Russland
09.09.2019, 05:5109.09.2019, 07:36
Nach dem Ausschluss Dutzender Oppositioneller
haben Moskau und andere Regionen Russlands neue Volksvertreter
gewählt. Beobachter sprachen am Sonntag bei teils geringer
Wahlbeteiligung von zahlreichen Verstößen bei der Abstimmung in den
85 Regionen des Landes.
- Auf Twitter kursierte ein Video, das einen Mann in der russischen Stadt Puschkin zeigen soll. Der Mann wirft ungestört gleich mehrere Briefumschläge in die Wahlurne. Das Video sorgt bei vielen Russen auf Twitter für Empörung.
- Die Wahlen auf regionaler und kommunaler Ebene gelten als wichtiger Stimmungstest für Kremlchef Wladimir Putin und die Regierungspartei Geeintes Russland. Die Kremlpartei will ihre Macht trotz schlechter Umfragewerte verteidigen.
In der
Hauptstadt schlossen die Wahllokale um 19.00 Uhr MESZ.
Die Ergebnisse
- Die Kremlpartei konnte nach Angaben der Wahlleitung in den meisten Regionen ihre Mehrheit der Abgeordnetenmandate verteidigt.
- Nach dem Ausschluss Dutzender Oppositionskandidaten holte die regierende Partei Geeintes Russland im umkämpften Moskauer Stadtrat 25 der 45 Sitze.
- Zwei Kandidaten der Kremlpartei verloren ihre Mandate. Von der gemäßigten Oppositionspartei Jabloko siegten drei Kandidaten in der größten Stadt Europas. Unter ihnen war der prominente Politiker Sergej Mitrochin, der sich vor Gericht eine Zulassung erstritten hatte. Die übrigen Abgeordneten kommen von den Kommunisten und anderen systemtreuen Parteien.
- Bei den für den Kreml besonders wichtigen Gouverneurswahlen bekamen die Kandidaten des Machtapparats überall den Sieg zugesprochen. Umfragen hatten der Kremlpartei wegen der Unzufriedenheit über die wirtschaftliche Lage im Land teils massive Verluste vorhergesagt. In der Region Chabarowsk an der Pazifikküste kam die Partei nur auf 12,51 Prozent der Stimmen - nach der ultranationalistischen Liberaldemokratischen Partei Russlands und den Kommunisten.
Insgesamt waren 56 Millionen Wähler zur Stimmabgabe aufgerufen –
das ist fast die Hälfte der Wahlberechtigten Russlands. Die
Wahlbeteiligung war in einigen Region niedrig. In Moskau stimmten bis
zum frühen Abend lediglich 17 Prozent der Wähler ab. Die Abstimmungen
gelten auch als wichtiger Stimmungstest vor der Parlamentswahl 2021.
Das Innenministerium betonte, dass der Wahltag ruhig verlaufen
sei. Zwar seien ihnen mehr als 300 Verstöße gemeldet worden. Dies
werde jedoch keinen Einfluss auf das Wahlergebnis haben, teilte das
Ministerium mit.
Auch die Beobachter der Menschenrechtsorganisation Golos
berichteten von Hunderten Manipulationsversuchen und Behinderungen
ihrer Arbeit. Der Pressesprecher von Golos sei ohne Angaben von
Gründen festgenommen worden, teilte die Organisation mit. Zudem
wurden nach Angaben des Bürgerportals OWD-Info mindestens 16 Menschen
festgenommen, darunter Journalisten, ein Kommunalpolitiker sowie
Maria Aljochina, ein prominentes Mitglied der Punkband Pussy Riot.
Oppositionelle wie der Anti-Korruptions-Kämpfer Alexej Nawalny
riefen zu einer Protestwahl gegen die Kremlpartei auf. Er empfahl
eine "smarte Stimmabgabe". Dabei sollten gezielt andere Kandidaten
als die der Kremlpartei gewählt werden. Die Bürger sollten alles
wählen außer die regierende Partei, deren "Gauner und Diebe" keine
Konkurrenz zugelassen hätten, sagte auch die Moskauer Politikerin
Ljubow Sobol am Sonntag im Wahllokal. Sobol, die zu Nawalnys Team
gehört, war wie Dutzende andere Politiker wegen angeblicher
Formfehler als Kandidatin nicht zugelassen.
Streit um Rechtmäßigkeit der Wahl
Auch der nach 50 Tagen aus der Haft entlassene Oppositionelle
Ilja Jaschin rief zur "smarten" Abstimmung auf. Er veröffentlichte
bei Twitter ein Bild mit dem Kandidaten seiner Wahl. Der populäre
Kommunalpolitiker hatte ebenfalls keine Registrierung erhalten.
Jaschin hatte zuletzt fünf Arreststrafen von jeweils zehn Tagen
absitzen müssen. Er nannte die Haft eine "Geiselnahme", um ihn im
Wahlkampf aus dem Verkehr zu ziehen. Die Justiz hatte ihm
vorgeworfen, zu Massenprotesten aufgerufen zu haben.
Vorwürfe gab es auch gegen die US-Internetriesen Google und
Facebook. Sie sollen sich mit Agitation am Wahltag in Russlands
innere Angelegenheiten eingemischt haben, teilte die Medienaufsicht
Roskomnadsor mit. Eine Kommission im Parlament werde prüfen, ob
ausländische Kräfte so versuchten, die Wahl zu beeinflussen. Auch die
Videoplattform Youtube werde untersucht.
Bei den Protesten kam es in den vergangenen Wochen zu massiver
Polizeigewalt gegen friedliche Demonstranten. Tausende Menschen waren
bei den Demonstrationen für freie Wahlen vorübergehend festgenommen
worden. Am Samstag kamen die bekannte Aktivistin Nadeschda
Tolokonnikowa und weitere Mitglieder von Pussy Riot vorübergehend in
Polizeigewahrsam. Sie wollten in der Stadt ein Banner mit der
Aufschrift "Putin, geh von selbst!" aufhängen.
Kreml fürchtet massive Verluste
Groß ist die Unzufriedenheit mit der wirtschaftlichen
Lage im Land etwa wegen des Mangels an Arbeitsplätzen und wegen
niedriger Löhne. Kremlkritische Medien hatten unter Berufung auf
behördennahe Kreise berichtet, dass die Umfragen für die offiziellen
Kandidaten des Machtapparats so schlecht gewesen seien, dass keine
Konkurrenz zugelassen werden sollte.
Gewählt wurde zudem auf der Schwarzmeer-Halbinsel Krim. Die
Abstimmung wird international nicht anerkannt, weil das Gebiet laut
Völkerrecht zur Ukraine gehört. Die EU und die USA haben gegen
Russland wegen der Annexion der Krim Sanktionen verhängt. Dort konnte
die Kremlpartei Geeintes Russland mit einem triumphalen Sieg rechnen.
Die Region erhält so viel Geld aus dem Staatshaushalt wie kein
anderes Gebiet in Russland. Das ukrainische Außenministerium
protestierte am Sonntag gegen die Wahl. Die Abstimmung auf dem von
Russland vorübergehend besetzten Gebiet sei ungültig, teilte das
Ministerium in Kiew mit./mau/DP/nas
(pb/dpa)
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