Nach den völkerrechtswidrigen Angriffen auf die Kurden durch türkische Truppen, feiert sich der amerikanische Präsident Donald Trump nun als Macher der mit der Türkei kürzlich ausgehandelten Waffenruhe in Nordsyrien. Doch ist diese Feuerpause am Ende nur ein Erfolg für den türkischen Präsidenten Erdoğan? Darüber diskutierten am Sonntagabend die Gäste bei Anne Will. Und dabei auffällig entschieden in seiner Meinung zeigte sich der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Norbert Röttgen.
Der frühere Bundesumweltminister kritisiert das 13-Punkte-Papier, das Trump mit Erdogan ausgehandelt hatte – insbesondere wegen seiner Sprache. Es enthalte die "Argumentation Erodgans". Das Papier bestätige die Gefährdung der Türkei durch die Kurden und legitimiere damit den Einmarsch türkischer Truppen in Nordsyrien aufgrund ihres eigenen Sicherheitsinteresses.
"Nichts davon ist wahr", kommentiert Röttgen das Papier. "Dieser Deal ist ein Alibi für die Türkei. Und sie bekommen es von den USA geliefert." Am meisten ärgere ihn, dass in dem Papier von der "Operation Friedensquelle" die Rede sei – dem Narrativ, das Erdogan für seinen Krieg gegen die Kurden verwendet.
Nach mehrtägigen Bombardements und Gefechten im Norden des kriegsgeschundenen Landes und zehntausenden Geflüchteten, sei eine Waffenruhe in Syrien zunächst das richtige Zeichen, zeigen sich die Gäste an diesem Abend einig. Doch eine Frage bleibt: Welchen Preis zahlt der Westen für den vermeintlichen Frieden?
Sevim Dağdelen, die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Linken im Bundestag, erklärt in der ARD-Sendung:
Während Röttgen den Fehler bei den USA sieht, kritisiert die Linken-Politikerin vor allem die Bundesregierung: "Unsere Regierung will die Türkei als Nato-Partner halten. Koste es, was es wolle. Das ist unser geopolitisches und geostrategisches Interesse. Deshalb bekommt die Türkei auch ihren Willen."
Nach den USA verfügt die Türkei über die zweitstärkste Armee innerhalb der Nato. Der Westen braucht die Türkei als Stabilitätsanker innerhalb der Region. Ob das auch denn auch so sei, wenn völkerrechtswidrig gehandelt würde, will Anne Will wissen. Und bohrt weiter nach bei Wolfgang Ischinger, dem Vorsitzende der Münchner Sicherheitskonferenz: "Müssen wir ein Mitglied innerhalb einer Wertegemeinschaft akzeptieren, obwohl es gegen die Werte der Gemeinschaft verstößt?"
Ischinger, der sein Amt bereits seit 2008 innehat, kontert, dass das "nicht so einfach sei, ein NATO-Mitglied auszuschließen" und liefert somit eine Nicht-Antwort auf diese wichtige Frage. Er glaubt, dass starke Sanktionsmaßnahmen gegen die Türkei nur dazu führen würden, diese stärker in die Arme Russlands zu treiben. Stattdessen plädiert Ischinger für die Installierung eines Sondergesandten der EU, der dafür sorge, dass die Europäische Union außenpolitisch endlich eine größere Rolle spiele.
Mehr Stärke von der EU und auch mehr Diplomatie wünschen sich Röttgen und Dağdelen. Während Ersterer sich eine Art Koalition aus Frankreich, Großbritannien und Deutschland wünscht, die gemeinsam in der Region stark auftreten, fordert die Linken-Politikerin die Staaten dazu auf, eine Sicherheitskonferenz in der Region zu etablieren. Dort sollen dann alle Akteure an einem Tisch gemeinsam verhandeln.
Einig sind sich die Gäste bei Anne Will vor allem bei der Uneinigkeit der Europäischen Union. Die Staatengemeinschaft konnte sich weder auf ein Waffenembargo, noch auf andere Sanktionsmaßnahmen gegen die Türkei einigen. Erst so konnte Erdoğan die humanitäre Katastrophe in Nordsyrien auslösen und den Deal mit Trump eintüten. Die türkischen Unterhändler und Politiker sollen laut Will gesagt haben, es sei noch nie so leicht gewesen, einen Deal auszuhandeln.
Die Linken-Politikerin Dağdelen geht so weit zu sagen, dass die EU "sich unglaubwürdig gemacht habe, wenn sie in Zukunft von Menschenrechten, Freiheit und Demokratie rede, ohne dabei klare Kante gegen Erdoğan gezeigt zu haben".
Trump werde zwar auch für seine Politik aus den eigenen Reihen kritisiert, doch könne die Kritik der Republikaner einen Sieger nicht verhindern: den türkischen Präsidenten Erdoğan nämlich. Der bekomme mit der Waffenruhe, was er wolle: eine "kurdenfreie" Besatzungszone.
"Jetzt müssen wir nicht nur mit dieser Situation leben", fasst Ischinger am Ende zusammen, sondern auch damit, "bald einem Massenmörder diplomatisch die Hände schütteln zu müssen". Denn der syrische Machthaber Assad, säße nun fester im Sattel als je zuvor.