Unter dem Hashtag #LautgegenLaschet, #LaschetRuecktritt oder #LaschetVerhindern positioniert sich die Twitter-Gemeinde aktuell ganz deutlich gegen Nordrhein-Westfalens Ministerpräsidenten Armin Laschet. Tatsächlich lässt einen das Verhalten des CDU-Kanzlerkandidaten in den letzten Tagen fassungslos zurück. Sein Auftreten während der Hochwasser-Katastrophe dürfte endgültig gezeigt haben, dass dem CDU-Chef Klimaschutz so fremd ist wie der Union das Tempolimit.
Um das klarzustellen: Die Forschung konnte noch keinen kausalen Zusammenhang zwischen den Unwettern von letzter Woche und dem Klimawandel herstellen. Dennoch wird die Häufigkeit dieser Einzelereignisse in Folge der Erderwärmung künftig zunehmen. Es lässt sich demnach nicht vermeiden, die Diskussion um Deutschlands Klimapolitik im Rahmen der Katastrophe zu intensivieren.
Laschet hatte diesbezüglich den zukünftigen Kurs seiner Partei nie sonderlich ausgeschmückt. Erst im Juni äußerte er gegenüber der "Bild am Sonntag": "Die Energiewende muss sozialverträglich sein. Das fehlt mir bei den Grünen (…) 70 Euro mehr für einen Mallorca-Flug können sich Besserverdienende locker leisten, für so manche Familie aber kann das den Traum vom Sommerurlaub beenden." Konkret stellte er sich gegen eine CO2-Steuer im Verkehr, die Geringverdienende am härtesten treffen würde.
Luisa Neubauer analysierte daraufhin diese Aussagen umfassend in ihrem Instagram-Video "Klimaschutz ist unsozial (not)". Nicht nur sie fragte sich, wie es in Deutschland dazu kommen konnte, dass ein vermeintlich so geringer Betrag über den Sommerurlaub einer Familie entschiedet.
Natürlich drängt sich an dieser Stelle der Vergleich mit der Reichensteuer und den steigenden Mieten auf. Wo war denn Laschets Support für die Finanzschwachen, als kürzlich der Berliner Mietendeckel gekippt wurde? Wenn der CDU-Chef den Klimawandel instrumentalisiert, um angeblich Politik für die Armen zu machen, während die Agenda seiner eigenen Partei die gefährliche Entwicklung aktiv vorantreibt, darf man sich durchaus als für dumm verkauft vorkommen. Die Folgen der Klimakatastrophe werden vorwiegend die strukturell Benachteiligten ausbaden müssen. Zu behaupten, weniger Klimaschutz sei sozialverträglicher, ist deshalb schlichtweg "verlogen", kommentierte auch Neubauer diese Strategie.
Mit dem Hochwasser kam der Moment, in dem Armin Laschet hätte Stellung beziehen und den Kurs ändern können. Als er gesehen hat, dass die Folgen der Erderwärmung direkt vor seiner Haustür Einzug halten, hätte er das Narrativ wechseln können. Stattdessen schaltete er in den Wahlkampfmodus und entschied sich für den opportunistischen Weg. Innerhalb eines Tages änderte er dreimal seine Meinung in Sachen Klimaschutz.
Am Donnerstagmorgen sagte er in einer Pressekonferenz zur Hochwassersituation: "Wir werden immer wieder mit solchen Krisen konfrontiert werden." Deshalb sei es offensichtlich, dass wir "bei den Maßnahmen zum Klimaschutz mehr Tempo brauchen – europäisch, bundesweit, weltweit". Kurze Zeit später wollte er im Interview mit der "Aktuellen Stunde" davon nichts mehr wissen.
Moderatorin Susanne Wieseler fragte ihn, auch bezugnehmend auf seine Äußerungen vom Morgen, ob er "tatsächlich neue Erkenntnisse gewonnen, neue Einsichten, ein anderes Bewusstsein durch diese Jahrhunderthochwasser, das viele Leid", gewonnen hätte. Seine Antwort: ein diplomatisches Nebelstochern und Politiker-Blabla, gefolgt von einem Schlag in die Magengrube aller Betroffenen dieser Unwetterkatastrophe: "Entschuldigung, weil jetzt so ein Tag ist, ändert man nicht die Politik."
