Selten bleibt das, was Fußballspieler in den Momenten vor dem Anpfiff tun, in Erinnerung. Beim EM-Achtelfinalspiel Deutschland gegen England wird das auch so sein. Dass die deutschen Nationalspieler auf die Knie gehen, um eine Botschaft gegen Rassismus in die Welt zu schicken, das hatte Stammtorwart und Kapitän Manuel Neuer schon einen Tag vor der Partie angekündigt.
Die Engländer waren zuvor auch auf die Knie gegangen, mehrfach bei dieser EM. Belgiens Nationalspieler hatten es ebenfalls viermal getan während dieser EM. Die Spieler der schottischen Nationalmannschaft haben es getan, die Waliser auch, vor der Partie gegen Italien. Die Italiener, sichtlich überrascht, sind damals dagegen nur zu Fünft in die Knie gegangen – was den stehengebliebenen Spielern viel Kritik eingebracht und in Italien eine tagelange politische Debatte ausgelöst hat.
Auf die Knie gehen gegen Rassismus, das tun seit knapp fünf Jahren Menschen von New York bis Neu-Ulm. Irgendwie und grundsätzlich gegen Rassismus zu sein, darauf können sich die meisten Menschen einigen, zumindest in Worten. Das Niederknien als Geste ist deutlich stärker umstritten.
Man hat das auch bei dieser Fußball-Europameisterschaft gesehen: Die Spieler Tschechiens wollen nicht zu Boden gehen und stattdessen auf den Aufnäher mit dem Aufdruck "Respect" auf den linken Ärmeln ihrer Trikots deuten, wenn die Gegner knien. Aus der niederländischen Nationalmannschaft hatte es geheißen, man knie nicht nieder, weil man ohnehin schon viel gegen Rassismus tue.
Einmütige Geste: Die Spieler Englands und Schottlands vor der Partie gegeneinander im Londoner Wembley-Stadion. Bild: dpa / Mike Egerton
Und die Zuschauer im russischen Sankt Petersburg haben sogar gellend gepfiffen, als die Belgier vor dem ersten Vorrundenspiel gegen Russland auf die Knie gingen. Die Spieler des russischen Teams blieben stehen.
Was bringt das Niederknien der deutschen Nationalmannschaft?
Ob die deutschen Nationalspieler niederknien sollten, darüber war schon vor der letzten Vorrundenpartie gegen Ungarn diskutiert worden.
Claudia Roth, Bundestagsvizepräsidentin und ehemalige Parteichefin von Bündnis 90/Die Grünen, freut sich nun darüber, dass die Nationalmannschaft sich dazu entschlossen hat.
"Die Entscheidung der deutschen Nationalmannschaft, vor dem Spiel als Zeichen des Protests gegen Rassismus niederzuknien, ist ein wichtiges Signal und zeugt von gesellschaftspolitischer Verantwortung. Gerade Sportler haben eine enorme Bindewirkung und eine Vorbildfunktion und wenn das DFB-Team öffentlich Haltung gegen Rassismus zeigt, kann das sehr viel bewirken."
Bernhard Franke, der Leiter der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, hält die Geste ebenfalls für positiv. Er meint, die Nationalspieler würden sich dadurch nicht auf einer politischen Seite positionieren. Franke erklärt dazu gegenüber watson:
"Bei solchen Gesten auf dem Spielfeld geht es heute nicht darum, den Sport zu politisieren. Sie weisen vielmehr auf die Geltung von universellen Menschenrechten hin. Zum Beispiel, dass niemand rassistisch oder wegen seiner sexuellen Orientierung diskriminiert werden darf."
Ähnlich sieht das auch ZDF-Taktik-Experte und Profitrainer Peter Hyballa. "Auf die Knie gehen finde ich fantastisch. Rassismus darf keine Chance bekommen", sagte er gegenüber watson. Der 45-Jährige arbeitete bereits in Namibia, Deutschland, Österreich, der Niederlande, der Slowakei, Polen und Dänemark als Trainer. "Als Ausländer bin ich auch nicht immer gut behandelt worden. Es gibt Rassismus und das ist ganz schlimm und widerlich", erzählt Hyballa.
Christopher Spall, Markenexperte und Geschäftsführer der Agentur Spall macht Marke ist mit Blick auf das Niederknien nicht so enthusiastisch. Er findet, die Nationalmannschaft sollte sich zunächst überlegen, für welche gesellschaftlichen Werte sie eintreten will.
Gegenüber watson erklärt Spall:
"Ich glaube, diese Geste nur einmal zu unterstützen, ist nicht glaubwürdig. Es braucht ein wirklich langfristiges Konzept über Jahre und die Überlegung: Für welche gesellschaftlich relevanten Themen wollen wir eintreten?"
