"Ihr interessiert euch doch alle nicht mehr für Politik", "Du willst doch eh nur Influencer werden". Das sind Sätze, die die junge Generation heute häufiger zu hören bekommt. Doch die Wahrheit ist: Viele von ihnen wollen politisch etwas verändern. Sie werden nur nicht gehört. Es fehlt an Mitspracherecht.
Das hat sich Familienministerin Lisa Paus (Grüne) auf die Fahnen geschrieben. Sie versteht sich als die Lobby der Jugend in der Politik, unterstützt Foren wie die JugendPolitikTage oder hat das "Bündnis für die junge Generation" ins Leben gerufen.
Doch viele junge Menschen wollen nicht auf die Politik warten. Sie wollen selbst etwas verändern – und zwar jetzt.
Ein Start-up, das einige von ihnen mit Fördergeldern, ihrem Netzwerk und Expertise unterstützt, ist Join Politics – eine Art Starthilfe für junge Menschen, die in der Politik etwas bewegen wollen.
Watson hat mit drei jungen Menschen über ihre Visionen und Vorhaben gesprochen.
Fast die Hälfte der Stuttgarter Bürger:innen hat eine Migrationsgeschichte. Gleichzeitig sitzen im Gemeinderat nur etwa 15 Prozent Menschen aus Einwandererfamilien. Dieses Ungleichgewicht will Mehmet Ildeş ändern. Der 22-Jährige studiert Wirtschaftswissenschaften, seine kurdischen Eltern sind 1999 aus der Türkei nach Deutschland gekommen.
Nachdem sein Vater plötzlich starb – Mehmet war damals elf Jahre alt – rutschte seine Familie in die Armut, sie zogen in eine Sozialwohnung. Seine Mutter war plötzlich alleinerziehend. Da hat Mehmet gemerkt, dass er von der Politik und der Gesellschaft nicht mehr gesehen wurde. "Ich hatte das Gefühl, dass mir keiner zuhört und mir auch keiner helfen will", erzählt er. Dazu kamen etliche Rassismuserfahrungen.
Durch seinen damaligen Politiklehrer wurde Mehmet auf den Jugendgemeinderat in seiner Heimatstadt Stuttgart aufmerksam. Seitdem engagiert er sich dort. Doch das reichte ihm nicht: Er wollte auch in der Politik was verändern. "Damit Menschen mit Migrationsgeschichte wirklich gehört werden, müssen auch mehr von ihnen in der Politik arbeiten", findet der 22-Jährige.
Deshalb hat er den Verein "Local Diversity" gegründet. Damit wird er durch das Start-up Join Politics gefördert. Mit Local Diversity will Mehmet an Schulen für politische Themen sensibilisieren und auf die Möglichkeit aufmerksam machen, als Person mit Migrationsgeschichte politisch aktiv zu werden.
"Klar will ich auch bundesweit was verändern, aber dafür müssen wir uns erst einmal kommunal Gehör verschaffen und uns so nach oben arbeiten", betont Mehmet.
Lukas Pohland ist 18 Jahre alt und kämpft gegen Cybermobbing. Nachdem er als Jugendlicher selbst zur Zielscheibe von Angriffen über das Internet geworden ist, gründete er den gemeinnützigen Verein Cybermobbing-Hilfe e. V. "Ich habe selbst die Erfahrung gemacht, dass man als betroffene Person nicht die Hilfe bekommt, die man sich wünscht", erzählt Lukas.
Gestartet ist der Verein als reine Beratungsstelle. Mittlerweile leistet das Team um Lukas aber auch Präventionsarbeit, geht beispielsweise an Schulen, klärt auf und bietet Online-Beratungen an. Aber auch Lukas selbst ist Experte auf dem Gebiet. Er wird häufig in Talkshows oder zu Podiumsdiskussionen, wie etwa zuletzt auf der Re:publica-Messe gemeinsam mit Familienministerin Lisa Paus (Grüne), eingeladen.
Doch die aktuelle Rechtsprechung stört Lukas. Cybermobbing wird derzeit nur selten bestraft, häufig höchstens als einfache Beleidigung geahndet. Das will der 18-Jährige ändern: "Mobbing im Netz gehört bestraft", fordert er. Das Strafgesetzbuch müsse endlich an das digitale Zeitalter angepasst werden. "In Deutschland wurde Digitalisierung bisher nur als Infrastruktur-Thema gesehen. Aber dabei wurde vergessen, die soziale Komponente mitzudenken", sagt Lukas.
Als positives Beispiel führt er das Nachbarland Österreich an. Dort wird Cybermobbing seit vielen Jahren als Straftatbestand geführt. In den Niederlanden ist sogar die Prävention an Schulen verpflichtend.
Julian Emde ist Mitte 30 und Mitglied von "BAM! Bock auf Morgen". Bei der Firma ist der Name Programm: Sie wollen "Bock auf Morgen" machen, Bock auf eine positive Zukunft – und setzen dabei auf Nachhaltigkeit. Das Team aus acht Leuten berät andere Unternehmen in Sachen Nachhaltigkeitsstrategien und will so Greenwashing den Kampf ansagen.
"BAM! Bock auf Morgen" ist aus dem Verein Bündnis für Klimapositives Verhalten e.V. entstanden.
Das Besondere: Anstatt auf die Politik mit entsprechenden Gesetzen und Regularien zu warten, hat sich eine Art Community, eine Lobby, zusammengeschlossen, die das Thema selbst in die Hand nimmt. Sie wollen selbst neue Gütekriterien entwickeln, selbst politisch denken und handeln.
Denn Julians Auffassung ist: "Gesetze zu schaffen, ist Sache des Gesetzgebers. Sie mit Leben zu füllen und anzuwenden, die Sache jeder:s einzelnen." Er ist der Meinung, dass eine nachhaltige Zukunft nur möglich ist, wenn jede:r – und dabei vor allem Männer – sinnbildlich die Hose runterlässt und sich selbst hinterfragt: Was ist der eigentliche Grund, warum ich wie agiere?
Deshalb legen sich "BAM! Bock auf Morgen" und die anderen Unternehmen der Community bewusst engere Bandagen an als nötig, wie es Julian beschreibt, um "Verbote und Vernunft wieder sexy" zu machen. Ein Gegenentwurf zum bloßen Profit, der meist die Marktwirtschaft regiert.