Vielleicht auch wegen des Shitstorms, dem er kurz danach in den sozialen Netzwerken ausgesetzt war, änderte er seinen Kurs am Abend erneut, als er in die Sendung von Maybrit Illner zugeschaltet war. "Wir müssen jetzt Wege finden, wie wir hier ganz schnell alles wieder in Gang setzen," kommentiert er die Situation. Er spricht von NRWs Vorreiterrolle in Sachen Klimaschutz, dass sein Bundesland vor allem beim Kohleausstieg als Vorbild dienen könne. Auf diese Äußerung folgten bereits mehrere Analysen, die dieses Statement zumindest fragwürdig erscheinen lassen. Analysen, die zeigen, dass die Korrektheit seiner Aussage in Abhängigkeit zu den Zahlen steht, die man dieser Bewertung zugrunde legt.
Mit seinem Auftritt in Erftstadt hat er schließlich ganz Deutschland bewiesen, wie es um seine Ernsthaftigkeit bezüglich der Hochwasser-Katastrophe bestellt ist. Die Empörung darüber wurde so laut, dass sich nicht nur die Social-Media-Bubble echauffierte. Die Kritik zog durch Polittalks und Whatsapp-Gruppen gleichermaßen wie auf die Titelseiten der Tageszeitungen. Sogar international sorgte der Fauxpas für Aufsehen, der britische Guardian brachte die Story als Aufmacher.
Das muss man auch erstmal sacken lassen: Während der Bundespräsident im landesweiten Fernsehen mehr als hundert Tote in Folge einer Flutkatastrophe zu beklagen hat, Tausende ihre Existenz, ihr Zuhause verloren haben, lacht sich der Spitzen-Kanzlerkandidat der Regierungspartei im Hintergrund kaputt. Die knappe Entschuldigung folgte auf Twitter. Diese war zwar richtig und notwendig, allerdings ähnlich unangenehm wie die Aktion selbst. Die unglückliche Formulierung erweckt den Eindruck, dass er weniger das unangemessene Verhalten an sich bereue, sondern mehr den Umstand, dass er dabei gefilmt wurde.
Wankelmütigkeit in der Politik, Inkonsistenz in seinen Aussagen und fehlendes Empathievermögen, keine optimalen Charaktereigenschaften fürs Kanzleramt. Das war’s, könnte man denken. Niemals kann der Mann aus NRW nach diesen Aktionen noch Kanzler werden. Aber stimmt das?
Wir sollten nicht vergessen, dass eine Debatte über Fußnoten es erst kürzlich geschafft hat, die Maskenaffäre der CDU komplett aus dem öffentlichen Diskurs zu verdrängen. Wenn fehlende Quellenangaben schwerer gewichtet werden als die private Bereicherung von Abgeordneten durch ihr politisches Amt, hat sich jegliche Objektivität aus der öffentlichen Diskussion verabschiedet. Am Ende bleibt abzuwarten, welche Skandale in den nächsten zwei Monaten noch auf uns zukommen und wie nachhaltig sie in den Köpfen hängen bleiben.
Klar ist, dass Deutschland allein die Klimakatastrophe nicht aufhalten können wird. Darum geht es bei der bevorstehenden Wahl allerdings auch nicht primär. Ziel sollte es sein, eine Klimapolitik anzustreben, die nicht an der Landesgrenze aufhört. Um andere mitzureißen, muss irgendjemand ein klares Zeichen setzen und den ersten Schritt gehen. Deutschland steht kurz davor, dieser jemand sein zu können. Wenn wir weiter eine klimafeindliche Agenda verfolgen, senden wir ein unmissverständliches Zeichen von Gleichgültigkeit an die Regionen dieser Erde, die am stärksten von Hitzewellen und Fluten betroffen sind.
Klimaschutz steht für Gerechtigkeit, für Solidarität mit den Betroffenen und für die Lebensgrundlage nachfolgender Generationen. Wenn Armin Laschet nicht einmal den Betroffenen von Unwetterkatastrophen in seinem eigenen Bundesland angemessen begegnen kann, welche Ernsthaftigkeit wird er dann den globalen Ausmaßen des Klimawandels entgegenbringen? Allerspätestens am 26. September muss man sich schließlich fragen: Können wir uns vier Jahre CDU noch leisten? Und diejenigen, denen unser Planet nur ein bisschen am Herzen liegt, müssen diese Frage ehrlicherweise mit Nein beantworten.