Die Mannschaft brauche eine "sozial-ökologische Positionierung", die "auch außerhalb des Fußballplatzes" mit "spürbaren Taten" sichtbar sein müsse. Spall meint dazu:
"Dann entsteht ein gewisses Bild in den Augen der Menschen. Wenn du dich nur situativ auf ein Thema setzt, das gerade en vogue ist, dann wirst du mit unterschiedlichen Themen nur kurz verbunden. Da entwickelt sich aber auch kein klares Profil."
Für Bundestagsvizepräsidentin Roth hingegen hat sich etwa Torwart Manuel Neuer bei dieser EM schon eindeutig positioniert.
"Manuel Neuer hat sich bereits sehr klar geäußert, was den Einsatz gegen Homophobie betrifft, und übernimmt nun erneut eine Vorbildrolle", meint Roth gegenüber watson. Neuer läuft seit Beginn der EM mit einer Spielführerbinde in den Regenbogenfarben auf.
Wie politisch ist Manuel Neuers Kapitänsbinde? Der Nationaltorhüter trägt bei der EM Regenbogenfarben.Bild: dpa / Christian Charisius
Roth sieht darin einen positiven Gegensatz zum europäischen Fußballverband UEFA. Sie erklärt:
"Damit unterscheidet sich das DFB-Team positiv vom inakzeptablen Agieren der UEFA, die ihre Glaubwürdigkeit eingebüßt hat."
Die UEFA hatte sich unter anderem geweigert, die Münchner Fußballarena zum Spiel Deutschland gegen Ungarn in den Regenbogenfarben zu erleuchten. Die Fraktionen im Münchner Stadtrat hatten das beantragt – um gegen ein von vielen Beobachtern als homophob erachtetes Gesetz zu protestieren, das in Ungarn verabschiedet worden war.
Woher die Geste kommt
Colin Kaepernick hat das Niederknien gegen Rassismus noch viel heftigere Reaktionen eingebracht als die Pfiffe, die Belgiens Spieler von russischen Zuschauern kassierte haben. Kaepernick, American-Football-Spieler in der nordamerikanischen Profiliga NFL, begann mit der Geste im August 2016 – und wiederholte sie immer wieder, jeweils vor NFL-Matches seiner damaligen Mannschaft, den San Francisco 49ers.
Kaepernick, der als Quarterback spielt, ging in die Knie, während die US-amerikanische Nationalhymne ertönte.
Zur Erklärung sagte Kaepernick, er wolle "nicht aufstehen und Stolz für eine Fahne demonstrieren, die für ein Land steht, das Schwarze und andere People of Color unterdrückt".
Sein Protest brachte Kaepernick später Beschimpfungen durch den damaligen US-Präsidenten Donald Trump ein. "Nehmt den Hurensohn vom Feld", meinte Trump über Kaepernick. Vor allem aber endete in der Saison danach seine Profikarriere.
Seit 2017 hat Kaepernick, der vorher als einer der stärksten Quarterbacks der NFL galt, keinen Profivertrag mehr bekommen. Er ist aber zum Werbetestimonial für Marken wie Nike geworden – und zu einem Helden antirassistischer Bewegungen wie Black Lives Matter.
Colin Kaepernick und sein Mitspieler Eric Reid im September 2016. Bild: Thearon W. Henderson/Getty Images / Thearon W. Henderson/Getty Images
Kaepernick hat das Niederknien zur weltweit erkennbaren Anti-Rassismus-Geste gemacht. Seither knien Menschen auf Demonstrationen nieder – und bei Sportveranstaltungen. Im Oktober 2017 taten das erstmals auch die Spieler eines Fußball-Bundesligisten: die von Hertha BSC, vor einer Partie gegen Schalke 04.
2020, nachdem ein US-amerikanischer Polizist den Schwarzen George Floyd ermordet hatte, knieten demokratische Kongressabgeordnete minutenlang im US-amerikanischen Bundesparlament nieder.
Die wichtigste Streitfrage um das Niederknien gegen Rassismus lautet: Ist es eine überparteiliche Geste, mit der sich Menschen einfach gegen Diskriminierung wenden? Oder unterstützen die Niederknieenden damit die Bewegung Black Lives Matter – eine Bewegung, die weitgehend als politisch links verstanden wird?
Der russische Nationaltrainer Stanislaw Tschertschessow scheint eher der zweiten Lesart zu folgen. Auf die Geste der belgischen Spieler angesprochen sagte er nach der EM-Vorrundenpartie: "Das ist keine Frage, die mit Fußball zu tun hat. Wenn Sie eine haben, stellen Sie mir dazu eine."
Bernhard Franke, seit 2018 kommissarischer Leiter der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, stellt sich dagegen hinter die Fußballer, die auf die Knie gehen – weil er darin ein bloßes Eintreten für Menschenrechte sieht. Gegenüber watson erklärt Franke:
"Wenn Fußballer gegen Rassismus und Diskriminierung durch symbolische Gesten auf dem Spielfeld Stellung beziehen, dann ist das ausgesprochen couragiert und sehr begrüßenswert. Sie treten damit für universelle Grundwerte und Menschenrechte ein und können damit auch eine große Breitenwirkung erzielen, weil ihnen eine hohe Vorbild- und Identifikationsfunktion bei vielen Fans zukommt."
