestellt. Das bedeutet also, gesetzlich Versicherte zahlen 16,4 Prozent ihres Bruttoeinkommens.
Das ist ein ganz schöner Batzen Geld. Geld, das viele Menschen in Deutschland nicht mal eben so locker flockig auf Tasche haben. Und es kann das Milliardenloch nicht einmal ansatzweise stopfen. Denn Lauterbach rechnet damit, dass die Erhöhung zwischen 4,8 und 5 Milliarden Euro einbringen soll. Mindestens 12 Milliarden Euro fehlen also immer noch.
Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD).Bild: dpa / Klaus-Dietmar Gabbert
Die Kassen haben eine andere Idee, wie das Geld wieder reinkommen könnte: Die Beiträge der Arbeitslosengeld-II-Empfangenden soll der Staat komplett tragen. Außerdem müssten die Steuern auf Medikamente und medizinisches Equipment gesenkt werden. Auch die Gewerkschaften sehen den Staat in der Pflicht.
Denn der Bund zahlt zu geringe Beiträge für Hartz-IV-Empfangende. Die Kosten der Kassen können so nicht gedeckt werden – sie zahlen drauf. Und damit die gesetzlich Versicherten.
"Tatsächlich sollten Medikamente aber ein bisschen mehr drauf haben, als nur zu wirken, wenn wir ganz fest bitte, bitte sagen."
Und ja, von einem Sozialstaat kann erwartet werden, auch für die Gesundheit seiner Bürgerinnen und Bürger mitzuzahlen. Gerade dann, wenn es ein Zwei-Klassen-Gesundheitssystem gibt. Denn Teil der Solidargemeinschaft sind nur gesetzlich Versicherte. Nicht die Privatversicherten, nicht die Beamten, nicht die Parlamentarier. Besserverdienende sind also oft nicht Teil der Solidargemeinschaft. Eine Bürgerversicherung könnte hier helfen: Alle zahlen in den gleichen Topf, alle erhalten die gleiche Versorgung.
Stattdessen zahlt für staatliches Missmanagement und Fehler der Vergangenheit nicht die Gesellschaft als Ganze, sondern nur jene, die bei einer gesetzlichen Krankenkasse versichert sind.
Im Ausgleich dafür bekommen gesetzlich Versicherte erst nach langer Wartezeit einen Termin beim Facharzt. Vom Psychotherapeuten ganz zu schweigen. Denn hier ist die Versorgungslage weiterhin mehr als dürftig. Vor allem, wenn sich die betroffene Person für ihr Seelenheil nicht auch noch in Geldprobleme stürzen will und auf die Unterstützung der Krankenkasse angewiesen ist.
Globuli sind ein beliebtes homöopathisches Mittel.Bild: picture alliance / Frank May
Was zusätzlich alle Versicherten der Solidargemeinschaft mitzahlen: Homöopathie. Homöopathie verfolgt den Ansatz, Gleiches mit Gleichem zu bekämpfen: Hergestellt werden die Mittel aus Mineralien, Pflanzen oder Tieren und Tierprodukten, die sehr stark verdünnt werden. Potenziert nennt sich das im Homöopathiesprech. So sollen sie gegen alle möglichen gesundheitlichen Probleme wirken. Wissenschaftliche Belege für die Wirksamkeit gibt es keine.
Jens Spahn sprach im 2019 von 20 Millionen Euro im Jahr, die Kassen für Globuli und Co ausgäben. Bei einem Gesamtvolumen von 40 Milliarden scheint das ein Pappenstiel zu sein – zumindest für Spahn damals kein Grund, etwas zu ändern.
Aber natürlich fallen auch 20 Millionen Euro ins Gewicht. Vor allem dann, wenn es sich, erstens, um das Versicherungsvermögen einer Solidargemeinschaft handelt und, zweitens, um Medikamente, die keinen Nutzen haben, der über den Placeboeffekt hinausreicht. Natürlich, der Glaube ist stark. Bilden wir uns ein, es geht uns besser, kann es uns tatsächlich besser gehen. Tatsächlich sollten Medikamente aber ein bisschen mehr drauf haben, als nur zu wirken, wenn wir ganz fest bitte, bitte sagen.
"Denn auch wenn Lauterbach die Probleme geerbt hat, ist es nun seine Aufgabe, sie zu lösen. Und zwar für die Bürgerinnen und Bürger und nicht auf ihrem Rücken."
Also ja, vielleicht sollte der Gesundheitsminister im ersten Schritt nicht die Versicherten zur Kasse bitten, sondern anfangen, den Laden aufzuräumen. Wofür braucht es etliche gesetzliche Krankenkassen mit all ihrer Bürokratie? Wo versickern die Milliarden, die den Kassen fehlen? Wieso übernimmt der Staat nicht die vollständigen Kosten für Hartz-IV-Empfangende?
Wenn die Beiträge erhöht werden, muss die logische Folge sein, dass Karl Lauterbach all die strukturellen Probleme anpackt und behebt. Und alles dafür tut, dass die Beiträge nicht auch 2024 weiter steigen. Denn auch wenn Lauterbach die Probleme geerbt hat, ist es nun seine Aufgabe, sie zu lösen. Und zwar für die Bürgerinnen und Bürger und nicht auf ihrem Rücken.
Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine hat die skandinavischen Staaten dazu gebracht, ihre Neutralität aufzugeben. Finnland trat im April 2023 der Nato bei. Im März 2024 folgte dann Schweden.