
Eva zu Beck, Influencerin aus Polen, steht im Hof der Ummajaden-Moschee in Damaskus. Bild: Eva zu Beck /dpa
Reportage
Während in einigen Gebieten in Syrien noch heftig gekämpft wird, entdecken die ersten Touristen wieder das Bürgerkriegsland. Sie machen Selfies in Ruinen. Für einen Deutschen endet der Ausflug in einem Militärgefängnis.
23.12.2019, 13:5323.12.2019, 13:53
Simon Kremer, dpa
Im Niemandsland, kurz bevor sie das Bürgerkriegsland
erreicht, kommen der Influencerin Zweifel. Ob sie wirklich
reingelassen wird? Die Kamera wackelt wie in einem Agentenfilm. "Ich
könnte nicht aufgeregter sein", sagt Eva zu Beck in die Kamera.
Knapp
50 Kilometer sind es noch bis Damaskus. Häuser und Moscheen fliegen
am Autofenster vorbei. "Ein Land, seit acht Jahren von einer blutigen
Krise zerrissen. Syrien hat seit fast zehn Jahren keine Touristen
mehr ins Land gelassen. Ich bin eine der ersten." Dann ein Schnitt – auf einen quirligen Markt in bunten Farben in Damaskus.
23 Dollar kostet die Fahrt ins Bürgerkriegsland. Auch ein deutscher
Reisender, der unerkannt bleiben möchte, hat sich in Beirut in ein
Taxi gesetzt und ist mit anderen Reisenden über die Grenze zwischen
dem Libanon und Syrien gefahren. "Es war surreal", erzählt er am
Telefon aus Singapur. "Ich habe mich gewundert wie normal alles ist."
Drei Tage bleibt der 34 Jahre alte Deutsche in Damaskus und schwärmt
später auf Youtube in Videos von der Schönheit der Altstadt und der
Freundlichkeit der Menschen. Kein Wort von den Bomben im Norden des
Landes, den Militärsperren in der Stadt oder den Flüchtlingen.
Neuer Reisetrend: Bürgerkrieg
Acht Jahre nach Beginn eines blutigen Bürgerkrieges mit mehr als
einer halben Million Toten entdecken immer mehr Ausländer Syrien.
Nicht als Entwicklungshelfer, sondern als Touristen. In den
vergangenen Monaten stellten mehrere internationale Influencer Fotos
und Videos auf Instagram und Youtube. Reiseagenturen aus Russland und
China bieten wieder Touren nach Syrien an.
Untermalt von sanftem Gitarrenzupfen schreitet ein Paar Turnschuhe in
Zeitlupe über weißes Geröll. Eine filigrane Frauenhand mit
schmuckvollen Ringen streift über einen Steinhaufen, dann in
Nahaufnahme über eine schwarze Eisentür – und ein Einschussloch. Mehr
als eine Million Menschen haben die Videos von Eva zu Beck alleine
auf Youtube in den letzten Monaten gesehen.
Dann ein Schnitt. Man hört Hämmern und Bohren. Eva steht lachend in
den Ruinen des komplett zerstörten alten Marktes von Aleppo, der auf
der Roten Liste des gefährdeten Weltkulturerbes steht. "Die Wahrheit
ist, es ist viel Zerstörung hier, wir gehen hier durch eine
Geisterstadt", sagt die in England studierte Polin. "Aber", sagt die
28-Jährige dann, "aus der Asche entsteht ein neues Morgen."
Sie habe sich zum Teil viel Kritik anhören müssen, erzählt Eva, als
sie sich gerade in Saudi-Arabien aufhält. Die junge Influencerin, die
in den sozialen Netzwerken fast eine Million Abonnenten und Follower
hat, hat nicht die üblichen Reisedestinationen. Ihre letzten
Aufenthalte waren unter anderem Irak, Jemen und eben Syrien.
"Ich bin keine Abenteurerin, ich will mit den normalen Menschen auf
der Straße in Kontakt kommen", erzählt sie. Das habe nichts mit
Voyeurismus oder Propaganda zu tun. Auf einem Flug von Dubai habe sie
neben einem Syrer gesessen, der ihr erzählt habe, dass er gerne
wieder zurück wolle, es aber nicht könne. Sie dagegen könne als
Ausländerin bestimmt einreisen. "Küss Aleppo für mich", habe er Eva
gesagt. Und dann sei sie im Frühjahr dieses Jahres nach Syrien
gereist. Auch die meisten Kommentare unter den dabei entstandenen
Videos sind eher positiv – auch von Syrern.
