Die Ministerpräsidentenkonferenz am vergangenen Mittwoch hat weitere Maßnahmen in Bezug auf die andauernde Pandemie getroffen und setzt dabei auf Öffnungen bei Erreichen bestimmter Inzidenzzahlen. Keiner der anwesenden Gäste bei "Markus Lanz" kann am Donnerstagabend die Lobrede von Vize-Kanzler Olaf Scholz (SDP) darauf nachvollziehen – stattdessen erntet er viel Kritik. Insbesondere vom Rostocker Oberbürgermeister Claus Ruhe Madsen, der sich darüber wundert, dass wir auch im zweiten Corona-Jahr "absolut keine Lernkurve" hätten.
"Sie sind nicht der Kanzler von Deutschland!", soll Markus Söder (CSU) bei der Videokonferenz von Bund und Ländern zu Finanzminister Scholz gesagt haben, nachdem dieser mit Nachdruck darauf beharrt hatte, dass zusätzliche Kosten, die durch Corona entstanden sind, "hälftig" von Bund und Ländern getragen werden sollten. "Was war da los, gestern Abend?", will Moderator Markus Lanz von ihm wissen. Er müsse als Finanzminister schließlich auch das Geld zusammenhalten, antwortet der SPD-Politiker darauf. "Sie wollen zeigen, wer der Chef ist?" "Nein, aber dass es so ist, wie ich gesagt habe."
Söder soll sich über sein "schlumpfiges Dahergrinsen" geärgert haben. Darauf angesprochen muss Scholz nun schmunzeln und sagt, er möge die Schlümpfe, sie seien listig und klein und würden immer gewinnen. "Gargamel verliert immer", fügt er hinzu. "Vergleichen Sie jetzt Markus Söder mit Gargamel?", fragt Lanz nach. Doch der Kanzlerkandidat der SPD will darauf nicht wirklich eingehen und sagt nur: "Weiß ich's?"
Die SPD scheint sich sicher bereits im Wahlkampf zu befinden, sagt auch Kristina Dunz, Hauptstadt-Redakteurin vom "Redaktions Netzwerk Deutschland". Scholz sieht es als Stärke, dass seine Partei ihn bereits jetzt als Kanzlerkandidaten bekanntgegeben habe. "Ich nehme, was kommt", sagt er in Bezug darauf, wen die anderen Parteien aufstellen könnten. "Weil Sie eh keine Chance haben?", provoziert ihn Lanz. "Ich bin sicher, dass ich sehr gute Aussichten habe, die nächste Regierung zu führen. Ich bin ziemlich, ziemlich zuversichtlich." An Selbstbewusstsein mangelt es dem Finanzminister an diesem Abend nicht. Er gibt sich überzeugt, ein "guter Bundeskanzler" zu werden.
Nach diesem Schlagabtausch geht es um die beschlossenen Öffnungen in Bezug auf die Corona-Pandemie. In den nächsten Wochen sollen immer mehr Maßnahmen gelockert werden – je nach Inzidenzwert. Kai Kupferschmidt ist Molekularbiologe und Wissenschaftsjournalist und versteht die Regierung nicht: "Ich bin schon etwas ratlos und auch enttäuscht." Er sagt, dass die Infektionszahlen weiterhin stiegen, selbst im Lockdown und warnt:
Scholz versucht dagegen zu steuern und erklärt, dass wenn der Inzidenzwert Richtung 100 steuere, auch wieder härtere Maßnahmen ergriffen würden. Zudem käme jetzt das "forcierte Impfen und Testen im großen Umfang" dazu. Dazu kontert sofort: "Es gibt in diesem Land zwei Baustellen: Das Impfen und das Testen."
Auch Rostocks Oberbürgermeister kritisiert die Vorgehensweise der Bundesregierung. Er habe es in seiner Stadt geschafft, die Inzidenzen in den vergangenen Wochen auf ein sehr niedriges Niveau zu kommen und könnte daher ab kommenden Montag komplett alles öffnen - würde er der Strategie der Regierung folgen. Aber was solle er mit den Leuten tun, die dann plötzlich alle nach Rostock kämen, fragt er sich. Zudem ärgern ihn die ständig unterschiedlichen Zahlen: Zunächst sei es die 50 gewesen, dann die 35 und nun wieder die 100. Er wisse nicht, wie er das kommunizieren solle.
"Geht Ihnen die Düse?", fragt Lanz. "Nein, aber wir haben ein Jahr hart gearbeitet, jetzt wollen wir unsere Chance auch nutzen." Madsen hat daher mit seinen Mitarbeitern ein anderes Öffnungskonzept entwickelt, das langsamere Öffnungen vorsieht. Er will zudem testen, wie er sein Fußballstadion mit 3000 Gästen wieder öffnen kann, wenn diese mit Schnelltests überprüft werden. Überall will er die Öffnungen mit Zahlen beobachten und sehr viel testen – auch die Berliner Charité beteilige sich an einer Studie dazu.
