Obwohl die Corona-Infektionen ansteigen, landen immer weniger Menschen auf den Intensivstationen. Während einerseits eine Impfpflicht diskutiert wird, wird auch bereits über Lockerungen der Regeln gesprochen. Bei "Markus Lanz" am Donnerstagabend wurde ein deutliches Bild von diesem chaotischen Zustand gezeichnet, bevor es thematisch um die Ukraine-Krise ging. Die Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht irritiert dabei gleich mit zwei Aussagen – zu ihrer Impfabsicht und zu ihrer Haltung in Bezug auf russische Sicherheitsinteressen.
"Wie geht es Ihnen?", fragt Moderator Markus Lanz gleich zu Beginn der Sendung Sahra Wagenknecht, die erst kürzlich an Corona erkrankt ist. "Ich habe die Infektion gut überstanden. Ich hatte Glück, weil ich nur Schnupfen hatte." Noch vor einiger Zeit äußerte die Politikerin, sie würde sich erst mit einem Totimpfstoff impfen lassen. Jetzt versucht sie. eine konkrete Aussage dazu zu umschiffen.
"Jetzt bin ich ja erst einmal genesen", gibt sie zu Protokoll und echauffiert sich darüber, dass der Genesenenstatus sich von Land zu Land unterscheide – in der Schweiz gelte man sogar neun Monate als genesen: "Das ist doch alles nicht logisch!" Im Anschluss analysiert sie Hospitalisierungsraten und erklärt, weshalb sie die derzeit geltenden Regelung für falsch hält. "Jetzt haben Sie alles ausführlich analysiert, aber nichts zur Impfung gesagt", unterbricht sie Lanz. Doch sie geht einer konkreten Antwort weiter aus dem Weg und sagt, sie "würde es sich überlegen", wenn gefährlichere Mutanten auftauchen sollen.
Die Politikerin hofft, dass ihre natürliche Immunität sie erst einmal schützt. Zudem sagt sie, könnte Omikron auch das Ende der Pandemie darstellen. Dabei tauchen sofort Fragen in Bezug auf die Regelungen auf. Viele europäische Länder haben ihre Maßnahmen komplett aufgehoben: Spanien, England und auch Dänemark. Marie-Agnes Strack-Zimmermann von der FDP sieht das anders und glaubt, so lange man nicht wisse, was noch komme, sollte man auch nicht über das Ende der Regelungen sprechen.
Claus Ruhe Madsen ist parteiloser Oberbürgermeister von Rostock und stammt aus Dänemark. Was ihn nervt, ist der anhaltende Alarmismus in Deutschland. In seinem Heimatland wurden zwar auch Fehler gemacht, aber diese wurden klar kommuniziert. Auch würde man versuchen, die Leute eher zum Impfen zu motivieren anstatt sie zu zwingen. Damit habe der kleine Nachbar von Deutschland eine enorm hohe Impfrate erreicht. Er sagt, in Rostock hätten sich viele Menschen impfen lassen, um auf ein Helene-Fischer-Konzert gehen zu können.
Was den Politiker jedoch mehr beschäftigt als die Impfquote, ist der Papierkram. In seinen Impfzentren stapeln sich nun kartonweise Papierunterlagen der Geimpften, weil in Deutschland geglaubt würde, Datensicherheit sei auf dem Papier besser gewährleistet als digital, erklärt Madsen. Er habe nun dennoch eine Firma mit der Digitalisierung der gesamten Dokumente beauftragt – doch weit ist sie noch nicht gekommen.
Die Digitalisierung hängt noch an der ersten Welle. Grund dafür sind die zusammengetackerten Papiere, die nicht gescannt werden können. Nun ist also eine Person allein damit beschäftigt, diese Tacker zu entfernen. Und damit nicht genug: Mitten in der Pandemie habe die Bundesregierung beschlossen, dass die alten Führerscheine erneuert werden und durch Karten ersetzt werden müssen. "Unsere Verwaltungen laufen über!" Er ist der festen Überzeugung, dass das in zwei Jahren sowieso in eine App geladen wird und die Arbeit dann erneut beginnt. "Deutschland spricht immer vom Aufholen. Wie wäre es, wenn wir mal Erster wären?"
Den Bürgermeister ärgert auch, dass in Deutschland immer Angst vermittelt wird statt Hoffnung. Dabei vergleicht er eine Rede der dänischen Königin mit einer von Bundeskanzler Olaf Scholz. Während sie von Zuversicht spricht, dass diese Krise gemeinsam gemeistert wird und sie dann auch ihr 50-jähriges Jubiläum feiern wolle, spricht Scholz von Angst. "Ich habe da wenig Motivierendes gehört."
Er erzählt eine weitere Anekdote: Er sei kürzlich in Dänemark gewesen, wo nach 22 Uhr kein Alkohol mehr verkauft werden dürfe. Er wollte sich in einem Supermarkt noch ein Bier kaufen, jedoch machte ihn die Verkäuferin darauf aufmerksam, dass es 22.01 Uhr sei und sie es somit nicht mehr dürfe. Alle jungen Leute, die in der Schlange standen und ebenfalls Alkohol kaufen wollten, stellten ihre Sachen einfach zurück ins Regal und verließen den Laden. Etwas, was seiner Meinung nach in Deutschland undenkbar wäre, weil die Menschen alles anzweifeln. Er macht dafür in erster Linie die schlechte Kommunikation der Regierung verantwortlich.
