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Urlaub & Freizeit
Das Meerwasser steigt, der Boden sinkt: Indonesiens Hauptstadt Jakarta geht unter. Ganz langsam, aber Leute wie Irma Susanti leiden hautnah. Ein Besuch bei Menschen, die den rücksichtslosen Umgang mit der Natur heute schon stärker spüren als viele hierzulande.
Wenn Irma Susanti ihrer Stadt beim Untergang zusehen
will, muss sie nur hinaus vor die Tür. Drei Schritte, und die Frau im
bunten Kleid steht an der Mauer aus Beton, die das Meer davon abhält,
in ihre Wohnung zu schwappen. Inzwischen braucht Irma eine Leiter,
wenn sie auf die Mauer hinauf will. Als sie vor ein paar Jahren
hierher zog, nach Muara Baru, ein Armenviertel im Norden von
Indonesiens Hauptstadt Jakarta, war der Schutzwall anderthalb Meter
hoch. Jetzt misst er 2,30 Meter.
Aber auch das reicht nicht mehr. Wenn es stark regnet, flutet
dunkelbraune, stinkige Brühe in ihr Haus. Dann steht bei der
30-Jährigen, verheiratet, zwei kleine Töchter, die Java-See wieder in
der Küche. Mit all dem Müll, der jetzt noch auf der anderen Seite der
Mauer schwimmt: alte Reifen, ausgelatschte Flip-Flops, gebrauchte
Plastikbecher und Plastiktüten, sogar Kondome. Ein dichter,
ekelhafter Teppich Dreck.
"Ich stand hier schon bis zur Hüfte im Wasser. Und habe geschöpft und
geschöpft", erzählt Irma. Am schlimmsten sei es im Januar und im
Februar, wenn der große Regen kommt und manchmal auch die Flut. Jetzt
scheint gerade die Sonne. Sie sitzt mit einer Nachbarin auf der Bank,
die Anderthalbjährige auf dem Arm, die Ältere daneben.
Irma Susanti sagt:
"Ich merke schon, dass das Wasser immer höher wird. Und dass das immer schneller geht. Aber mein Mann ist Fischer. Wir können eigentlich nicht weg."
Die Armen trifft es zu erst
So geht es Hunderttausenden hier. Im Hafenbecken von Muara Baru und
in anderen Vierteln entlang der Küste lässt sich erahnen, was die auf
arg morastigen Boden stehende Mega-City irgendwann vielleicht überall
erwartet. Heute schon liegen 20 Prozent Jakartas unter dem
Meeresspiegel. 2050 werden es nach einer Prognose des Bandung
Institute of Technology, kurz BIT, zwischen 35 und 40 Prozent sein.
Schneller sinkt wohl keine andere Großstadt auf der Welt, auch wenn
Metropolen wie Bangkok ähnliche Probleme haben. In Jakarta lassen
sich die Folgen von menschengemachten Umweltveränderungen heute schon
in einem Ausmaß erleben, wie man sich das in Deutschland kaum jemand
vorstellen kann.
Nur, dass sich in Indonesien die große Mehrheit der Bevölkerung
noch nicht wirklich dafür interessiert. So etwas wie eine "Fridays
for Future"-Bewegung gibt es hier nicht.
Am schlimmsten betroffen sind die Küstenviertel in Jakartas Norden,
wo die ärmeren Leute wohnen. Hier sackt der Boden pro Jahr um bis zu
20 Zentimeter ab. Das BIT glaubt, dass hier in 30 Jahren 95 Prozent
der Flächen überschwemmt sein werden. So wie heute schon die
Wall-Adhuna-Moschee, zehn Fußminuten entfernt von Irma.
In dem
Gotteshaus hat schon lange niemand mehr gebetet.
Moschee mahnt vor der Apokalypse
2005 hat man die Moschee dem Meer überlassen. Aufgegeben. Das war,
noch bevor die Schutzmauer gebaut wurde. Jetzt ragt sie wie ein
Mahnmal der Apokalypse aus dem Wasser. Das Dach ist halb eingestürzt.
Die Wände sind schief, mit Schimmelpilzen übersät. Bis vor einer
Weile saß auf der Kuppel noch eine Spitze mit Halbmond. Aber die ist
irgendwie abhanden gekommen.
Die Kinder aus den Slums, die früher hier spielten, kommen auch nicht
mehr. 50 Meter müsste man inzwischen von der Mauer hinauslaufen. Der
Dreck ist selbst ihnen zu viel. Nur ein kleiner Junge paddelt noch
auf einem selbstgebauten Floß, die Füße im Wasser.
Gebete wurden in diesem Gotteshaus schon lange nicht mehr gesprochen.Bild: picture alliance / Fauzan Ijazah
Fast ein halbes Jahrtausend ist Indonesiens Hauptstadt an der
Nordküste der Insel Java schon alt. Gründung war 1527. Von den
Sultanen bekam die Siedlung den Namen Jayakarta ("Großer Sieg").
Zwischenzeitlich nannten die niederländischen Kolonialherrn die Stadt
in Batavia um. Sie versuchten, auf dem sumpfigen Fundament ein
tropisches Neu-Amsterdam zu bauen, mit einem dichten Geflecht aus
Straßen und Kanälen. Viel ist davon nicht mehr übrig.
Seit 1942 hat Jakarta wieder den alten Namen. Heute leben hier im
Großraum mehr als 30 Millionen Menschen – das Zentrum des größten
Inselstaats der Welt und auch des bevölkerungsreichsten muslimischen
Landes überhaupt. 17.500 Inseln, die mehr als 265 Millionen Menschen
eine Heimat geben. Einer von Asiens riesigen Staaten, die immer
wichtiger werden, und eine halbwegs funktionierende Demokratie dazu.
