Deutsche Politiker:innen iranischer Herkunft beschäftigen in den vergangenen Wochen zwei Politikfelder. Ihre Fachthemen als Abgeordnete, Referent:innen oder Repräsentant:innen ihrer Partei oder ihres Mandats. Und: das Dauer-Thema Iran.
Sie sprechen auf Solidaritätskundgebungen oder auf Versammlungen ihrer Partei zu den Geschehnissen in dem Land, in dem sie oder die Eltern geboren sind. So auch Grünen-Chef Omid Nouripour kürzlich auf dem Parteitag der Grünen. "Sei meine Stimme", war seine Forderung, stellvertretend für die Frauen im Iran.
In allen Parteien finden sich Politiker:innen mit Iran-Bezug. Watson hat mit einigen von ihnen gesprochen.
Der SPD-Politiker Danial Ilkanipour ist in Deutschland geboren. Seine Eltern kommen aber aus dem Land, in dem seit mehr als einem Monat Proteste das Regime herausfordern. Den Kontakt zur Familie hat er bewusst seitdem abgebrochen: "Ich möchte niemanden gefährden." Er äußert sich klar zum Thema Iran. So auch in seiner emotionalen Rede im Plenum der Hamburgischen Bürgerschaft. Seit 2015 ist er Mitglied im Hamburger Landesparlament.
Seit mehr als vier Wochen herrsche eine Ausnahmesituation, für Menschen, die auf irgendeiner Weise einen iranischen Bezug haben. Der 41-Jährige sagt im Gespräch mit watson:
Das Erste, was er morgens macht und das Letzte, was er abends tut, ist auf Twitter Nachrichten von den Protesten zu verfolgen. Da er kein Persisch lesen kann, ist er auf Journalist:innen wie Natalie Amiri oder Gilda Sahebi angewiesen, die auf Deutsch von den Protesten berichten.
Und wenn er davon liest, Bilder oder Videos sieht, löst es "ein komplettes Wirrwarr an Gefühlen" bei ihm aus: Trauer und Wut.
Hoffnung, weil jetzt "ein sehr spezielles Zeitfenster" bestehe. Es brauche "maximalen Druck", damit erstens "die Bevölkerung im Iran sehe, auf welcher Seite die EU und die deutsche Regierung stünden.
Und zweitens, damit "die Machthaber erkennen, dass sie es nicht aussitzen können, dass sie diesmal nicht damit durchkommen". Ilkhanipour fordert Sanktionen, die nicht die Bevölkerung treffen, wie Sanktionen zuvor, sondern sehr konkret die Machthaber. Er sagt:
Hoffnung darauf hat er allerdings wenig. "Das sehe ich, stand heute, noch nicht." Dabei sei von der Bundesregierung, konkret von Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne), eine werteorientierte Außenpolitik, statt einer interessengeleiteten, ausgerufen worden.
Das begrüßt der SPD-Mann und fügt hinzu: "Wir brauchen eine neue Iran-Politik, so wie wir eine neue Russland-Politik haben." Sonst liefen Deutschland und Europa Gefahr, ihre Integrität und Glaubwürdigkeit auf lange Sicht zu verlieren.
Bahar Haghanipour ist in Teheran geboren und in Berlin aufgewachsen. Die Politikerin ist seit 2021 Vizepräsidentin des Berliner Abgeordnetenhauses. Sie macht sich große Sorgen um die Demonstrierenden.
Wer dort gerade protestiere, riskiere "Verfolgung, das eigene Leben, die Sicherheit von Freund:innen und Verwandten – das ist in Deutschland kaum vorstellbar". Die Proteste verfolgt sie über die Nachrichten und über Instagram. Sie sagt:
Neben der Aufmerksamkeit für die Aktivist:innen könne dadurch der Druck auf die iranischen Machthaber verschärft werden.
Doch zuerst müsse sichergestellt sein, dass neben der politischen auch geschlechtsspezifische Verfolgung, etwa durch diskriminierende Kleidungsvorschriften, im Asylverfahren anerkannt würden. "Denn im Iran werden Frauenrechte systematisch missachtet und verletzt. Frauenrechte sind Menschenrechte und diese sind nicht verhandelbar."
Ebenso wie das Asylrecht – Haghanipour fordert: schnellere Vergabe für humanitäre Visa, einen sofortigen Abschiebestopp in den Iran, die Aufhebung von Einreisesperren für diejenigen, die in den Iran abgeschoben wurden. Aus dem Iran geflohene Menschen sollten "nicht nur eine Duldung bekommen, sondern ein Bleiberecht".
Bezogen auf das gewaltsame Vorgehen des Regimes gegen die Demonstrierenden fordert die Grünen-Politikerin unabhängige Untersuchungen und, dass "die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden".
Die Demonstrierenden hätten den Wunsch nach Demokratie, Freiheit, Gleichberechtigung und nach einem selbstbestimmten Leben. "Diese Menschen brauchen unseren Rückhalt." Haghanipour fordert deshalb von den Menschen in Deutschland:
In den vergangenen Jahrzehnten sei es häufig zu Protesten gekommen, "eine Mobilisierung in diesem Ausmaß sehen wir aber zum ersten Mal". Die Politikerin wünscht sich, dass die "Bestrebungen nach politischer, gesellschaftlicher und religiöser Freiheit, nach einem selbstbestimmten Leben und Demokratie fruchten".
Der Linken-Politiker Niema Movassat war zwölf Jahre Abgeordneter im Bundestag. Bis 2021 hat er seinen Wahlkreis im Ruhrgebiet vertreten – 2021 trat er nicht mehr an. Ein Großteil der erweiterten Verwandtschaft des 38-Jährigen lebt im Iran.
Kontakt kann er aus zwei Gründen kaum oder gar nicht halten: Wegen des gedrosselten Internets. Außerdem schränkt er seine Kommunikation selbst ein: "Ich gehe fest davon aus, dass das iranische Regime die Kommunikation ins Ausland überwacht", sagt er gegenüber watson.
Täglich beschäftigt ihn die Lage: "Politisch ist es de facto das einzige Thema, was in meinem Kopf ist." Zu schrecklich und brutal sei das Vorgehen des Regimes. Movassat wolle sein Bestes tun, damit "die Stimme der Menschen im Iran Gehör findet und die hiesige Politik gezwungen wird, sich mit der Situation vor Ort zu befassen."
Bislang sei dies nicht genug geschehen – so sei es "eine Schande, dass etwa Kanzler Scholz sich bisher nur ein einziges Mal zur Situation im Iran geäußert hat." Die politischen Entscheidungen gingen nicht weit genug. "Wir brauchen mehr als die Sanktiönchen, die gerade verabschiedet wurden." Movassat fordert den Stopp der Atom-Verhandlungen.
An der Breite der Protestbewegung sieht er die Chance für Veränderungen. Der ehemalige Bundestagsabgeordnete sagt: "Ich habe die Hoffnung, dass diese Massivität der Proteste am Ende zum Sturz der Mullahs führt und dass der Iran eine Chance auf ein demokratisches System bekommt."