Er will zudem alte Menschen, die bereits geimpft sind, ins Theater oder die Oper einladen, weil es ein hartes Jahr für sie war. Mit dieser Strategie spricht der ehemalige Möbelhändler auch Kupferschmidts Ideen an. Der Experte kritisiert zudem noch die schlechte Kommunikation und wirft der Regierung vor, nicht ehrlich zu sagen, was ist. Denn, wenn man so verfahre, wie jetzt geplant, müsste man den Leuten sagen, dass es nach den Öffnungen wieder zu einem Lockdown kommen wird. Der Biologe spricht von Modellen, die jetzt schon voraussagen, dass wir bereits Ende April wieder bei rund 200 Inzidenzen liegen könnten. Ihm fehle eine "langfristige Strategie", man würde erneut "auf Sicht fahren".
"Was mich ärgert, ist diese Licht-an-, Licht-aus-Politik", wirft der gebürtige Däne ein, "wir kennen die Maßnahmen, wir wissen, was richtig ist, aber wir haben keine Lernkurve. Wir haben absolut keine Lernkurve!" Er macht sich für Tests stark und empfiehlt mich Nachdruck die von Musiker Smudo mitentwickelte App "Luca" zu verwenden, die er auch bereits erfolgreich im Einsatz hat. "All die Maßnahmen, die wir haben, werden nicht gemacht. All das, was wir wissen, wird nicht angewendet." Dann beschwert er sich noch über das Versprechen von Gesundheitsminister Jens Spahn, überall würde es kostenlose Schnelltests ab 1. März geben. "Die Kommunikation muss anders funktionieren. Ich baue doch nicht einfach so mal eine Abgabe für 200.000 Tests auf."
Auch Dunz ist der Überzeugung, dass damit Erwartungen geweckt wurden, die nicht eingehalten werden konnten. Eigentlich seien die Schnelltests schon seit Monaten verfügbar, aber die Bürokratie in Deutschland habe den Einsatz verhindert: "Nicht geht spontan, es gibt zu viele Ebenen!"
Auch die SPD sei daran nicht unbeteiligt, da sie in den vergangenen Jahren stets mitregiert habe. Doch auf die Kritik geht Scholz gar nicht erst wirklich ein, sondern kritisiert durch die Blume ebenso Spahn, der sein Vorhaben "nicht richtig vorbereitet und dieses in einen Tweet verpackt" habe.
Ebenso hängt er sich erneut am Impfstoff-Debakel auf und sagt, man hätte den Stoff schneller besorgen müssen. Als Lanz kritisiert, dass immer nur der Schwarze Peter herumgeschoben würde und "Rücktritte" aus der Mode gekommen seien, bleibt Scholz dabei, dass er ja nur darauf aufmerksam machen wollte, dass das mit dem Bestellen der Impfstoffe schiefgelaufen sei – gerade deswegen. Außerdem sei nun "die Möglichkeit des Testens akzeptiert worden". Da stutzt nicht nur der Moderator kurz, sondern auch die Journalistin: "Aber wieso denn erst jetzt?", will sie wissen und sie kann es sich nicht verkneifen zu fragen, "welche Idioten gegen so etwas stimmen"?
Der SPD-Politiker versucht trotz all der Kritik in seiner Spur zu bleiben und sagt, er habe bei der Konferenz versucht, dafür zu kämpfen, sich zuallererst auf das Impfen zu konzentrieren. Nach weiterem Hin und Her kommt wieder Madsen zu Wort und sagt, ihn würde es nerven, dass man sich zu sehr auf die Probleme konzentriere: "Ich habe das Gefühl, das bringt uns nicht nach vorne", sagt der Bürgermeister grinsend. Auch ihn nerve die Bürokratie, die vorhin angesprochen wurde und er zeigt es mit einem Beispiel auf:
Er habe versucht, das Deutsche Rote Kreuz anzufragen, damit sie vor dem Rathaus auf dem Marktplatz in Rostock Zelte aufstellen, um Schnelltests durchzuführen. Das ging jedoch nicht, weil das erst offiziell "ausgeschrieben werden müsse etc. etc.". "Ich mache also Politik für meinen Nachfolger, der in fünf Jahren dahinkommt und sich dann wundert, warum da plötzlich Zelte aufgestellt werden." Nach Corona müsse unsere Welt doch besser werden und er stellt direkt eine Idee dazu vor: Menschen aus der Bundes-, Landes- und Kommunalebene sollen sich zusammen einsperren und Gesetz für Gesetz durchgehen und alles streichen, die nicht mehr relevant sind, um die Bürokratie zu schmälern.
Die Idee findet sogar Olaf Scholz gut, wenngleich er sich lieber auf ein paar weniger Gesetze konzentrieren würden, weil sie sonst das ganze Leben damit verbrinden würden. "Aber dann hätten wir was Sinnvolles getan", entgegnet Madsen. Zwar werden keine Gesetze direkt geändert, jedoch lässt der Vize-Kanzler durchsickern, dass ab Montag die Länder darüber entscheiden werden, ob sie die App "Luca" flächendeckend einführen wollen oder nicht. Kupferschmidt findet die Idee gut, obwohl auch diese spät kommt. Andere Länder hätten längst Vergleichbares im Einsatz. Er sieht aber das Impfen als "das mit Abstand wichtigste Instrument".