Kein Touristenboom in Syrien
Trotz der immer häufiger werdenden Berichte vorwiegend junger
Reisender im Internet, hat der Tourismus in Syrien noch nicht wieder
Fahrt aufgenommen. Er bekomme zwar jeden Tag Anfragen, aber
tatsächlich kommen würden dann nur einzelne, schreibt Chaldun
al-Alami aus Damaskus, der mit seinem Reisebüro Golden Target Tours
den Trip für Eva zu Beck organisiert hatte. Es seien Leute aus
England, Italien, Frankreich, viele US-Amerikaner, die sich für
Syrien interessierten. "Vielleicht fünf Deutsche." Die Lage sei nicht
mit 2010 vergleichbar, als 8,5 Millionen Touristen gekommen seien,
aber es gehe langsam wieder aufwärts, sagt al-Alami.
Auch einzelne Reisebüros aus China und Russland bringen sich
allmählich in Stellung und bieten auf ihren Internetseiten Reisen an.
Young Pioneer Tours aus China etwa hat nach eigenen Angaben für 2020
vier Touren geplant. Die Reisenden seien Leute, die die ersten
irgendwo sein wollen. Die Agentur bietet unter anderem auch eine
Reise zu einer Waffenmesse in Jordanien an. "Es ist die perfekte
Zeit, jetzt Syrien zu besuchen", sagt John McGovern vom Reisebüro auf
Anfrage.
Aber ist es das wirklich?
Die Bilder, die die meisten Influencer im Internet hochladen, sehen
ähnlich aus wie die Videos, die auch das syrische
Tourismusministerium veröffentlicht: Geschichtsträchtige Altstädte,
bunte Märkte, lange Strände, leckeres Essen. Nur wenige sprechen wie
Eva auch die Zerstörungen an. In einer geschlossenen Facebook-Gruppe
für Weltreisende entbrannte vor einigen Tagen ein Streit darüber, ob
es ethisch vertretbar sei, in jedes Land zu reisen. Die meisten waren
sich einig: natürlich. Reisen sei keine Politik.
In dem Forum findet sich aber auch ein Eintrag des deutschen
Reisenden Felix. Er beschreibt dort, wie er im November vergangenen
Jahres von der Polizei in Damaskus festgenommen worden sei, als er
ein Foto machen wollte. Es habe damit geendet, dass er mit einer
Augenbinde in einem Auto des Geheimdienstes gelandet und fünf Tage
verhört worden sei. Er habe Hunderte Syrer in dem Gefängnis gesehen,
die gefoltert worden seien. Trotzdem schreibt er: "Die meisten
Besuche nach Syrien werden in Ordnung sein." Und er freut sich, dass
seine Fotos nicht gelöscht wurden.
"Krank und empathielos"
Für den deutschen Forschungsassistenten am Nahost-Institut in Beirut,
Konstantin Rintelmann, ist Tourismus in Syrien schwierig. Man könne
nur nach gründlicher Absprachen mit den Behörden und durch staatlich
geprüfte Reiseunternehmen ins Land, sagt er. "Durch die selektiven
Kameras der Influencer kann die Regierung das Narrativ vermitteln,
Assad sei der einzige Garant für Frieden und Stabilität", sagt
Rintelmann mit Blick auf den syrischen Präsidenten Baschar al-Assad.
Die Videos der Influencer und des syrischen Tourismusministeriums
haben wenig gemein mit dem Film, den Sulaiman Tadmory in Syrien
gedreht hat. In dem Dokumentarfilm "Homs und ich" beschreibt der
inzwischen in Deutschland lebende Filmemacher, wie er zufällig in der
Stadt Homs eingeschlossen wurde und anschließend die fast
vollständige Zerstörung der Stadt durch die Truppen der syrischen
Regierung hautnah miterlebt.

Homs im Jahr 2017.Bild: imago images / ZUMA Press
"Natürlich gibt es Straßen in Damaskus, wo ganz normales Leben ist",
erzählt Tadmory. "Aber nur da, wo Präsident Assad die Kontrolle hat.
Und wenn ich etwas gegen ihn gesagt habe, dann darf ich nicht
zurück."
Auch ein interner Lagebericht des Auswärtigen Amtes hielt
vor kurzem fest, dass es nach Einschätzung der Bundesregierung keine
Region gebe, in die Flüchtlinge ohne Risiko zurückkehren könnten.
"Wenn jetzt solche Influencer sagen 'Hier in Syrien ist alles toll
und kommt hierhin zum Urlaub machen', dann ist das krank und
empathielos", sagt Tadmory. "Ich kann nämlich nicht zurück."
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