Von zu strengen Corona-Maßnahmen, bis hin zu "Covidioten" und Deutschlands Bildungslandschaft – am Donnerstagabend wurde bei "Markus Lanz" wild diskutiert. Dabei verlor ausgerechnet der Mann mit der geringsten Redezeit – Soziologe Harald Welzer – kein gutes Wort über die Regierung der Bundesrepublik.
Zunächst geht es um die Corona-Pandemie an sich: Obwohl die Infektionszahlen mit dem Coronavirus in Deutschland steigen, scheint die Lage noch übersichtlich zu sein. 24.000 aktive Fälle soll es laut Markus Lanz derzeit in Deutschland geben. Davon seien 362 auf einer Intensivstation und 193 würden beatmet werden. "Hat Deutschland die Situation im Griff?", will er vom Virologen Hendrik Streeck wissen. Nein, sagt er deutlich, man sei nur in einer Situation, wo es noch entspannt sei.
Er erklärt, dass die AHA-Regeln – Abstand, Hygiene, Atemmaske – funktionierten. Auch wenn es "multifaktoriell" sei, erklärt der Mediziner, befänden wir uns sogar in einer "Untersterblichkeit". Weniger Menschen als angenommen würden derzeit in Deutschland sterben. Während der Hitzewelle 2018 und der Grippewelle 2017 hätten wir eine "Übersterblichkeit" erlebt. Dennoch warnt Streeck davor, das Virus nicht zu bagatellisieren. Er sagt deutlich:
Der Experte ist der Meinung, dass uns die AHA-Regeln und somit auch die Masken noch lange Zeit begleiten werden. "Bis Frühjahr?", hakt Lanz nach. "Das wollen die meisten nicht von mir hören", versucht Streeck zu erklären, als Lanz noch hinterherschießt: "Jahre?" Der Virologe sagt dazu, er könne es nicht vorhersagen, doch er sei davon überzeugt, dass es noch lange dauern wird.
Sieben Jahre ist es bereits her, dass Manuela Schwesig (SPD), Ministerpräsidentin des Landes Mecklenburg-Vorpommern, das letzte Mal bei "Markus Lanz" zu Gast war. Dazwischen war nicht nur "jedes Jahr etwas los", wie die SPD-Politikerin sagt, sondern sie war auch schwer an Krebs erkrankt. Umso erfreuter zeigt sich Moderator Lanz, dass sie nun wieder gesund ist. "Es lag nicht an Ihrer Sendung", kommentiert die 46-Jährige noch. Trotzdem wird er gleich kritisch und will von Schwesig wissen, warum ihr Bundesland so strenge Corona-Maßnahmen eingeführt hatte und ob sie diese nochmal so gestalten würde.
Mecklenburg-Vorpommern hatte zu Beginn der Pandemie sehr schnell Reisen in die Region verboten und sogar die Ostsee-Strände gesperrt. "Ich würde es heute genauso entscheiden", gibt die SPD-Politikerin deutlich zu Wort.
Nur weil sie so gehandelt habe, hätten die Touristen im Hochsommer "im sichersten Bundesland Deutschland Urlaub machen können". Ihr ginge es darum, dass Menschen gesund blieben, Arbeitsplätze und das soziale Leben gesichert würden. Seit März habe es keinen Todesfall in Zusammenhang mit Covid-19 gegeben, fügt die Ministerin hinzu. Die Politikerin setzt sich dafür ein, dass lokal gehandelt würde, dass jedoch die AHA-Regeln bundeseinheitlich gelten.
Doch damit trifft die zweifache Mutter einen wunden Punkt beim Soziologen Harald Welzer. Er sieht das komplett anders und wirft der Regierung sogar harte Kritik an den Kopf. "Diese Argumentation hört man ja rauf und runter. Psychologisch betrachtet, läuft das aber anders."
