Wie kann die Wirtschaft in Deutschland und Europa nach der Corona-Krise wieder angekurbelt werden und braucht es dazu Wachstum? Oder sogar völlig neuartiges Denken? Diese Fragen diskutierte Moderator Markus Lanz am Dienstagabend mit seinen Gästen – und dabei kam es zu einem kontroversen Durcheinander, patzigen Aussagen und ständigen Unterbrechungen.
Was haben wir aus der Krise gelernt? Die erste Frage geht an den Tech-Gründer und "Die Höhle der Löwen"-Investor Frank Thelen, der laut Lanz darauf besteht, geduzt zu werden. "Digitalisierung geht. Wenn wir müssen, dann können wir", antwortet der Unternehmer knapp. Auch wenn das positiv klingt, merkt er direkt an, dass die großen Gewinner der Krise dennoch Digitalfirmen aus den USA und aus China seien: "Wir können zwar einen Digitalisierungs-Push machen, aber wir können keine Digitalisierung bauen".
Für Maja Göpel, Professorin und Politökonomin, sieht die Sache anders aus. Ihrer Meinung nach, hätten die Deutschen gelernt, dass unser jetziges System des "immer schneller, immer weiter, immer höher nicht mehr praktizierbar" sei und die Krise die "Fragilität des Wirtschaftssystems" offengelegt habe. Die Bestseller-Autorin spricht sich in der Sendung für ein Umdenken in Bezug auf das Wirtschaftswachstum aus. Und hier beginnen die ersten Streitigkeiten des Abends.
So ist der Publizist Wolfram Weimer der Meinung, dass Wachstum an sich nichts Schlechtes sei. Wenn wir Europäer darüber nachdachten, unser Wachstum einzudämmen, dann sei das "schon fast zynisch", während in anderen Teilen der Welt "der Kampf um die tägliche Reisschale" ausgefochten würde. Natürlich sei ein "naturschonendes Wachstum wichtig", aber dennoch lehne er die generelle Wachstumskritik ab.
"Natürlich können wir nicht sagen, wir brauchen kein Wachstum", kontert der Linken-Politiker Dietmar Bartsch. Doch für ihn ist die zentrale Frage: "Wie wollen wir unser Zusammenleben organisieren?"
Für Bartsch geht das nicht über Verbote, sondern über den "Ausgleich" und darüber, "die Bevölkerung mitzunehmen". Für ihn dürfte weder die Bildung noch die Gesundheit in privatwirtschaftlichen Händen liegen. Und da wird Thelen das erste Mal unruhig:
"Der Staat hat aber die Aufgabe zu regulieren. Jeder muss die gleichen Chancen haben. Wir können nicht zulassen, dass einige ausgegrenzt werden", erwidert Bartsch in linker Manier.
Dann mischt sich Politökonomin Göpel ein: "Wir befinden uns in Zeiten, die noch nie dagewesen sein. Es werden nicht ausreichend private Investoren Geld in die Hand nehmen, wenn sie keinen Absatz im Markt erwarten. Warum auch?"
"Entschuldigung, das ist wirklich falsch", schreit Thelen aus seiner Ecke: "Bill Gates macht exakt das." "Nein", schießt die Professorin direkt in erstaunlich genervtem Ton zurück und es geht in eine nächste Runde. "Doch, er ist der einzige, der exakt das gemacht hat".
Göpel unterbricht Thelen: "Bill Gates ist doch inzwischen ein Philanthrop. Er handelt nicht als Microsoft", kontert sie. "Aber das ist Microsoft-Geld", schießt Thelen noch hinterher.
Plötzlich reden beide gleichzeitig, man hört nicht mehr, wer was sagt, bevor die 44-Jährige weiterreden kann und erklärt, dass wir auf Kosten von Ressourcen leben, die es nicht schafften, sich zu regenerieren.
"Schaffen wir Bedürfnisse, die wir mit Geld bezahlen, das wir nicht haben?", fragt Lanz Weimer. "Es gibt kein Ende von Bedürfnissen", erklärt der 55-Jährige. Er sieht zwar, dass die Wirtschaft auch die Umwelt abbilden müsse, aber ohne etwas zu verstaatlichen oder zu kollektivieren. Für ihn sind die wirtschaftlichen Erfolge auf der privaten, freiheitlichen Seite anzutreffen, wie auch das aktuelle Beispiel von der Suche nach einem Corona-Impfstoff zeige. "Verstaatlichen, das sagt doch keiner, wir haben diese Dichotomie doch eben aufgebrochen, boah", wirft Göpel sichtlich genervt dazwischen.
Weimer plappert einfach weiter und erzählt, wie viele Nobelpreisträger die privaten Universitäten in den USA produzieren würden und wie stark das Silicon Valley sei. Auch Bartsch greift irgendwann ein und sagt, er habe nicht von Verstaatlichung gesprochen. Immer, wenn etwas schieflaufe, würde nach dem Staat geschrien, sagt der Linken-Politiker. Doch wenn etwas gut laufe, habe der Staat damit nichts zu tun.
