Russische Einsatzkräfte gehen nach den Massenprotesten gegen die Inhaftierung des Kremlgegners Alexej Nawalny weiter teils mit roher Gewalt gegen regierungskritische Aktivisten vor. In St. Petersburg und in der Pazifik-Metropole Wladiwostok gab es am Samstag mehrere Festnahmen und massenhafte Hausdurchsuchungen, wie in mehreren unabhängigen Portalen im Internetkanal Telegram zu lesen und auf Fotos und Videos zu sehen war. Allein in St. Petersburg gab es 30 Einsätze, wie die Polizei mitteilte.
Betroffen waren vor allem Unterstützer Nawalnys, darunter auch bei der Organisation Offenes Russland (Otkrytaja Rossija) des im Ausland lebenden Kremlkritikers Michail Chodorkowski. Der frühere Ölmanager gehört zu den finanzstarken Gegnern des russischen Präsidenten Wladimir Putin.
In St. Petersburg waren viele Straßen am Samstag über Stunden mit Absperrgittern abgeriegelt. Die Lage ähnele einer Stadt im Ausnahmezustand, die sich auf einen Überfall vorbereite, berichtete das örtliche Nachrichtenportal fontanka.ru. Es standen Hunderte Polizisten bereit. Der Grund für das ungewöhnliche starke Sicherheitsaufgebot sei unklar, hieß es.
Zwar hatte es zuletzt auch in Putins Heimatstadt St. Petersburg Demonstrationen für die Freilassung Nawalnys gegeben. Das Team des Oppositionellen hatte allerdings auch angesichts der mehr als 10.000 Festnahmen der vergangenen Tage und wegen überfüllter Gefängnisse erklärt, vorerst auf Proteste zu verzichten. "Bleibt frei!", hatte Nawalny bei Instagram mitteilen lassen.
Für Entsetzen sorgte der Fall eines stummen Mannes, der an Protesten in St. Petersburg teilgenommen und Parolen geschrien haben soll. Ein Gericht habe den Schwerbehinderten, der auch kaum hören könne, nach seiner vorübergehenden Festnahme zu einer Geldstrafe verurteilt, berichtete das Menschenrechtsportal Apologija Protesta.
Vielerorts beschlagnahmten die Beamten Technik und Mobiltelefone. Anwälte kritisierten, dass sich die maskierten Einsatzkräfte teils weder vorgestellt noch etwas zu den Vorwürfen gesagt hätten. In Wladiwostok im äußersten Osten des Landes wurde der Journalist Gennadi Schulga bei sich zuhause festgenommen – und vor einem Fressnapf für Haustiere mit dem Kopf auf den Boden gedrückt. Die Polizei veröffentlichte das Video ohne Zustimmung Schulgas – als Abschreckung für Andersdenkende im Land, wie Kommentatoren meinten.
(se/dpa)