Der 62-Jährige ist der Meinung, dass die Bevölkerung durch die unterschiedlichen Maßnahmen in den einzelnen Bundesländern "verunsichert" sei. Gerade in Ostdeutschland sehe er, dass aus "Angst vor populistischen Reaktionen" so gehandelt würde: "Da spielt die AfD eine Rolle!" Er verstehe nicht, wieso sich die Politik immer auf Studien berufe, um zu argumentieren, aber dieses Mal nicht hören wolle. Ein Großteil der Bevölkerung wolle etwa einheitliche Regeln.
Doch das will die Ministerpräsidentin nicht auf sich sitzen lassen und sagt: "Da widerspreche ich direkt!" "Mitnichten" hätte das Handeln etwas mit der AfD zu tun, gibt sie zu verstehen. "Die Zustimmung zu uns, den Volksparteien, ist gestiegen". Sie sei der festen Überzeugung, sie könne in ihrem Bundesland nicht einfach strengere Regeln einführen, nur weil Bayern fünfmal so hohe Infektionszahlen habe.
Der Jurist Michel Friedmann springt der Ministerin zur Seite und sagt, dass es in zentralistisch gelenkten Ländern wie Frankreich auch nichts genützt habe, einheitliche Regeln zu haben. Trotzdem kritisiert auch er die Regierung.
Für ihn geht es dabei um das Thema der Bildung: "Jetzt hatten wir ein halbes Jahr Zeit, die Schulgebäude so aufzurüsten, wie es gut wäre und wir laufen dem Prozess wieder hinterher." Den ganzen Sommer sei Zeit gewesen und dennoch sei nichts passiert.
Doch bevor es noch mehr Kritik am Bildungssystem in Deutschland hagelt, kritisiert Friedmann viele der Menschen, die auf den sogenannten "Hygienedemos" mitlaufen würden: "Da sind sehr viele, die die Verfassung mit Füßen treten".
Nachdem Lanz einen Einspieler von Demonstranten zeigt, die erklären, warum sie demonstrieren, sagt er, das seien doch gute Argumente, wenn die Nichte beispielsweise mit 9 Jahren eine Maske im Unterricht tragen müsse. "So naiv sind wir doch nicht", geht Welzer empört dazwischen.
Der Soziologe sagt, es sei "der älteste Hut der Welt", dass Menschen in Interview- und Umfragesituationen immer die "soziale Erwünschtheit" wiedergäben.
Als Moderator Lanz dann versucht, aus Schwesig herauszukitzeln, was sie dazu sagt, dass ihre Parteikollegin Saskia Esken die Demonstranten als "Covidioten" bezeichnet, geht diese nicht darauf ein. Stattdessen gibt sie Welzer recht und sagt, dass Kritik gegen die Maßnahmen zwar geäußert werden dürfe, aber dass man sich klar von Nazis distanzieren müsse.
Am Ende der Sendung geht es dann noch um das Thema der Bildungsgerechtigkeit. Nach Aussage von Friedmann habe Corona auch in diesem Bereich deutlich gemacht, wo die Probleme in Deutschland sind. Die Bildung sei unsere "größte soziale Ungerechtigkeit". Der Soziologe, mit dem er gemeinsam kürzlich ein Buch veröffentlicht hat, stimmt ihm dabei zu. Bis heute könnten in Deutschland Menschen aus unteren sozialen Schichten kaum höhere Bildung erlangen.
Er kritisiert die Regierung erneut deutlich: "Wir haben keine Ziele für unsere Gesellschaft. Was für eine Gesellschaft wollen wir sein? Wieso stellen wir uns diese Frage nicht? Wir halten nur an der Gegenwart fest und wollen sie bewahren."
"Genau diese Frage treibt mich an. Deshalb mache ich meinen Job", hält die Ministerpräsidentin dagegen. "Ich will das nicht im Raum stehen lassen, das treibt ganz viele um", fügt sie hinzu. Sie sagt, ihr Ziel sei es, dass jeder die Möglichkeit besitzt, das Beste aus dem Leben zu machen. Doch davon zeigt sich Welzer wenig überzeugt und sagt, er fände weder solche Punkte in Parteiprogrammen noch in politischen Debatten.