So viele sind das hier nicht.
Aber warum versinkt Jakarta?
Die "New York Times" schrieb kürzlich,
dafür gebe es einen "Tsunami von menschengemachten Gründen".
Natürlich hat der Klimawandel seinen Anteil. Der Meeresspiegel steigt
auch hier, drei Millimeter pro Jahr. So etwas wie Stadtplanung gab es
lange nicht. Inzwischen ist Jakarta zu fast 100 Prozent mit Asphalt
und Beton versiegelt.
Wenn Wasser in größeren Mengen vom Himmel
kommt, kann es kaum noch abfließen und bleibt lange stehen. Wo einst
Mangrovenwälder waren, ragen jetzt Apartment-Häuser in den Himmel.
Vor allem aber graben sich die Bewohner selbst den Grund ab, auf dem
sie leben: So etwas wie eine zuverlässige Wasserversorgung gibt es
nicht. Den Markt teilen sich seit der Privatisierung zwei
ausländische Anbieter. Aber nur etwas mehr als die Hälfte der
Haushalte ist ans zentrale Netz angeschlossen. Der Rest pumpt sich
das Wasser selbst aus dem Boden: mit der Hand oder mit elektrischen
Pumpen. Die Leitungen reichen bis zu 100 Meter tief. So wird das
Fundament, auf dem die Stadt steht, immer schlechter.
Alle Experten halten das für das größte Problem, schlimmer als der
Klimawandel. Der Stadtplaner Nirwana Joga sagt:
"Der Boden sinkt viel schneller, als der Meeresspiegel steigt. Die Probleme sind vom Menschen gemacht und nicht von der Natur."
Der 50-Jährige, selbst
Indonesier, berät die Regierung von Präsident Joko Widowo und das
UN-Siedlungsprogramm Habitat.
In Jakarta, sagt Nirwana, hätten die Leute die Gefahr überhaupt noch
nicht verstanden. "Das ist wie ein stiller Mord. Man sieht in den
meisten Vierteln überhaupt noch nicht, wie der Boden sinkt. Das
geschieht so langsam, dass sich die meisten dessen überhaupt nicht
bewusst sind."
Es sind aber längst nicht nur Privatleute, die sich
ihr Wasser selber pumpen. Auch große Hotels, Fabriken und Shopping
Malls haben eigene Systeme. Bislang ist das in der Regel legal.
Es gibt aber auch Haushalte in Jakarta, die weder ans Versorgungsnetz
angeschlossen sind, noch pumpen können. Sie sind am schlimmsten dran.
Wie die Familie von Irma, der Mutter aus dem Slum. Für die Susantis
und andere muss Wasser mit dem Lastwagen angeliefert werden, jeden
Mittwoch.
Die beiden blauen 250-Liter-Kanister stehen direkt an der Mauer.
Damit kocht Irma, damit wäscht sie, damit säubert sich die Familie.
100 Liter kosten einen Euro – für die Leute hier ein Wucherpreis. Sie
hofft, dass die Stadt Abhilfe schafft. Aber groß ist die Hoffnung
nicht.
Die Hauptstadt soll umziehen – aber nur mit ihren Beamten
Weil seine Hauptstadt versinkt, soll das Land eine ganz neue bekommen. Weg aus Jakarta. Weg von Java.
1200 Kilometer weiter. Nach Borneo, das die Indonesier Kalimantan
nennen. Die neue Kapitale soll irgendwo auf halber Strecke zwischen
den existierenden Großstädten Balikpapan und Samarinda entstehen, die
außerhalb des Landes niemand kennt. Noch ist dort Dschungel.
"Save The Ocean" ("Rettet den Ozean") steht auf der Schutzmauer im Viertel Akuarium.Bild: picture alliance / Fauzan Ijazah
Wie die neue Hauptstadt heißen soll, weiß auch noch niemand. Die
Kosten für den Umzug werden auf mehr als 30 Milliarden Euro
geschätzt. 2024 – im letzten Amtsjahr von Präsident Joko Widodo, der
nicht mehr wiedergewählt werden kann – sollen die ersten Beamten ihre
neuen Büros beziehen. Nun wird gespottet, dass die neue Kapitale den
Namen Jokograd bekommen könnte.
Die Sorge vor dem Untergang spielt auch bei diesen Umzugsplänen eine
Rolle. Nur, dass von den Zehntausenden Beamten, die Jakarta wohl
verlassen werden, kaum jemand in den armen Stadtvierteln entlang der
Schutzmauer zu Hause ist. Davon, dass auch Slumbewohner nach Borneo
umgesiedelt werden, ist keine Rede.
Irma Susanti meint:
"Ich weiß, dass das viel Geld kostet. Aber wenn die Regierung das für richtig hält, wird das schon in Ordnung sein. Wir sind nur kleine Leute."
Nach einer halben Stunde Gespräch rückt die Frau aus Muara Baru aber
heraus damit, dass sie ohnehin nicht bleiben will. Vom Leben hinter
der Mauer hat sie genug. Wenn es nach Irma geht, ist die Familie so
bald wie möglich weg aus Jakarta. Sie will zurück in ihr Heimatdorf
auf der Insel Sulawesi. "Ich bin 30. Aber mein Mann ist schon 50. Und
es ist besser, seine späten Jahre zu Hause zu verbringen. Fisch
verkaufen kann er auch dort."
Wo sie das Wasser noch mit Leben
verbinden und nicht so sehr mit Gefahr.
(dpa)