Franke gibt sich außerdem überzeugt davon, dass ein großer Teil der Menschen in Deutschland solche Gesten als positiv wahrnehme, über die politischen Lager hinweg. Man sei bei der Akzeptanz solcher Symbole und Gesten in Deutschland "durchaus weit". Die Reaktionen von Fans und Spielern in anderen Ländern zeige, dass "auch in Europa im Kampf gegen Diskriminierung und für gleiche Rechte noch viel zu tun bleibt."
Franke weist aber darauf hin, dass damit allein noch zu wenig getan sei, um gegen Rassismus vorzugehen. Er ergänzt:
"Noch immer hat sich kein aktiver Fußballprofi geoutet, noch immer gibt es rassistische Beleidigungen vom Spielfeldrand und manchmal auch auf dem Spielfeld selbst. Hier haben wir sicher noch Nachholbedarf, damit es nicht nur bei Gesten und Symbolen bleibt, sondern auch der Fußball tatsächlich freier von Diskriminierung wird."
Wie sich die UEFA verhält
Der europäische Fußballverband UEFA zeigt sich, zumindest in Worten, tolerant gegenüber niederknienden Fußballspielern. Nach der Partie Russland gegen Belgien teilte die UEFA auf Nachfrage der Nachrichtenagentur dpa mit: "Jeder Spieler oder Offizielle darf das tun. Und ergänzte, mit Blick auf die Buhrufe der Zuschauer: "Wir bitten die Zuschauer dringend, den Spielern und Mannschaften, die auf die Knie gehen, Respekt zu zeigen."
Für Timm Beichelt, Professor für Europastudien an der Universität Viadrina in Frankfurt an der Oder, ist das nicht konsequent. Beichelt hat zum Verhältnis zwischen Profifußball und Politik geforscht. Vor der WM 2018 ist zum Thema sein Buch "Ersatzfeldspieler" erschienen. Gegenüber watson fordert Beichelt die UEFA auf, den Mut zu haben, auch dort gegen Rassismus einzutreten, wo ihr Gegenwind droht. Er sagt dazu:
"Die UEFA sollte anerkennen, dass eine Anti-Rassismus-Kampagne eine politische Dimension hat, solange es in vielen Gesellschaften und Milieus rassistisches Gedankengut gibt. Und dann müsste sie auch begrüßen, wenn Fußballer niederknien, um ein Zeichen gegen Rassismus zu setzen."
Die UEFA positioniert sich seit Jahren gegen Rassismus – zumindest in Worten.bild: imago/action plus
Beichelt stört, dass die UEFA vor dem Einsatz gegen Diskriminierung zurückscheut, wenn daraus Ärger mit politisch Mächtigen entsteht – etwa im Fall der von der Stadt München geforderten Regenbogen-Beleuchtung der dortigen Arena beim Spiel Deutschland gegen Ungarn, um gegen das ungarische LGBTQI-Gesetz zu protestieren. Das Argument der UEFA gegen die Beleuchtung: Es wäre ein politisches Statement gegen das ungarische Parlament gewesen.
Beichelt hält diese Argumentation für fadenscheinig. Sein Argument: Der Einsatz gegen Diskriminierung sei grundsätzlich immer politisch.
Politik und Sport hier trennen zu wollen, funktioniere nicht. Beichelt wörtlich:
"Es geht hier ja darum, politische Werte durchzusetzen. Indem aber die UEFA ihre Kampagnen für unpolitisch erklärt, scheut sie den politischen Konflikt und die Debatte, die dringend nötig wäre. Sie antwortet auf Anfragen von Journalisten nicht, erklärt ihre Haltung nicht. Damit wird sie in ihrem Handeln den Ansprüchen nicht gerecht. Es hinterlässt einen schalen Beigeschmack, wenn Werte nur in einer Werbekampagne gelten sollen, nicht aber im gesellschaftlichen und politischen Raum."
Grünen-Politikerin Roth sieht das ähnlich. Sie meint: "Niemand kann ernsthaft sagen, Politik und Sport hätten nichts miteinander zu tun. Es geht um Menschenrechte und Menschenwürde."
Vor allem angesichts rassistischer Vorfälle in Fußballstadien sei die Geste geboten. Roth wörtlich:
"Viele Fußballer erleben, wie ihre Kollegen rassistisch behandelt werden, wie jetzt beim Spiel in Budapest, wo französische Spieler von ungarischen Fans rassistisch beleidigt wurden. Daher ist es ein Zeichen der Solidarität gegen Rassismus innerhalb aber auch außerhalb des Sports, dass wir alle die Stimme erheben sollten."
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