Für Strack-Zimmermann war schon von Anfang an der Wurm drin in Bezug auf das Meckern der Menschen in Deutschland. "Auffällig ist, dass wir eine besonders renitente Gesellschaft geworden sind", erklärt die Politikerin. Lanz wundert sich über die fehlende "Führung von vorne" und meint damit klare Ansagen des Kanzlers. Die FDP-Politikerin versucht die Situation damit zu verteidigen, dass die Lage häufig unklar und unsicher ist und klare Antworten deshalb manchmal schwerer fallen. "Ich möchte keinen anklagen", sagt sie, doch Lanz möchte genau das. "Ich wusste, wenn ich hier sitze, werde ich gegrillt", gibt zu daraufhin zu verstehen.
"Wo haben wir die Leute verloren?", soll nun Wagenknecht beantworten und zeigt überraschender Weise Verständnis für die Regierung, die sich ständig mit einer neuen Situation befassen müsse. Sie spricht sich zudem auch gegen eine Impfpflicht aus. Sie erklärt, dass die Impfungen zwar gegen schwere Verläufe schützen, jedoch nicht vor dem Infektionsrisiko. Das Argument, dass andere dadurch geschützt werden, sei somit hinfällig.
Im letzten Teil der Sendung geht es noch um die derzeitige Ukraine-Krise, deren Zuspitzung durch die an der Grenze stationierten russischen Soldaten droht. Die Bundesregierung hat bisher 5000 Schutzhelme an die ukrainische Armee geschickt und gesagt, man stünde an der Seite des Landes. Genau diese Formulierung hält Strack-Zimmermann für "sehr unglücklich". Die Ukraine habe selbst nach Helmen und Schutzwesten gefragt – dass diese geliefert wurden, sei selbstverständlich. Unglücklich sei die Formulierung, weil sie diese Nachricht, die ihrer Meinung nach keine wirkliche Nachricht ist, gemeinsam mit der Solidarisierungsaussage genannt wurde und somit für Kritik gesorgt hat.
Die Verteidigungsexpertin spricht von einer "ernsten Lage" vor Ort, da Russland bereits Infrastruktur und Sanitär vor Ort aufgebaut habe – ein Zeichen dafür, dass man im Zweifel verwundete Soldaten versorgen kann. Kritik wird in diesem Zusammenhang erneut am Kanzler geübt, der sehr lange zum Thema schwieg und erst kürzlich sagte, dass die Nord Stream 2-Pipeline vorerst nicht in Betrieb genommen würde. Die Journalistin Kristina Dunz spricht davon, dass Ex-Kanzlerin Angela Merkel zu Beginn der Krim-Krise schnell für Gespräche gesorgt habe unter den Parteien – im Gegensatz zu ihrem Amtskollegen. Wagenknecht hält jedoch dagegen, dass an der Krim seit 2014 ein nicht deklarierter Krieg herrsche, dem man sich selbst überlassen habe.
Die Linken-Politikerin findet, dass die "Rhetorik die Situation anheizt" – die Situation sei zwar "hochgefährlich", jedoch stehe man nicht kurz vor einem Krieg. Sie macht deutlich, dass man die Vorgeschichte des Konfliktes betrachten solle und dass Russland sehr wohl das Gespräch sucht. Russland sei eben nicht mehr bereit hinzunehmen, dass seine Sicherheitsinteressen ignoriert würden. Strack-Zimmermann wirft ihr sofort vor, sie würde das Narrativ von Sergei Wiktorowitsch Lawrow, dem russischen Außenminister, verwenden. "Ich bitte Sie! Die Nato hat sich seit 1999 schrittweise ausgedehnt. Die Truppen stehen 150 Kilometer vor Sankt Petersburg." Sie führt weiter aus, dass man Moskau innerhalb von fünf Minuten mit Raketen attackieren könnte. Es sei somit kein Wunder, dass sich Russland bedroht fühle.
Strack-Zimmermann macht deutlich, dass eine Erweiterung der Nato durch die Ukraine überhaupt nicht zur Debatte stünde, da sowohl an sie als auch an Georgien bereits vor Jahren eine Absage erteilt wurde. "Wenn ich Sorge habe, dann schicke ich doch nicht einfach so 130.000 Soldaten an die Grenze", führt sie dazu aus. Wagenknecht macht zwar deutlich, dass nicht nur eine Seite schuld sei, jedoch habe Russland ihrer Meinung nach das Gespräch gesucht.
Sie macht einen kruden Vergleich in Bezug auf die Menge der Soldaten: So sei die Masse bei Bewegungen im eigenen Territorium eine "Aggression", aber wenn sich die USA an Manövern im Schwarzen Meer beteiligt, dann würde von "Landesverteidigung" gesprochen werden. "Jeder hat legitime Sicherheitsinteressen. Auch Russland." Die russische Geschichte würde Deutschland dazu verpflichten, deeskalierend in den Konflikt einzugreifen, sagt Wagenknecht.
Strack-Zimmermann glaubt, dass Russland einerseits Angst habe vor einer neuen Generation in der Ukraine, die sich eher dem Westen zuwendet. Andererseits glaubt sie, wolle Präsident Putin von innenpolitischen Problemen und einer schweren wirtschaftlichen Lage ablenken. Wagenknecht kommt darauf mit einem Vergleich, der bereits 20 Jahre zurückliegt: Denn 2001 hat Putin eine Rede im deutschen Bundestag gehalten. Und nach Meinung der Linken-Politikerin habe er sich selbst da dem Westen zugewandt und ihn sogar "umarmt".
"Man kann Putin halten, wofür man will, aber ich halte ihn für berechenbar", sagt Wagenknecht. Für sie sei auch die Annexion der Krim berechenbar gewesen. Für sie haben sich beide Länder an keine Vereinbarungen und Verträge gehalten. Ebenso sei die Ukraine nicht so schwach, wie sie immer dargestellt würde. Damit endet bei "Lanz" eine Diskussion, die dennoch nicht klärt, wie eine deutsche oder europäische Haltung zur anhaltenden Krise in der Ukraine aussehen könnte.