Xavier Naidoo, Eva Hermann, Attila Hildmann, jetzt Michael Wendler: Wieder bekennt sich ein Prominenter zu Verschwörungsmythen. Warum passiert das derzeit immer wieder? Und wie gefährlich ist das für die demokratische Gesellschaft?
Watson hat darüber mit Alexander Waschkau gesprochen. Waschkau ist Psychologe und Publizist. Bekannt ist er vor allem durch den Podcast "Hoaxilla", den er zusammen mit seiner Ehefrau Alexa Waschkau seit 2010 moderiert. In dem Audio-Format beschäftigen sich beide aus wissenschaftlicher Perspektive mit Verschwörungsmythen und anderen Legenden.
watson: Herr Waschkau, Attila Hildmann, Xavier Naidoo und jetzt Michael Wendler sind in die Welt der Verschwörungsgläubigen abgedriftet, Til Schweiger scheint zumindest zu wanken. Warum passiert das in letzter Zeit immer wieder bei mehr oder weniger prominenten Menschen?
Alexander Waschkau: Wir erleben, dass Menschen, die von Bühnenpräsenz, von Auftritten leben, durch die Maßnahmen gegen das Coronavirus getroffen werden. Damit sind sie ja auch nicht alleine. Das kann dazu führen, dass man in Existenzängste gerät. Und man hätte dann ja gerne jemanden, der schuld daran ist, dass die Lage so ist. Und da bieten Verschwörungsideologien mögliche Antworten. Herr Wendler hat ja in seiner Ankündigung davon gesprochen, dass die Regierung schuld sei an allem, dass er jetzt aufbegehren möchte. Das könnte eine Erklärung sein. Aber ganz hineinschauen in den Kopf der Menschen kann man natürlich auch nicht.
Denken Sie, dass das Kalkül ist, dass diese Menschen fehlende Aufmerksamkeit in der Krise kompensieren möchten, indem sie Verschwörungserzählungen verbreiten? Oder glauben die das alles wirklich?
Bei Herrn Wendler wäre das eher seltsam: Er steht davor, bei einer beliebten Fernsehshow mitzumachen, er hat einen neuen Werbevertrag, eine weitere Show ist in Planung. Der ist ja eigentlich ganz gut im Geschäft gewesen. Dass das Kalkül gewesen sein soll, halte ich eher für fraglich. Ich denke, all das spricht eher dafür, dass er tatsächlich daran glaubt, dass hier etwas faul ist. Und in seinem Telegram-Channel verbreitet Herr Wendler ja vor allem die Desinformation anderer und keine eigenen Informationen.
Glauben Sie, dass es sich überhaupt für Prominente wirtschaftlich lohnen kann, in die Welt der Verschwörungsmythen abzutauchen und dort eine Art Ikone zu werden?
Ich denke, in Deutschland ist das schwierig. Aber wenn wir uns in den USA eine Figur wie Alex Jones ansehen, dem Gründer der verschwörungsmythischen Plattform "Infowars", ist das anders: Der kann sehr gut davon leben, dass er Vitaminpräparate verkauft, die vor allerlei Unheil schützen sollen. In Deutschland ist alleine schon schwer zu sagen, wie groß die Anhängerschaft solcher Verschwörungsmythen ist. Da sind noch nicht einmal die Abonnentenzahlen der Telegram-Channels von Wendler, Attila Hildmann oder Xavier Naidoo aussagekräftig, denen folgen ja auch viele Journalisten, die wissen wollen, was in der Szene passiert...
...oder Menschen, die sich diese Nachrichten zur Feierabendbelustigung durchlesen...
Ja, genau.
Welche Wirkung in der breiten Gesellschaft hat denn jemand wie Michael Wendler, wenn er Verschwörungserzählungen auf Telegram verbreitet?
Naja, das sind schon Kanäle mit mehreren zehntausend Abonnenten. Über diese Kanäle werden Nachrichten verbreitet. Und die sind dazu geeignet, Menschen zu radikalisieren: Vor allem unentschlossene, unsichere, psychisch instabile Menschen, denen es gerade schlecht geht, sind da durchaus gefährdet. Zumal diese Gruppen ja Echokammern Gleichgesinnter sind: Wer da Kritik übt, fliegt raus. Ich würde das deshalb nicht verharmlosen. Mit Herrn Wendler macht ein weiterer Mensch, offenbar angeleitet von Attila Hildmann, eine solche Echokammer auf. Und weitere Menschen, die Herrn Wendler toll fanden, gucken sich das an und könnten radikalisiert werden.
Das heißt: Wie viele Menschen im Gefolge von Prominenten wie Michael Wendler ins Verschwörungsmilieu abdriften, kann man noch nicht seriös beziffern.
Dazu bräuchte man weitere Forschung. Man muss ja auch dazu sagen: Nicht jeder, der die Corona-Maßnahmen der Bundesregierung und der Länder kritisiert, ist ein Corona-Leugner oder Verschwörungsideologe. Es gibt ja auch viel berechtigte Kritik von Menschen mit Existenzängsten. Man muss da genau differenzieren.
