Wie sicher können sich Politiker hierzulande noch fühlen? Was geht ihnen durch den Kopf, wenn sie (von der aktuellen Corona-Ausnahmesituation einmal abgesehen) vor einem vollen Haus auf der Bühne stehen, für jedermann theoretisch ein leicht angreifbares Ziel abgeben?
Im Zuge des Mordprozesses an CDU-Politiker Walter Lübcke, der im Juni vergangenen Jahres auf der Terrasse seines Hauses im hessischen Wolfhagen-Istha erschossen wurde, teilte bei "Markus Lanz" Ex-Linken-Fraktionschefin Sahra Wagenknecht ihre Gedanken zu einer möglichen Bedrohung.
Die 50-Jährige kennt die Gefährdungslage aus der eigenen Familie. Ihr Mann Oskar Lafontaine war vor über 30 Jahren Opfer von einem Attentat geworden. Im April 1990 stürmte bei einer Wahlkampfveranstaltung eine psychisch kranke Frau auf ihn zu, stach mit einem Messer auf ihn ein. Die Angreiferin traf ihn nahe der Halsschlagader, Lafontaine wurde lebensgefährlich verletzt.
CDU-Mann Lübcke, der die Aufnahme von Flüchtlingen befürwortete und sich 2015 auf einer Veranstaltung verbal gegen Buh-Rufe aus dem Publikum gewehrt hatte und sagte, wer gewisse Werte des Zusammenlebens nicht teile, könne Deutschland verlassen, galt als Hassobjekt der rechten Szene.
Auf dieser Veranstaltung war auch Stephan E. anwesend, Hauptangeklagter im Mordprozess. Nachdem er die Tat erst gestanden, dann aber sein Geständnis widerrufen hatte, beschuldigt er aktuell seinen Freund und Mitangeklagten Markus H., der in der rechten Szene ebenfalls kein Unbekannter ist. Auch er sah Lübckes Auftritt an jenem Tag vor fünf Jahren. In seinem Geständnis hatte E. ausgesagt, dass Lübckes Worte "Wer diese Werte nicht vertritt, der kann dieses Land verlassen, wenn er nicht einverstanden ist. Das ist die Freiheit eines jeden Deutschen" ihn dazu veranlasst hätten, etwas gegen den Politiker zu unternehmen.
Für ZDF-Talker Lanz spielte dieser Satz hinsichtlich der Gefahrenlage von Politikern eine entscheidende Rolle. Er wollte von Sahra Wagenknecht wissen, wie sie entscheide: "Sage ich den einen Satz jetzt noch oder sage ich ihn jetzt lieber nicht?"
Die Ex-Linken-Fraktionschefin hätte ihren ganz eigenen Weg gefunden, mit der Angst umzugehen, wie sie erklärte:
Und weiter: "Man geht auf Veranstaltungen, macht Selfies, redet mit den Leuten. Und ein Politiker muss das auch machen." Sie habe Menschen, die auf einen aufpassen, aber sie wisse, dass es kein hundertprozentiger Schutz sei. Denn die Gefahr eines Angriffs bestünde immer. Sei der Grund für die Attacke eine rechte Gesinnung oder, wie im Fall ihres Mannes Oskar Lafontaine, eine "geistige Störung. Es gebe rechte Täter, Einzeltäter und eben auch "verrückte Täter", resümierte Wagenknecht.
Ob sie Angst habe, wenn sie bei Veranstaltungen auf die Bühne gehe, wollte der Gastgeber weiter wissen. "Wenn ich bei einem Auftritt darüber nachdenke, ob da jemand... oder vielleicht auch nicht... nein, das muss das BKA machen", wischte Wagenknecht ihren Gedanken zur Seite. Sie würde bei ihren Auftritten nur über ihre Rede nachdenken, den Rest würde sie eben verdrängen.
Abschließend wollte Markus Lanz noch wissen, ob sie heute mehr Drohungen als vor 30 Jahren bekäme. Sahra Wagenknecht erklärte: "Je bekannter man wird, desto mehr bekommt man auch."
(ab)