Kurz wird über den Skandal beim Zahlungsdienstleistungsunternehmen Wirecard diskutiert, bevor Thelen sagt: "Wir leben in Zeiten exponentiellen Fortschritts". In zehn Jahren würde sich die Welt so sehr verändern, wie in den vergangenen 100 Jahren. Wir hätten den Planeten als kostenfrei angesehen und jetzt gehe es darum, eine Kreislaufwirtschaft zu installieren. Für den Unternehmer geht es um "exponentielles Wachstum, extrem wachsen, aber neu wachsen". Thelen möchte Autos, die fliegen können, aber trotzdem dabei die Umwelt schonen.
Göpel sieht darin einen "Denkfehler" und fordert einen konkreten Wachstumsbegriff ein. Der Schlagabtausch zwischen den beiden geht hin und her und es bleibt kaum mehr etwas zu verstehen. "Es gibt schon Highspeed-Züge mit 1000 km/h und das klimaneutral. Google und Microsoft sind schon komplett CO2-neutral". "Ach, so ein Quatsch", antwortet die Autorin darauf. "Doch!" "Nein, Stopp! Google weiß noch nicht einmal, wie sie ihre Solarpanels recyclen sollen." Dann fragt sie Thelen: Was ist ihr Wachstumsbegriff?" "Entwicklung." "Entwicklung ist kein Wachstum", geht der Schlagabtausch weiter.
Dann mischt sich Weimer auch wieder ein und richtet sein Wort an die Politökonomin: "Sie müssen sich doch freuen, wenn sein genannter Pfad begangen wird. Deutschland ist so schwach, wir fallen zurück in allen Wettbewerbskategorien. Wir haben keine Gestaltungskraft mehr, den grünen Aufbruch mitzugestalten." Plötzlich spricht Bartsch auch davon, die Macht der großen Konzerne, wie Amazon, staatlich zu begrenzen. "Amazon hat damit nichts zu tun", antwortet Thelen.
"Wärst du nicht arm, wäre ich nicht reich", zitiert der Politiker Bertolt Brecht, was der Unternehmer direkt als "Quatsch" bezeichnet. "Genau das ist der grundlegende Denkfehler der Sozialisten seit Hundert Jahren", schießt Publizist Weimer nun auch hinterher. "Diese statische Betrachtung der Volkswirtschaft, wenn einer mehr hat, hat der andere weniger. Dabei ist die Wirtschaft wie ein Hefeteig: Wenn er aufgeht, haben alle mehr davon."
Während Göpel dafür plädiert, Umweltschäden in die Bepreisung von Produkten einfließen zu lassen, setzt Thelen auf die technologischen Lösungen für alles und Bartsch will, dass die Armen nicht aus dem Fokus gerückt werden.
Wenn in Zukunft eine Mobilitätswende kommen sollte und somit Arbeitsplätze wegfielen, würden sie woanders geschaffen werden, sagt die Bestsellerautorin. "Das geht so nicht. Das habe ich auch in meinem Buch beschrieben", unterbricht sie Thelen. Durch Roboter und Maschinen werde die Arbeit uns schlichtweg abgenommen, so dass Arbeitsplätze wegfallen würden. Er glaubt aber, dass Maschinen so viel Ertrag erwirtschaften werden, dass ein bedingungsloses Grundeinkommen möglich sein wird.
Dann reichte es Göpel. "Aber wenn ich jetzt einfach mal weiterreden dürfte, anstatt dass sie nur haffen und paffen und mich die ganze Zeit unterbrechen, dann könnte ich das auch fortführen."
Und Lanz will am Ende des Schlagabtausches von Göpel wissen, ob es dann "vorbei sei mit dem billigen Schnitzel", wenn die ressourcenverschwenderischen Industrien stärker besteuert würden? "Äh ja, das wäre dann wahrscheinlich vorbei."
An diesem Abend fällt jeder Gast jedem ins Wort und selbst Moderator Markus Lanz schafft es nicht, Ordnung in die Gespräche zu bringen. So springen die Gäste am Ende von der Mobilität zur Näherin in Bangladesch und von dort aus zum Ein-Euro-Jobber in Vorpommern und der Diskussion um Daten. Am Ende stehen viele Ideen im Raum: Die Besteuerung des CO2-Ausstoßes, der Wunsch mehr Daten zu wagen innerhalb der EU, damit die USA und China nicht über uns hinwegrollen, die Arbeit der Zukunft und die Etablierung einer Kreislaufwirtschaft, die die Armen nicht aus dem Blick verliert.
Lanz schlägt vor, dass sich alle im Oktober erneut in derselben Konstellation zusammenfinden, um noch einmal konkreter über Ideen zu reden. "Haben Sie noch Lust, Frau Göpel?" "Nein. Auf jeden Fall", antwortet die Ökonomin darauf.