Wir haben schon über Attila Hildmann gesprochen, den veganen Koch, der seit Monaten Gewaltfantasien und krude Verschwörungsmythen zur Corona-Krise verbreitet – und der jetzt mit einem langen Telefongespräch Michael Wendler ins Lager der Verschwörungsideologen geholt haben soll. Wie mächtig ist Hildmann inzwischen?
Macht ist immer schwer zu messen. Aber wir müssen uns klarmachen: Attila Hildmann ist zu einem demokratiefeindlichen Influencer geworden. Er rüttelt mit seinen Worten an der freiheitlich-demokratischen Grundordnung – und zwar sehr laut. Und man lässt das auch geschehen. Bei der Corona-Demo Ende August in Berlin haben wir erlebt, dass Menschen zumindest kurz davor standen, den Bundestag zu stürmen. Personen wie Hildmann können das beschleunigen.
Inwiefern?
Wenn jetzt noch mehr Prominente, die eine Fangemeinde haben, in diese Ideologie abrutschen, dann besteht die Möglichkeit, dass immer mehr Menschen an den Grundwerten der Demokratie zweifeln. Das ist eine echte Gefahr. Und im Moment schauen wir da alle, inklusive Regierung und Sicherheitsbehörden, tatenlos zu.
In den USA und europäischen Ländern wie Ungarn kann man ja seit Jahren beobachten, wie Verschwörungsglauben die Regierungspolitik prägt. Wie groß sehen Sie die Gefahr, dass Verschwörungsgläubige die freiheitliche Demokratie hierzulande gefährden?
Ich glaube, die Gefahr ist groß. Demokratie funktioniert nur, wenn wir alle an demokratischen Prozessen interessiert sind. Und wenn zu viele Menschen demokratieverdrossen werden, dann kann das ein Land an den Abgrund führen, das sehen wir ja gerade in den USA. Es ist enorm wichtig, dass wir unsere Grundrechte verteidigen. Gerade, weil viele der Corona-Verschwörungsmythen, die verbreitet werden, zutiefst antisemitisch sind.
Am Freitag haben wir den ersten Jahrestag des antisemitischen Terroranschlags von Hall begangen.. Wie stark erhöhen die Corona-Verschwörungserzählungen das Risiko weiterer Attentate in Deutschland?
Die Gefahr liegt darin, dass politisch eher naive Bürger dadurch in Kontakt mit Verschwörungserzählungen kommen, die sie vorher nicht gekannt haben. Mit jedem Promi, der so etwas verbreitet, wird dieses Risiko größer. Eine besorgte Mutter, die sich vielleicht darüber ärgert, dass ihr Kind eine Maske tragen muss, kommt über Corona-Verschwörungserzählungen vielleicht zum ersten Mal in Berührung mit antijüdischen Verschwörungsmythen. Auf Corona-Demos treffen diese Menschen auf weitere Gleichgesinnte. Und dazu kommt, dass sich Rechtspopulisten in den Parlamenten auch in diesen Gruppen platzieren, um Anhänger zu gewinnen.
Wie die AfD, die sich jetzt als Anti-Masken-Partei zu profilieren versucht.
Zum Beispiel, ja.
Nimmt der Hang zu Verschwörungsmythen in Deutschland tatsächlich zu – oder sind die Verschwörungsgläubigen durch soziale Netzwerke und Messenger einfach viel sichtbarer als früher?
Beides ist wahr. Zum einen erleben wir mit der Corona-Pandemie eine hoch komplizierte Krisensituation. Und in solchen Krisensituationen haben Verschwörungsmythen immer Hochkonjunktur. Zum anderen ist natürlich auch wahr, dass Verschwörungsmythen durch soziale Medien gefühlt deutlich überrepräsentiert sind. Die Zustimmung zu den Corona-Maßnahmen der Bundesregierung liegt in der Gesamtbevölkerung bei weit über 80 Prozent. Es ist ja nicht so, dass Millionen Menschen im Widerstand sind. Soziale Netzwerke sind da schon so eine Art Lupe.
Geben Massenmedien Menschen wie Attila Hildmann oder Michael Wendler eine zu große Bühne für ihre Verschwörungserzählungen?
Ich will da nicht den Medien generell einen Vorwurf machen. Aber in den Redaktionen sollte man sich schon überlegen, ob man mit Herrn Hildmann jetzt unbedingt auf einen Waldspaziergang gehen sollte. Und man sollte sich vielleicht auch überlegen, mehr mit Opfern von Verschwörungsmythen zu sprechen. Es wird viel darüber gesprochen, dass man alle Standpunkte in einer Debatte abbilden müsse. Aber wenn Markus Lanz einen Gast einlädt, der ganz klar rassistische Aussagen macht, dann müsste eben auch mal ein Opfer von Rassismus in der Sendung sitzen. Das wird vernachlässigt. Und für mich ist auch klar: Aussagen, die sich außerhalb des demokratischen Konsenses bewegen, müssen nicht gehört werden. Schon gar nicht in demokratischen Medien.